Für Harold James, Wirtschaftsprofessor an der Princeton University, bleibt der Markt der letzte wirksame Regulator von US-Präsident Donald Trump. Im Interview spricht er über den Vertrauensverlust, den Trump erlitten hat und die Folgen für die Finanzmärkte.
US-Präsident Donald Trump hat einen Handelskrieg gegen China vom Zaun gebrochen, enge Verbündete mit Strafzöllen vor den Kopf gestossen und die internationalen Finanzmärkte in eine schwierige Lage gebracht. In der Folge gaben die globalen Aktienmärkte deutlich nach, während die Renditen von US-Staatsanleihen stiegen und der Dollar an Wert verlor. Mit der Aussetzung einzelner Zölle versucht die US-Regierung nun, die Märkte zu beruhigen.
Harold James, Wirtschaftsprofessor an der US-Universität Princeton, bekräftigt im Interview seine Einschätzung, dass der Markt der letzte Regulator von Donald Trump sei. Insbesondere die Entwicklung der kurzfristigen US-Staatsanleihen habe Druck auf Trumps Politik ausgeübt und ihm möglicherweise – ausgelöst durch eine selbstverschuldete Vertrauenskrise – einen «Truss-Moment» beschert.
Der Handelskonflikt und protektionistische Massnahmen bedrohten globale Lieferketten und könnten die USA in eine Stagflation führen, warnt James. Trumps Politik sei ideologisch motiviert und geopolitisch gefährlich, da sie zentrale Strukturen wie die Rolle des Dollars in Frage stelle. Europa müsse strategisch reagieren – nicht mit Zöllen, sondern mit einer gezielten Industrie- und Kapitalmarktpolitik.
Mit der Aussetzung einzelner Zölle versucht US-Präsident Donald Trump die Märkte zu beruhigen, nachdem er in einem Rundumschlag Strafzölle gegen die ganze Welt verhängt hatte. Herr James, Sie haben im Februar in einem Interview mit der «Neuen Zürcher Zeitung» gesagt, der Markt sei vielleicht der letzte Regulator von Donald Trump. Bestätigt sich das jetzt?
Ja, das glaube ich nach wie vor. Es war vor allem die Entwicklung an den Anleihemärkten, insbesondere bei den kurzfristigen Treasury Bills, die massgeblich zur teilweisen Kursänderung der Trump-Politik beigetragen hat. Allerdings scheint dieser Kurswechsel bislang wenig Wirkung zu zeigen. Die Nervosität an den Märkten bleibt hoch, insbesondere risikobehaftete Papiere geraten unter Druck.
Ist dies Ausdruck einer tiefer liegenden Vertrauenskrise?
Es geht nicht nur um die Zölle. Es ist eine grundsätzliche Vertrauenskrise – in die Institution des Präsidenten, in langjährige Partnerschaften, von denen man annahm, sie seien verlässlich. Die Zolldiskussion ist nur ein Teilaspekt. Trumps Sicht auf die Welt – stark beeinflusst durch Berater wie Peter Navarro – spiegelt sich in einer destruktiven und chaotischen Handelspolitik. Die Argumentation lautet, dass der Dollar seit den 1970er-Jahren wegen massiver Käufe amerikanischer Schuldtitel durch andere Staaten überbewertet sei und dass dies die Wettbewerbsfähigkeit amerikanischer Exporte beeinträchtige.
Was ist die Konsequenz dieser Weltsicht?
Daraus ergeben sich teils radikale Vorschläge, etwa die kurzfristigen Treasury Bills in hundertjährige Anleihen umzuwandeln – teilweise sogar zwangsweise. Das träfe den Kern des globalen Finanzsystems: Treasury Bills sind zentrale Instrumente zur Bereitstellung von Liquidität. In den letzten Tagen waren es weniger ausländische Investoren als vielmehr Hedgefonds und Private-Equity-Gesellschaften, die aus Liquiditätsgründen verkauft haben. Dadurch wurde dem Finanzsystem – nicht nur dem amerikanischen, sondern dem globalen – plötzlich Vertrauen und Stabilität entzogen.
Welche Parallelen zur Vergangenheit lassen sich ziehen?
Eine solche Entwicklung erinnert an die Finanzkrise in Grossbritannien unter der damaligen Premierministerin Liz Truss im Jahr 2022. In den USA spricht man bereits offen von einem möglichen «Truss-Moment».
Die Pläne von Premierministerin Liz Truss für Steuersenkungen und höhere Schulden liessen die Gilt-Renditen in die Höhe schnellen, zwangen sie zu einer Kehrtwende und führten zu milliardenschweren Interventionen der Zentralbank. Nach nicht einmal zwei Monaten trat sie zurück. Das bedeutet in der Konsequenz: Der Druck auf Trump wird bleiben.
Ja, definitiv. Und dieser Druck kommt von den Märkten und über die Märkte auch von den Wählern und dem Kongress. In den USA sind die Renten meist nicht garantiert, sondern abhängig vom Marktwert der Anlagen. Wenn die Menschen ihre Quartalsauszüge sehen und feststellen, dass ihre Altersvorsorge dahinschmilzt, erzeugt das Unsicherheit – und Wut. Je näher die Zwischenwahlen im November 2026 rücken, desto nervöser werden die Republikaner und desto grösser wird der Druck auf den Präsidenten.
Das ist die politische und finanzmarktseitige Dimension. Gleichzeitig eskaliert der Handelskonflikt mit China – was auch die globalen Lieferketten massiv unter Druck setzt. Ein Schock?
Absolut. Der amerikanische Finanzminister Scott Bessent betonte zwar, wie viel mehr China in die USA exportiert als umgekehrt, aber er übersieht, dass China der Hauptlieferant strategisch wichtiger Rohstoffe ist, etwa seltener Erden. Und genau hier setzt China mit Ausfuhrbeschränkungen an. Das schafft Engpässe in den Lieferketten – ein Punkt, den wir seit 2020 kennen: Die Lieferkette ist die Achillesferse der globalen Integration. Wer an einem solchen Knotenpunkt sitzt, kann ihn als politisches Druckmittel nutzen.
Am Ende schadet das den USA und China.
Ja, und andere Länder – etwa Vietnam, Mexiko oder Kambodscha – könnten kurzfristig als Zwischenhändler profitieren. Einige wurden jedoch bereits von den USA ebenfalls mit hohen Zöllen belegt. Diese Umlenkung funktioniert also nur begrenzt.
Trump will die Industriearbeitsplätze zurückholen, gleichzeitig aber die Immigration massiv einschränken. Ein Widerspruch?
Natürlich. Zum einen schafft Reindustrialisierung nicht die erhoffte Zahl an Arbeitsplätzen – etwa in der Automobilindustrie, wo heute vieles automatisiert abläuft. Zum anderen wird die Landwirtschaft massiv unter Druck geraten, nicht wegen der Zölle, sondern wegen der Migrationspolitik. Die Ausweisung von illegalen Einwanderern trifft die Bauern in Obst- und Gemüseanbaugebieten. Das wird zu Knappheiten und Preissteigerungen führen – ein Effekt, den die Konsumenten sehr deutlich spüren werden. Alles deutet auf eine Stagflation in den USA hin.
Der Protektionismus weckt Erinnerungen an die Dreissigerjahre. Allerdings nimmt Trump nicht das Smoot-Hawley-Zollgesetz aus der Zeit der Grossen Depression zum Vorbild.
Trump verweist eher auf die protektionistischen Zölle unter Präsident William McKinley am Ende des 19. Jahrhunderts. Nur war die Welt damals eine völlig andere – mit wenigen Industrieländern und vielen Rohstofflieferanten. Heute leben wir in einer hochgradig verflochtenen, arbeitsteiligen Weltwirtschaft. Ein iPhone enthält Komponenten aus über 25 Ländern – darunter auch aus der Schweiz. Eine «Made in America»-Strategie lässt sich nicht einfach umsetzen und würde das iPhone massiv verteuern. Und man sah sehr schnell die Konsequenz daraus: Die amerikanische Bevölkerung und die Industrie sträubten sich gegen die Zölle, und die Regierung könnte ihre Position nicht aufrechterhalten und musste Smartphones und Laptops von den Zöllen befreien.
Was treibt Trump ideologisch an?
Zum Teil ist die Haltung biografisch geprägt. In den Achtzigerjahren war das Feindbild noch Japan – mit ähnlicher Rhetorik über Handelsdefizite und «Wirtschaftskriege». Es gibt sogar die Anekdote, dass Trump bei einer Auktion in New York ein Piano aus dem Film Casablanca erwerben wollte – aber ein japanischer Bieter bekam den Zuschlag. Das hat seine Ablehnung noch verstärkt.
Aber China ist geopolitisch ein ganz anderes Kaliber als Japan damals.
Ganz klar. China ist grösser, hat noch Arbeitskräftepotenzial, kontrolliert strategische Rohstoffe, ist militärisch bedeutsam. Es ist nicht nur wirtschaftlich, sondern geopolitisch eine Macht mit globalem Einfluss. Und ja, Trump unterschätzt dabei oft, wie viel China tatsächlich in der Hand hat.
Welche Rolle sehen Sie für Europa in dieser Konstellation?
Ich sehe einen gewissen positiven Effekt dieser Schockmomente – sowohl durch den US-Präsidenten Trump als auch durch den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Europa rüstet auf, erkennt die Notwendigkeit eigener Sicherheitsstrukturen. Was ursprünglich Trumps Ziel war – Europa soll mehr für Verteidigung zahlen –, war auch der Versuch, amerikanische Rüstungsgüter zu verkaufen. Nun erkennt Europa die Unsicherheit amerikanischer Bündnisse und beginnt, eigene Strukturen zu schaffen – mit Koordination zwischen den nationalen Rüstungsindustrien, was enorme Effizienzgewinne ermöglichen kann.
Also auch ein Moment, der Einigkeit schafft?
Zumindest in Teilen. Natürlich gibt es Unterschiede, Länder näher an Russland zum Beispiel fühlen sich stärker bedroht. Aber die Rüstungskooperation könnte auch als europäische Industriepolitik fungieren, mit vielen technologischen Spin-offs. Es geht nicht mehr nur um Panzer, sondern um Drohnen, Cyberabwehr, KI – also um moderne Technologien mit Innovationspotenzial.
Was würden Sie Entscheidungsträgern in Europa derzeit raten?
Nicht mit Zöllen antworten. Besser wären steuerliche Massnahmen, die Kapital stärker an Europa binden. Beispielsweise könnte man Erträge aus nicht-europäischen Anleihen höher besteuern. Das würde auch die europäische Kapitalmarktunion stärken, und es liesse sich rhetorisch elegant formulieren: «Lieber Herr Trump, wir helfen Ihnen, Ihre Handelsbilanz zu verbessern, indem wir weniger Kapital in den USA investieren.»
Das würde den Dollar weiter schwächen.
Was einige in Trumps Umfeld sogar begrüssen würden. Aber sie bedenken nicht, wie stark dies die globale Stabilität gefährden kann. Ein Rückzug aus dem Dollar als Leitwährung hätte massive, kaum kalkulierbare Folgen. Insbesondere steigt die Gefahr einer grösseren Finanzkrise, da nun erhebliche Unsicherheit über das Fundament der Finanzordnung besteht: die US-Staatsanleihen (T-Bills), die als zentrale Grundlage globaler Liquidität gelten.
Sie halten dieses Szenario für realistisch?
Ja, leider. Es ist bereits zu viel gesagt worden, um es einfach zurückzunehmen.
Der Rubikon ist überschritten?
Ja, die Würfel sind gefallen.
Harold James
Harold James zählt zu den international renommiertesten Wirtschaftshistorikern. Der 1956 geborene Brite lehrt und forscht an der Princeton University in den USA, wo er eine Professur für Geschichte und internationale Politik innehat. Besonders bekannt wurde James durch seine Arbeiten zur deutschen Wirtschaftsgeschichte und zur Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. Ein weiterer Schwerpunkt seiner Forschung liegt auf der Geschichte der Globalisierung – ein Thema, dem er sich auch in seinem jüngsten Buch widmet: «Schockmomente. Eine Weltgeschichte von Inflation und Globalisierung, 1850 bis heute.»