Die neue Labour-Regierung will den Erbadel endgültig aus dem House of Lords werfen. Graf Charles Courtenay, der einen der ältesten Adelstitel Englands führt, bekämpft die Reform – mit bemerkenswerten Argumenten.
Charles Peregrine Courtenay wirkt nicht so, wie man sich einen Angehörigen des englischen Erbadels gemeinhin vorstellt. Zum Video-Interview erscheint er mit einem dicken Wollpullover und einem Halstuch. Sein Schloss, das Powderham Castle in der südwestenglischen Grafschaft Devon, lasse sich kaum vernünftig heizen, erklärt er lachend, weshalb sich die Temperaturen in seinem Arbeitszimmer winterlich anfühlten.
Lieber «Charles» statt «My Lord»
Ein blinder Traditionalist ist Courtenay nicht. Nach dem Besuch der privaten Eliteschule Eton und der Universität Cambridge arbeitete er zehn Jahre als Patentanwalt in Los Angeles, wo er eine amerikanische Schauspielerin heiratete. 2014 kehrte er mit seiner Frau, von der er sich inzwischen getrennt hat, und den beiden Kindern nach Grossbritannien zurück. Kurze Zeit später starb sein Vater, worauf er den Titel des Grafen von Devon erbte. Es ist dem 49-Jährigen allerdings bis heute lieber, wenn man ihn mit «Charles» anspricht und nicht mit der förmlichen Anrede «My Lord».
Der 19. Earl of Devon blickt mit Stolz auf seine Familiengeschichte zurück, die mit der Geschichte Grossbritanniens und Europas eng verflochten ist. Der Graf von Devon gehört zu den ältesten Erbtiteln im Vereinigten Königreich und wurde einem Ahnen Courtenays im 12. Jahrhundert nach einem Erbfolgekrieg um den englischen Thron verliehen. Auf dem Familienwappen ist ein goldener Schild mit drei Bluttropfen zu sehen – eine Erinnerung an die Beteiligung von Courtenays Vorfahren an den Kreuzzügen im Heiligen Land.
Als Vertreter des Erbadels gehört Courtenay dem House of Lords an – wahrscheinlich als Letzter seiner Familie. Ursprünglich durften alle rund 800 Träger eines vererbbaren britischen Adelstitels im Oberhaus Einsitz nehmen. Doch 1999 begrenzte Labour-Premierminister Tony Blair im Zuge einer Reform die Zahl der Erblords im Parlament auf 92. Als 2018 nach einem Todesfall einer dieser Sitze frei wurde, kandidierte Courtenay und wurde durch einen Ausschuss der adligen Lords gewählt. «Wir Erblords sind die einzigen Oberhausabgeordneten, die sich einer Wahl stellen müssen», sagt Courtenay schmunzelnd.
Tatsächlich werden die übrigen Oberhausabgeordneten ernannt. So finden sich in der zweiten Parlamentskammer anglikanische Bischöfe und Vertreter der Zivilgesellschaft, die aufgrund ihrer beruflichen Verdienste ins House of Lords berufen wurden. Die Mehrheit stellen indes ehemalige Minister und politische Berater. Sie wurden von Premierministern unterschiedlicher Couleur als Dank für ihre Loyalität und ihre Verdienste mit einem nicht vererbbaren Lord-Titel und einem Platz im Oberhaus beehrt.
Das Oberhaus hat weniger Kompetenzen als das demokratisch gewählte Unterhaus. Seine Hauptaufgabe ist es, Vorschläge aus dem Unterhaus auf Herz und Nieren zu prüfen und zu verbessern. Sie können ein Gesetz verzögern, ein Vetorecht haben die Lords aber nicht. Nun hat die Labour-Regierung von Premierminister Keir Starmer eine Reform des Oberhauses lanciert, welche die verbleibenden 92 Erblords aus dem Westminster-Palast verbannen will. Im 21. Jahrhundert sei es «nicht mehr zu rechtfertigen», dass Adlige aufgrund des Privilegs ihrer Geburt im Parlament mitbestimmten.
Erster Schritt auf dem Weg zur Republik?
Courtenay widerspricht. Er plädiert an Vorträgen und in Zeitungsartikeln für die Beibehaltung der Erblords. «Wir gehören seit mehr als tausend Jahren zur britischen Kultur», sagt er. «Wir leben in einer Erbmonarchie, und Vererbung von Eigentum ist in unserer Gesellschaft verankert. Da ist auch eine kleine Vertretung des Erbadels in der zweiten Parlamentskammer nicht unangebracht.»
Courtenay argumentiert, die Verbannung des Erbadels aus dem Parlament sei ein erster Schritt auf dem Weg zur
Republik. Die Herzoge, Grafen und Barone bildeten eine Art politische Schutzschicht für den König. «Sobald man das Erbprinzip in der britischen Verfassung nicht mehr als legitim anerkennt, gerät die Erbmonarchie ins Wanken», meint er.
Meinungsumfragen relativieren Courtenays Sorge freilich. Im Oktober sprachen sich 62 Prozent der Bevölkerung gegen den Einsitz des Erbadels im Oberhaus aus. Demgegenüber befürwortet eine Mehrheit die Monarchie – nur 16 Prozent der Briten sind der Meinung, dass ein königliches Staatsoberhaupt schlecht für Grossbritannien sei.
Weiter argumentiert Courtenay, dass die Präsenz des Erbadels eine positive Wirkung auf die Gesetzgebung entfalte. Als Besitzer von Ländereien mit Land- und Forstwirtschaft bringe er sich oft zu Themen rund um Klimaschutz und Nachhaltigkeit ein. «Angehörige des Erbadels denken in einem Zeithorizont von mehreren hundert Jahren», sagt er. «Unternehmer und Politiker hingegen orientieren sich an kurzen Geschäftszyklen und Legislaturperioden.»
Nicht zuletzt erklärt Courtenay, die politische Rolle des Erbadels sei ein schützenswerter Teil der britischen Identität. In vielen Weltgegenden versuche man vorkoloniale Kulturen zu bewahren, erklärt er. Er verweist auf Versuche in den USA, die Mitsprache indigener Stammesführer zu stärken, weil diese mit dem dortigen Land verbunden seien. «In England sind solche indigenen Funktionen nach wie vor präsent. Wenn wir eine diskriminierte Minderheit wären, würde man sagen, man dürfe unsere Stellung nicht beschneiden.»
Courtenay räumt ein, dass dieses Argument «anspruchsvoll» sei, zumal es sich beim englischen Erbadel nicht um eine bedrohte Volksgruppe handle. Etwa ein Drittel des Bodens im Vereinigten Königreich befindet sich gemäss Schätzungen im Besitz der Aristokratie. Grossbritannien gehört bis heute zu den europäischen Ländern mit den grössten sozialen und regionalen Ungleichheiten.
Weisse alte Männer
Der Graf von Devon ist parteipolitisch ungebunden und gehört nicht zu jenen, die jegliche Reform ablehnen. Doch wirft er Premierminister Starmer vor, mit der Verbannung der mehrheitlich konservativen Erblords keine strukturelle Veränderung anzustreben, sondern bloss einen «kurzfristigen Sieg» und eine Verschiebung der Mehrheitsverhältnisse im Oberhaus zugunsten von Labour.
Eine reformierte zweite Parlamentskammer müsste laut Courtenay die britischen Regionen vertreten oder Gesellschaftskreise, die im Unterhaus untervertreten sind. Durch den Ausschluss der Erblords werde das Oberhaus nicht grundlegend erneuert, betont er. Vielmehr nehme der Einfluss der gealterten Berufspolitiker zu, die von den Premierministern zum Karriereende berufen würden.
Courtenay weiss, dass er Starmers Reform nicht wird aufhalten können. Und er räumt ein, es wirke nicht mehr zeitgemäss, dass es sich bei den 92 Erblords ausschliesslich um alte weisse Männer handle. Bisher erfolglos plädiert Courtenay dafür, dass der König und das Parlament auch Frauen die Erbschaft eines Adelstitels ermöglichen. Dem 19. Earl of Devon ist es unangenehm, dass dereinst sein Sohn seine Grafschaft erben soll statt seiner erstgeborenen Tochter. Etwas peinlich berührt war Courtenay bereits, als der Adelstitel seines Vaters vor zehn Jahren an ihn überging – und seine drei älteren Schwestern leer ausgingen.