Romeo Lacher darf sein Amt trotz dem 600-Millionen-Franken Abschreiber auf den Signa-Krediten behalten. Im Gespräch wehrt er sich gegen den Vorwurf, die Kunden und Märkte mit einer Salamitaktik hingehalten zu haben.
Donnerstagmittag. Romeo Lacher hat die schwierigste Ergebnispräsentation seiner Karriere hinter sich. Der Verwaltungsratspräsident der Zürcher Privatbank Julius Bär musste am Morgen einen riesigen Abschreiber, den Rücktritt seines CEO Philipp Rickenbacher und eines Verwaltungsratsmitglieds bekanntgeben. Es ist der unrühmliche Höhepunkt in der Affäre um Kredite in der Höhe von 600 Millionen Franken, die Julius Bär dem österreichischen Investor René Benko gewährt und wahrscheinlich zu einem grossen Teil verloren hat.
Nun spricht Lacher mit der NZZ über die Zukunft der Bank. Das Ziel sei es, einen Schlussstrich unter die Angelegenheit zu ziehen und «jegliche Art von Unsicherheit zu eliminieren», sagt er. Eine lange Phase der Ungewissheit soll endlich zu Ende gehen.
Zwei Monate voller Ungewissheit
Am 20. November hatte Julius Bär eine Wertberichtigung von 70 Millionen Franken auf ihrem Kreditportfolio bekanntgegeben. Eine Woche später schob sie nach, rund 600 Millionen Franken an «ein europäisches Konglomerat» vergeben zu haben. Die Mitteilungen sollten die Anleger beruhigen – das Gegenteil trat ein.
Noch einmal zwei Tage später meldete die Signa-Holding von René Benko Insolvenz an. Es wurde immer klarer: Die Verluste für Julius Bär würden weit höher als 70 Millionen ausfallen. Der Aktienkurs der Bank fiel um über 10 Prozent. Die Spekulationen dauerten wochenlang an. Im Gespräch lässt Lacher durchblicken, dass man mit einer heftigen Reaktion gerechnet habe. «Wir haben erwartet, dass das nicht gut ankommen wird. Wir waren nicht blauäugig.»
Lacher wehrt sich aber gegen Kritik, dass Julius Bär bei der Bewältigung des Benko-Debakels eine Salami-Taktik betrieben habe. «Der Eindruck, dass wir am 15. November einfach den ganzen Betrag hätten abschreiben können, ist falsch.» Das sei rechtlich, buchhalterisch und aufsichtsrechtlich nicht möglich gewesen. Auch die Informationslage sei nicht ausreichend gewesen. «Wir konnten das nicht im luftleeren Raum machen.»
Das Vorgehen sei keine Hinhaltetaktik gewesen, sondern es sei um ein Aufbauen der richtigen Argumentationslinien gegangen – «damit wir das durch alle Instanzen verteidigen können». Jetzt seien alle Elemente zusammengekommen. «Es sind Puzzle-Teile, die ineinandergreifen müssen.»
Auf den ersten Blick scheint es, dass Lacher seinen Kopf noch einmal aus der Schlinge gezogen hat. Der Aktienkurs von Julius Bär zog am Donnerstag nach Bekanntgabe der Massnahmen zunächst an. Er muss auf seinen Bonus für das Jahr 2023 verzichten, darf aber Verwaltungsratspräsident bleiben.
Obwohl er dabei war, als der Risikoausschuss des Bär-Verwaltungsrates die Benko-Kredite absegnete, darf er nun einen Nachfolger für den im «gegenseitigen Einvernehmen» abgetretenen Rickenbacher suchen. Doch wie lange er seine Position halten kann, ist offen.
Jahrzehnte in der zweiten Reihe
Lacher, Jahrgang 1960, startete seine Bankkarriere im Jahr 1990 bei der Credit Suisse, als diese noch Schweizerische Kreditanstalt hiess. Der promovierte HSG-Ökonom verbrachte 26 Jahre bei der Escher-Bank, war im Marketing, im Produktmanagement, im Retailbanking und in der Vermögensverwaltung tätig. Er erarbeitete sich einen Ruf als verlässlicher, manchmal etwas technokratischer Banker. Aber er schaffte es nie über die zweithöchste Führungsebene hinaus. Zuletzt war er Betriebschef in der internationalen Vermögensverwaltung der CS.
Den Sprung in die erste Liga des Schweizer Finanzplatzes schaffte er, als er 2016 zum Verwaltungsratspräsident der Schweizer Börsenbetreiberin SIX gewählt wurde. Dort legte er die Basis für die Übernahme der spanischen Börse, wechselte aber nach nur zwei Jahren zu Julius Bär.
«Das stört mich persönlich»
Lacher sollte einen Schlussstrich unter die skandalreichen, von Geldwäscherei-Affären geprägten Jahre unter dem früheren CEO Boris Collardi setzen. Doch der neue Verwaltungsratspräsident schwor die Bank auch auf einen Wachstumskurs ein. Ziel: 1000 Milliarden Franken verwaltete Vermögen bis im Jahr 2030 gegenüber 427 Milliarden heute.
In der Öffentlichkeit legte Lacher Wert darauf, dass man Julius Bär nicht in den gleichen Topf mit den Grossbanken wirft. «Das stört mich persönlich», sagte er im Mai 2023 in einem Interview mit der Online-Plattform «finews». Julius Bär habe im Gegensatz zur UBS ein einfaches Geschäftsmodell und ein anderes Risikoprofil. «Wir machen nur Wealth Management – wir haben kein Investment Banking, kein Asset Management, kein Retail- oder Kommerzgeschäft.»
Wie sich nun aber zeigt, stimmte das nicht ganz. Just zur Zeit seines Antritts im Jahr 2019 begann Julius Bär damit, ihren wohlhabendsten Kunden noch mehr strukturierte Finanzierungen anzubieten. Vermehrt akzeptierte Julius Bär als Sicherheiten auch Aktien von Unternehmen, die nicht an der Börse kotiert sind – so auch im Fall Benko. «Private Debt» nannte die Bank solche Geschäfte. Diese sind aber mit erheblichen Risiken verbunden und erinnern ans Investment Banking.
Beobachter werten den missglückten Ausflug von Julius Bär in riskantere Gefilde auch als Symptom des verstärkten Wettbewerbs- und Margendrucks in der Finanzbranche. Als Konsequenz aus der Affäre vergibt Julius Bär in Zukunft keine solchen Kredite mehr. «Wir betreiben künftig im Rahmen unseres Kreditangebots nur noch Hypothekengeschäfte und das gut diversifizierte Lombardgeschäft», sagt Lacher. Das Kapitel «Private Debt» ist abgeschlossen.
Interimistisch übernimmt Nic Dreckmann den Chefposten von Philipp Rickenbacher. Der definitive Nachfolger solle allerdings von extern kommen, «nachdem die letzten drei CEO von intern gekommen sind», sagt Lacher.
Doch: Auch der Präsident selbst war über die Geschäfte seiner Bank mit Benko im Bilde. Er kann seinen Posten laut Quellen im Umfeld der Bank Bär auch deshalb behalten, weil es zu viel Unsicherheit schüren würde, wenn CEO und Verwaltungsratspräsident gleichzeitig abtreten müssten.
Im kommenden Jahr erreicht Lacher das Pensionsalter. Wie lange er im Amt bleiben wird, lässt er offen: «Ich bin mit Herz und Seele bei Julius Bär. Solange Julius Bär mich brauchen kann und ich mich mit vollen Kräften einsetzen kann, bin ich Verwaltungsratspräsident.»