Der Kursauftrieb des Edelmetalls hat sich beschleunigt. Damit steigt die Gefahr einer Korrektur. Ein solcher Dämpfer dürfte eine Einstiegsgelegenheit sein, denn die langfristige Hausse ist intakt.
Totgesagte leben länger. Lange als barbarisches Relikt verschrien, erlebt Gold derzeit ein grosses Revival. Am Dienstag ist der Preis erstmals überhaupt über 3500 $ pro Unze gestiegen. Ausgelöst wurde der jüngste Schub durch Andeutungen von US-Präsident Donald Trump, dass er Notenbankchef Jerome Powell absetzen wolle, weil dieser mit Zinssenkungen zuwartet. Während die US-Aktienindizes mit Verlusten auf die Gerüchte reagierten, stellte Gold einmal mehr seine defensiven Qualitäten unter Beweis.
Das tat das Edelmetall auch, als Trump die Welt Anfang April mit seinem Zollhammer überraschte. Während sich die Schwächesignale der US-Wirtschaft schon zuvor gemehrt hatten, sprangen mit Trumps Ankündigung der «reziproken» Zölle auch die Inflationserwartungen markant nach oben (vgl. Grafik unten, blau sind die Inflationserwartungen für ein Jahr). Die Angst vor Stagflation, also der Kombination aus schwacher Wirtschaft und hoher Teuerung, war zurück.
Für Anleger sind das keine erfreulichen Aussichten. Als das Phänomen in den Siebzigerjahren letztmals über längere Zeit auftrat, legte der Preis für eine Feinunze Gold von 35 auf 850 $ zu. Das Edelmetall war damit mit Abstand die beste Anlageklasse. Möglich wurde die damalige Goldhausse dank US-Präsident Richard Nixon, der im Sommer 1971 die Anbindung des Dollars an Gold aufhob und damit das Ende des 1944 im US-Kurort Bretton Woods beschlossenen Währungssystems besiegelte.
Im Vergleich dazu verblasst der derzeitige Preisanstieg fast schon. Seit November 2023, als der Preis nach drei erfolglosen Versuchen in den Jahren zuvor den Widerstand bei 2000 $ pro Unze überwinden konnte, hat das Edelmetall 75% zugelegt. Gemessen am Tief von Ende 2015 beträgt das Plus mehr als 200%. Dennoch besteht noch Raum nach oben. Die letzte grosse Hausse, die im August 1999 kurz vor dem Platzen der Technologieblase begann, dauerte mit einer kleinen Zwischenkorrektur beim Ausbruch der Finanzkrise zwölf Jahre und brachte eine Avance von mehr als 600%:
Die gegenwärtige Stärke von Gold beschränkt sich nicht nur darauf, wenn man den Preis in Dollar betrachtet. Auch in Franken ist die Notierung auf ein neues Rekordhoch gestiegen; am Dienstag kostete das Kilogramm erstmals mehr als 90’000 Fr. Der vom liechtensteinischen Vermögensverwalter Incrementum berechnete Weltgoldpreis strebt denn auch schon seit Jahren unentwegt nach oben (goldene Linie in der Grafik unten). War die Hausse anfänglich auf schwache Währungen wie die türkische Lira oder den Yen beschränkt, hat sie inzwischen auch vermeintlich starke Valuten wie den Dollar (blau) und den Franken erfasst.
Richtig Fahrt aufgenommen hat der laufende Bullenmarkt mit dem Ukrainekrieg und dem damit verbundenen Einfrieren der russischen Zentralbankreserven. Vor allem Entwicklungsländer haben begonnen, ihre Dollarreserven in Gold umzuschichten. Der Trend setzt sich bis heute fort. Zentralbanken haben drei Jahre in Folge mehr als 1000 Tonnen Gold erworben, ein neuer Rekord:
Die Diversifizierung der Währungsreserven dürfte sich angesichts möglicher Pläne der Trump-Regierung, den Dollar abzuwerten und ausländische Treasury-Bestände mit einer Gebühr zu belasten (respektive ausstehende Anleihen in solche mit langer Laufzeit und niedrigem oder gar keinem Coupon umzuwandeln), beschleunigen und sich auf Staaten ausweiten, die sich bisher nicht um ihre Dollarbestände sorgen mussten. «Inzwischen kaufen auch renommierte Notenbanken wie die von Singapur Gold», kommentiert Stefan Rehder von der Münchner Investment-Boutique Value Intelligence Advisors die jüngsten Entwicklungen.
«Das Vertrauen in den Dollar und US-Staatsanleihen geht langsam verloren», sagt Ronald-Peter Stöferle von Incrementum. Er arbeitet derzeit an der nächsten Ausgabe des «In Gold We Trust»-Reports, die am 15. Mai veröffentlicht werden soll. Seiner Ansicht nach lässt sich das am Verhalten der Märkte nach Trumps Zollhammer beobachten. Üblicherweise würden Anleger in unsicheren Zeiten in diesen Vermögenswerten Schutz suchen, «doch diesmal wurden beide abgestossen und stattdessen Gold gekauft». Die Eignung von Treasuries und Dollar als sicherer Hafen werde zunehmend angezweifelt. «Das ist ein Paradigmenwechsel, der weitere Zuflüsse in Gold zur Folge haben dürfte.»
Privatanleger stehen mehrheitlich abseits
Dennoch stellt sich die Frage, wie weit das Edelmetall angesichts des fulminanten Kursanstiegs noch klettern kann. Immer mehr Experten empfehlen es zum Kauf, was skeptisch stimmt. Gemäss der jüngsten Fondsmanagerbefragung von Bank of America (BofA) ist Gold der «Most Crowded Trade», also die beliebteste Wette überhaupt. In der Regel ist das kein gutes Zeichen, weil viele Anleger schon positioniert sind und die Nachfrage austrocknet, was den Kurs belastet.
Geht es nach Fred Hickey, dem Herausgeber des Investment-Bulletins «The High-Tech Strategist» und einem bekennenden Goldbullen, entspricht diese Einschätzung aber eher der Wunschvorstellung vieler Investoren als den Tatsachen. «Weil Gold über 3300 $ notiert, denken viele Anleger, Gold sei der ‹Most Crowded Trade›, was sie in ihrer Haltung bekräftigt, an der Seitenlinie zu verharren», twitterte er nach der Veröffentlichung der BofA-Umfrage. «Ich habe nicht das Gefühl, Gold sei bei westlichen Investoren enorm verbreitet.» In der Tat beruht die Umfrage nicht auf den tatsächlichen Transaktionen, sondern auf den Aussagen der Fondsmanager.
«According to a recent BofA survey, 73% of respondents believe that the theme of ‹U.S. exceptionalism› has peaked, impacting markets, and 49% now view ‹long gold› as the most crowded trade, overtaking bets on U.S. tech giants for the first time in 24 months»
Long gold the most…
— fred hickey (@htsfhickey) April 16, 2025
Der Zufluss in börsengehandelte Fonds (ETF) lässt denn auch nicht auf einen übersteigerten Optimismus unter Privatanlegern schliessen. Zwar hat sich der Absatz an Gold-ETF jüngst belebt (in der Grafik unten blau markiert). «Allerdings gingen diesem Anstieg acht Quartale voraus, in denen Anleger Geld aus Goldvehikeln abgezogen haben», relativiert Stöferle. Mit rund 90 Mio. Unzen liegt der ETF-Bestand denn auch noch weit unter den 111 Mio. Unzen, die während der Covid-Pandemie im Oktober 2020 erreicht wurden. Die Nachfrage von Privatinvestoren dürfte deshalb noch nicht gesättigt sein, zumal im durchschnittlichen globalen Anlageportfolio gemäss Stöferle erst rund 0,9% in Gold alloziert sind. «Das ist alles andere als eine Blase», sagt er.
Gold dürfte also trotz der jüngsten Avancen noch Potenzial haben. Das gilt umso mehr, als der Wert allen jemals geförderten Goldes (und auch aller ausstehenden Bitcoin) immer noch weit unter der aggregierten Geldmenge der wichtigsten Volkswirtschaften oder der weltweiten Verschuldung liegt. So beträgt die Marktkapitalisierung des Goldbestands rund 21,7 Bio. $, während sich die kombinierte Geldmenge der USA, der Eurozone, Chinas und Japans auf 89 Bio. $ und die weltweite Verschuldung sogar auf 318 Bio. $ beläuft (vgl. Grafik). Es muss also nur wenig Geld in Bewegung gesetzt oder aus Bonds in Gold umgeschichtet werden, um den Kurs höher zu treiben.
Dennoch würde angesichts des rasanten Kursanstiegs eine Pause nicht überraschen. Der Marktbeobachter Larry McDonald verweist auf den Abstand des Goldkurses von seiner 200-Tages-Linie, der mit über 25% so gross sei wie selten. Das erhöhe die Gefahr einer Korrektur. Und prompt sackte der Goldkurs am Dienstag ab, als US-Finanzminister Scott Bessent die Zölle für Importe aus China als nicht nachhaltig bezeichnete und eine baldige Lösung des Konflikts in Aussicht stellte.
Auch bessere Wirtschaftsdaten oder ein Social-Media-Post des US-Präsidenten können die Preise jederzeit einknicken lassen. Allerdings dürfte der Vertrauensverlust, den sich die Trump-Regierung eingehandelt hat, nicht so schnell behoben werden, und der weiterhin bestehende Basiszoll von 10% auf alle Einfuhren treibt die Inflation nach oben, egal, ob im Handelsstreit Lösungen gefunden werden oder nicht.
Gefahr droht erst, wenn die Euphorie die Nachzügler erfasst
Stöferle und seine Kollegen von Incrementum operieren schon länger mit einem Preisziel von 4800 $ pro Unze per Ende dieses Jahrzehnts. «Das ist unser Basisszenario», sagt er. Sollten sich die stagflationären Tendenzen verfestigen, seien aber auch deutlich höhere Kurse möglich. «Wichtiger als das Preisziel ist allerdings, dass Gold sich in einer langfristigen Hausse befindet.» Dieser langfristige Aufwärtstrend stehe nicht am Anfang, aber auch nicht vor dem Ende, «weil das Edelmetall zwar im Mainstream angekommen ist, der Mainstream aber noch nicht ausreichend investiert hat». Weil viel Geld auf einen Einstieg warte, dürften Korrekturen kurz und nicht allzu heftig sein, meint Stöferle.
Das Ende der langfristigen Goldhausse droht gemäss dem Incrementum-Experten erst dann, wenn auch Minenaktien, Silber und andere Rohstoffe von einer Welle der Euphorie erfasst werden. «Diese Vermögenswerte reagieren jeweils mit Verzögerung auf steigende Goldpreise», sagt er. Silber und Minen stünden aber kurz davor, ebenfalls abzuheben. «Fundamental ist alles angerichtet für höhere Kurse.» Als Beispiel nennt er das Angebotsdefizit im Markt für Silber, wo die Nachfrage die geförderte Menge das fünfte Jahr in Folge übersteige, oder den enormen freien Cashflow der Minen, der auch die Übernahmetätigkeit begünstige.
Bei Minenaktien stehen deutliche Hochstufungen an
In der Tat hinken die Aktien der Förderer dem Goldpreis immer noch hinterher. Zwar haben die im Philadelphia-Gold- und Silberminenindex versammelten Werte seit Anfang Jahr fast 40% zugelegt. Dennoch notieren sie immer noch rund 20% unter ihrem Allzeithoch von Ende 2010. Weil sich der Goldpreis seither mehr als verdoppelt hat, handeln viele Minengesellschaften mit Abschlag zu ihren Goldreserven, «die von Analysten zudem längerfristig immer noch mit 1900 $ pro Unze bewertet werden», wie Stefan Rehder bemerkt.
Die Margenexpansion, die sich aus dem Anstieg des Goldpreises ergebe, werde bisher ignoriert, moniert Rehder. Wegen des Hebeleffekts würden der Gewinn und der Cashflow der Förderer deutlich anziehen. Sollte die Goldhausse anhalten, winken demnach deutliche Hochstufungen.
Gleichzeitig verblasst der Börsenwert der Förderer im Vergleich zum Kapital, das im US-Leitindex S&P 500 oder in den grossen Technologiewerten gebunden ist. Die hundert grössten Minengesellschaften kommen auf eine Marktkapitalisierung von insgesamt etwas mehr als 500 Mrd. $. Allein die «Magnificent Seven» bringen fast 15 Bio. $ auf die Waage, beim S&P 500 sind es 45 Bio. $ (vgl. Grafik). Schon kleinere Umschichtungen weg von den Börsenlieblingen könnten Minenaktien deshalb deutlichen Schub verleihen.