Das Siegen fiel dem besten Skifahrer der Gegenwart fast schon zu leicht. Doch nun verspricht der kommende Winter beste Unterhaltung auf und neben der Piste. Das hängt wesentlich mit einem Brausekonzern zusammen.
Klar wolle er gewinnen, sagt Marco Odermatt. Der 27-Jährige hat sich in den vergangenen drei Jahren selbst zu einem Monument des Skisports gemacht. Er wurde Weltmeister, Olympiasieger, gewann die Gesamtwertung im Weltcup dreimal in Serie – und jedes Mal mit noch mehr Marge. Im vergangenen Winter schaffte er eine Art Grand Slam: Er war nicht nur im Gesamtweltcup der Beste, sondern auch in allen drei Disziplinen, die er bestritt.
Wenn ein Athlet derart dominiert, geht es am Ende nur noch um Einträge ins Guinness-Buch. Die spannendste Frage des vergangenen Winters war: Wird Odermatt es schaffen, sämtliche Riesenslaloms zu gewinnen? Er schied im letzten Rennen aus. Das zeigte immerhin, dass er keine Perfektionsmaschine ist, sondern halt auch ein Mensch.
Sichtbar wird das sonst vor allem abseits der Piste. Sein Charme, seine Lockerheit, seine Unverbrauchtheit machen ihn zum Publikumsliebling. Wann sah man sonst einen Spitzenathleten während einer WM in einer Freiluftdisco abtanzen wie Odermatt 2023 in Méribel? Oder sichtlich angesäuselt ins Mikrofon des Staatsfernsehens plaudern?
All das macht ihn zur prägenden Figur im Skizirkus. Doch er ist auch fast schon ein Alleinunterhalter, der Rennen selbst dann gewinnt, wenn ihm ein zeitraubender Fehler unterläuft. Sportlich gehen dem jungen Mann mit erst 27 Jahren allmählich die Ziele aus. Nur eines hat er noch: die Abfahrt auf der gefürchteten Streif in Kitzbühel gewinnen.
Comebacks setzen den Skizirkus unter Strom
Den Sieg im Gesamtweltcup nähme er nebenbei auch noch gerne mit. Diese Krone des Skirennsports fiel dem Schweizer im vergangenen Winter etwas gar leicht in den Schoss. Zuerst riss sich Marco Schwarz auf der Jagd auf Odermatt das Kreuzband, dann zog sich Aleksander Kilde bei einem Crash in Wengen multiple Verletzungen zu. Am Ende gewann Odermatt mit 874 Punkten Vorsprung – nie zuvor war ein Athlet derart überlegen. Im Jahr zuvor hatte er bereits den Rekord für das Total bei den Männern auf 2042 Punkte geschraubt.
Im Vorfeld des Saisonstarts gehörten die grossen Schlagzeilen aber nicht dem überragenden Rennfahrer der Gegenwart. Marcel Hirscher monopolisierte das Interesse während Wochen. Fährt er? Fährt er nicht? Einmal hiess es, er komme überhaupt nicht mit dem Material zurecht und sei im Training sogar von der Neuseeländerin Alice Robinson distanziert worden. Dann wieder wurde berichtet, er rase auf dem Gletscher stärker als alle Österreicher. Im allerletzten Moment sagte er schliesslich: «Ich fahre!»
Allein die Tatsache, dass der achtfache Gewinner des Gesamtweltcups am Start steht, versetzt dem Zirkus Schockwellen. Fünf Jahre lang fuhr Hirscher keine Rennen, jetzt tritt er für die Niederlande an, die Heimat seiner Mutter. Es ist durchaus möglich, dass er im Riesenslalom schnell konkurrenzfähig wird und Odermatt herausfordert. Der 35-Jährige war in den fünf Jahren seit seinem letzten Rennen alles andere als untätig. Er entwickelte unter dem Markennamen Van Deer eigene Ski und testete diese auch.
Helmut Krug, der Trainer von Odermatt, erzählte dazu eine interessante Anekdote. Im vergangenen Winter habe Henrik Kristoffersen in Alta Badia reklamiert, das Set-up seines Van-Deer-Materials funktioniere nicht. Hirscher stieg darauf in die Ski und raste im unteren Teil des Steilhangs durch die Tore. Krug sah ihm zu und dachte : Wow! Das Rennen in Sölden wird zeigen, ob der Wow-Effekt über zwei ganze Läufe trägt.
Hirscher darf dank einer von der FIS im Hauruck-Verfahren eingeführten Regel schon mit Nummer 31 starten. Lucas Braathen, der zweite Rückkehrer, muss sich länger gedulden. Er fehlte bloss ein Jahr, die Sonderregel gilt erst ab zweijähriger Absenz. Auch er fährt nun für das Land seiner Mutter, Brasilien. Braathen feierte den ersten Sieg 2020 in Sölden, er ist erst 24 und dürfte sehr bald wieder ganz vorne mitmischen.
Braathen ist ein Paradiesvogel, der nicht nur schnell Ski fährt, sondern auch mit lackierten Fingernägeln und Charisma auffällt. Vor seinem Comeback sagte er, dass er den Sport verändern wolle. Es gehe um Entertainment, er sei ein Showman. Dazu passt, dass zu seinem Privatteam ein Fotograf und Videofilmer gehört, der Braathen in den sozialen Netzwerken in Szene setzen wird.
Die Ziele von Hirscher sind anders formuliert. Als er sein Comeback ankündigte, sagte er, dass er während seiner Karriere stets erfolgsorientiert gearbeitet und dabei viel Energie verpufft habe. Einmal sagte er sogar, er sei nahe an einem Burnout gewesen. Jetzt wolle er einfach aus Spass Rennen fahren und die Atmosphäre im Skizirkus geniessen. Man darf das bezweifeln, wenn man gesehen hat, mit wie viel Hingabe er arbeitete, bis er endlich das Gefühl hatte, er sei bereit.
Mit Caipirinhas beschwingt in die Saison
Was Hirscher und Braathen aber gemeinsam haben, ist der perfekt inszenierte Auftritt. Braathen lud vor dem ersten Rennen zu Caipirinhas und Häppchen in einer exklusiven Location auf über 3000 Metern über Meer; Hirscher befeuerte die Medien mit seiner Hinhaltetaktik und Geschwurbel auf Servus-TV. 2022 hatte er die Aufmerksamkeit bereits monopolisiert, als er in Kitzbühel als Vorfahrer über die Streif raste. Auch das vorgeblich nur zum Spass.
Tatsächlich war das auch eine Werbeaktion von Red Bull. Der Getränkekonzern ist Sponsor von Hirscher und Miteigentümer der Skifirma Van Deer. 2023 blochte auch Lindsey Vonn über die Streif – oder zumindest über ein paar in der Nacht ausgeleuchtete Schlüsselstellen. Die Amerikanerin ist ebenfalls Werbeträgerin von Red Bull.
Es ist deshalb wohl kein Zufall, dass auch sie anscheinend ein Comeback ins Auge fasst. Die 40-Jährige liess sich ein neues Kniegelenk verpassen und fühlt sich nun wieder beflügelt. Ihr Ausrüster Head hat ihr mit Chris Krause einen Servicemann zur Seite gestellt, der unter anderem mit Didier Cuche, Bode Miller und Lara Gut-Behrami grosse Erfolge feierte.
Hinter dem ganzen Wirbel um die Comebacks steht als wesentlicher Treiber Red Bull. Der Konzern sah den Sport schon immer als Marketinginstrument und deshalb auch als Spektakel. Auch Odermatt steht auf der Gehaltsliste der Österreicher, sein Vertrag wurde vor dem Saisonstart um mehrere Jahre verlängert.
Es ist nicht ohne Ironie, dass ein Unternehmen von aussen dem Kernprodukt der wenig innovativen FIS zu mehr Aufmerksamkeit verhilft. Ob es allerdings gelingt, den alpinen Rennsport zu globalisieren, wie immer wieder fabuliert wird, bleibt fraglich. Es sind die Medien der alpinen Kernländer, die einen Wirbel um Hirscher und Braathen verursachen. In den Niederlanden und Brasilien kann wohl kaum jemand ihre Namen buchstabieren.