Salzburg ist ein barockes Idyll, das stolz ist auf seinen Ruhm als Kulturstadt. Ausgerechnet hier könnte der Kommunist Kay-Michael Dankl Bürgermeister werden. Über ein Gespenst, vor dem sich nur wenige fürchten.
Auf den ersten Blick wirkt Salzburg wie eine konservative Hochburg, ein Hort von Bürgertum und Wohlstand. In der barocken Altstadt drängen sich die Menschen vor allem an den Wochenenden an Luxusgeschäften, traditionsreichen Confiserien und mancher Trachten-Boutique vorbei. In einem Schaufenster wird eine Kinderlederhose für 469 Euro angeboten. Ein paar Schritte weiter bei Stassny kosten die Dirndl vierstellige Summen. Sie seien ja auch handgemacht am nahen Attersee, erklärt die Verkäuferin. Und anders als in Wien trage man hier Tracht nicht nur für bestimmte Anlässe, sondern im Alltag.
An jeder Ecke begegnet einem das Konterfei Mozarts, der als Werbegesicht für die nach ihm benannten Schokoladekugeln herhalten muss. Der berühmteste Sohn der Stadt war häufiger Gast im Café Tomaselli, das damals noch anders hiess, aber als das älteste Kaffeehaus Österreichs gilt. Die Idee für die Festspiele, die jeden Sommer die nationale und internationale Elite nach Salzburg strömen lassen, soll hier entstanden sein.
Unter Kronleuchtern und historischen Gemälden bekannter Kaffeesieder an den Wänden ist trotz den hohen Preisen jeder Tisch besetzt an diesem Nachmittag. Eine Kellnerin in weisser Schürze ist ausschliesslich damit beschäftigt, Mehlspeisen aus der Vitrine auf Teller zu heben, die ihr Kollege zu den Gästen bringt. Nichts deutet darauf hin, dass hier eine Revolution bevorstehen könnte.
Die Wiederbelebung beginnt in der Steiermark
Doch in Salzburg geht das Gespenst des Kommunismus um – so stellen es zumindest die Parteien rechts der Mitte dar. «Es geht um alles!» heisst es auf den Plakaten der konservativen ÖVP für die Kommunalwahl am 10. März. Expliziter noch ist die rechtspopulistische FPÖ, die vor einem «Linksrutsch» warnt und dabei das I mit einem Hammer ersetzt, das C mit einer Sichel.
Tatsächlich dürfte die Kommunistische Partei (KPÖ) bei der Gemeinderatswahl stark zulegen. Sie hat zwar auf Bundesebene seit über sechzig Jahren keine Relevanz mehr und schied in der Folge auch aus allen Landtagen aus. Ende der neunziger Jahre gelang dem charismatischen Sozialpolitiker Ernest Kaltenegger jedoch in der Steiermark eine Wiederbelebung. Mit einem Fokus auf Wohnpolitik ist die KPÖ seit 2005 wieder im Landtag, und 2021 wurde Kalteneggers politische Ziehtochter Elke Kahr in der Hauptstadt Graz sogar zur Bürgermeisterin gewählt.
Dieser Erfolg galt stets als lokales steirisches Phänomen, das sich auf Kalteneggers Arbeit zurückführen liess. Mit Salzburg könnte nun aber eine zweite Landeshauptstadt einen kommunistischen Bürgermeister erhalten. Belastbare Umfragen gibt es zwar nicht, aber laut internen Befragungen der ÖVP und der Sozialdemokraten (SPÖ) soll der KPÖ-Kandidat Kay-Michael Dankl in Führung liegen – die Frage wäre damit nur noch, wer mit ihm in die Stichwahl von Ende März zieht.
Überraschen würde das in Salzburg niemanden mehr. Bei der Landtagswahl vor einem knappen Jahr legte die KPÖ von 0,4 auf fast 12 Prozent Stimmenanteil zu, Dankl zog mit drei Parteifreunden in den Landtag ein. Eine Sensation war dabei das Ergebnis in der Stadt Salzburg: Die Kommunisten kamen auf 21,5 Prozent der Stimmen und damit auf den zweiten Platz hinter der ÖVP.
Dass die Warnungen der politischen Konkurrenz nicht recht verfangen, hat damit zu tun, dass das kommunistische Gespenst ein 35-jähriger Historiker ist, der neben der Politik im Stadtmuseum Führungen macht und der sich nach der Geburt seiner Tochter kürzlich im «Papa-Monat» von den «Salzburger Nachrichten» besuchen liess. Dankl spricht differenziert, argumentiert sachlich und entspricht so kaum dem Bild eines ideologischen Eiferers. Anders als Kahr war er auch nicht immer Kommunist, sondern zunächst bei den Grünen. Als diese ihre Parteijugend nach einem internen Zerwürfnis 2017 hinauswarfen, schloss sich die Gruppe den Kommunisten an, die seither in Salzburg als KPÖ Plus auftritt.
Der Politikwissenschafter Franz Fallend, der an der Universität Salzburg lehrt, sieht darin eine Erklärung für den Erfolg. Das politische Klima im Bundesland sei konsensorientiert und tendiere zur Mitte, sagt er im Gespräch. Extreme Positionen hätten es schwer.
Ein Teil des Lohns wird verschenkt
Dankl tritt nicht nur besonnen auf, sondern grenzt sich auch von umstrittenen Ansichten ab, mit denen Elke Kahr schon aufgefallen ist. Unlängst verharmloste die Grazer Bürgermeisterin in einem Interview das kommunistische Regime in China, die Sanktionen gegen Russland lehnt sie ab. Dankl nennt das Regime in Peking gegenüber der NZZ eine Diktatur und den Krieg gegen die Ukraine einen völkerrechtswidrigen Angriff. Auch von Propagandareisen, die Abgeordnete der steirischen KPÖ nach Weissrussland und in den Donbass unternahmen, distanziert er sich. Er stehe klar an der Seite Kiews.
Man könne nicht die Augen verschliessen vor den Verbrechen, die im 20. Jahrhundert im Namen des Kommunismus begangen worden seien, sagt der 35-Jährige. In Österreich sei die Tradition indes eine andere: Hier hätten die Kommunisten zwei Diktaturen bekämpft, zunächst den Austrofaschismus und dann das Nazi-Regime. Gemeinsam mit SPÖ und ÖVP habe man die Zweite Republik gegründet. Für ihn sei die Lehre aus der Vergangenheit, für mehr Demokratie einzutreten.
Allerdings positioniert sich Dankl pointiert links. Auf den Kapitalismus solle ein gerechteres System folgen, ohne Ausbeutung von Mensch und Natur. Es gebe Bereiche des täglichen Lebens, bei denen nicht die Gewinnmaximierung im Vordergrund stehen dürfe – etwa beim Wohnraum oder bei der Energie.
Das seien die Kernthemen der KPÖ und auch diejenigen, die in den Sprechstunden am häufigsten angesprochen würden, erzählt Dankl. Wie einst von Kaltenegger in der Steiermark eingeführt, kennt auch die KPÖ in Salzburg eine Gehaltsobergrenze für ihre Mandatare. Was über dem durchschnittlichen Facharbeiter-Lohn von 2300 Euro liegt, geben diese ab. Das Geld wird im Rahmen von Sozialberatungen an Menschen in Notlagen verteilt. Über 45 000 Euro waren es im letzten Jahr.
Fünf bis zehn solcher Sprechstunden hält Dankl wöchentlich ab. Primär versuche man, Informationen zu vermitteln, die richtige Anlaufstelle zu finden oder beim Ausfüllen von Formularen zu helfen. Reiche das nicht, gibt es Geld. Meistens gehe es um die Miete oder Energiekosten, erzählt Dankl. Manchmal aber auch einfach darum, dass jemand zuhöre.
Nachhaltig ist dieses Modell nicht. «Es ist kein Ersatz dafür, Probleme politisch anzugehen», räumt Dankl ein. Aber man stosse in den Sprechstunden auf Probleme oder bürokratische Hürden, die man sonst nicht erkennen würde. So habe die KPÖ erreicht, dass Salzburg einen Kautionsfonds geschaffen habe, der Mieter mit wenig Einkommen beim Wohnungswechsel unterstütze. Der Antrag sei im Gemeinderat einstimmig beschlossen worden.
«Wo KPÖ draufsteht, ist Kommunismus drin»
Dass Dankl einen Teil seines Gehalts spende, verleihe ihm Glaubwürdigkeit – gerade in einer Zeit der Krisen, in der das Vertrauen in die Politik erodiert ist, meint der Politikwissenschafter Fallend. Die immer noch hohe Inflation und die Wohnkosten, die nur in Innsbruck noch höher sind als in Salzburg, beschäftigten die Menschen derzeit am meisten. Es seien eminent soziale Fragen, welche die KPÖ derzeit besser anzusprechen vermöge als die SPÖ, die jahrzehntelang die dominante Partei in der Stadt war.
Dazu kommt laut Fallend der Charme des Neuen, der in Österreich immer wieder verfängt. Die Analyse der Landtagswahl vor einem Jahr ergab, dass die KPÖ wie auch die FPÖ überdurchschnittlich oft von Menschen gewählt wurden, die mit der Politik unzufrieden sind. Dabei fällt auf, dass die Freiheitlichen vor allem bei Wählenden mit tiefem Bildungsniveau sehr gut abschneiden, die Kommunisten dagegen bei jenen mit hoher formaler Bildung. Sie sind die Protestpartei der Akademiker.
Schliesslich betont Fallend, dass Dankl umgänglich sei und es verstehe, einen Draht zur Bevölkerung herzustellen. Das zeigt sich in einer Umfrage der Regionalmedien Salzburg, wonach 79 Prozent der Befragten ihm vertrauen. Das ist ein weit besserer Wert als etwa der des Bundespräsidenten, des landesweit traditionell vertrauenswürdigsten Politikers.
Der Konkurrenz bleibt deshalb vor allem das Label Kommunismus als Angriffsfläche. Florian Kreibich möchte für die ÖVP das Bürgermeisteramt verteidigen, das die Konservativen seit einem Spekulationsskandal und dem Rücktritt des langjährigen SPÖ-Stadtchefs Heinz Schaden innehaben. Am wöchentlich stattfindenden Schrannenmarkt schüttelt er Hände und verteilt Flyer, traditionell gekleidet mit einem Trachtenjanker unter der Steppjacke. «Wir sind die Alternative der Mitte», sagt er, während die KPÖ mit Umverteilung von oben nach unten zur Polarisierung beitrage. Überhaupt sieht der jetzige Vize-Bürgermeister wenig Grund für das gemässigte Bild, das viele von Dankl haben. «Wo KPÖ draufsteht, ist Kommunismus drin. Das lässt sich nicht ändern.»
Kreibich sieht den Ruf Salzburgs als Weltstadt gefährdet, sollte ein Kommunist Bürgermeister werden, und sich selbst am ehesten geeignet, dies zu verhindern. Es gehe um die «K-Frage», erklärt er deshalb oft: Kreibich oder Kommunismus. Viele fürchteten Letzteren zu Recht. Es sei nicht so lange her, dass Millionen von Menschen vor dieser Ideologie geflohen seien. Dann verabschiedet er sich, er muss zu einer Jagd-Messe, die gerade im Messezentrum stattfindet – ein Anlass für das bürgerliche Salzburg.
Ein Anzug für Hochzeiten und Begräbnisse
Dankl steht derweil mit zwei Mitstreitern und einem Lastenrad ein paar Meter weiter. Um ihn hat sich eine Traube von Marktbesuchern gebildet, die ein paar Worte mit ihm wechseln wollen. Ein Mann mittleren Alters wird zwar die ÖVP wählen, «wie immer». Er macht trotzdem ein Foto. Das sei für seine Tante. «Die schwärmt so von ihm.» Sorgen bereitet ihm die Garderobe Dankls, der immer in T-Shirt oder Pulli auftritt. Immerhin sei Salzburg eine Kulturstadt, und bei den Premieren der Festspiele solle Smoking getragen werden. Er habe einen Anzug, erwidert der KPÖ-Kandidat, «für Hochzeiten und Begräbnisse».
Eine Rentnerin klagt über die hohe Miete ihrer Tochter. 1500 Euro zahle sie für 50 Quadratmeter, und Wohnbeihilfe bekomme sie auch nicht. Dankl vereinbart einen Termin mit ihr und erklärt den Weg in sein Büro im Schloss Mirabell gegenüber dem Marktplatz. «Zaubern kann ich nicht, aber vielleicht fällt mir was ein», meint er. Sie solle den Mietvertrag mitbringen.
«Ich würde Sie wählen, aber das Wort Kommunismus gefällt mir nicht», sagt dagegen ein Mann aus Vietnam, der seit 45 Jahren in Österreich lebt und auf der Jacke das Emblem der 101. Luftlandedivision der USA trägt, die auch in seiner Heimat im Einsatz war. Er habe ein solches Regime erlebt. Wer so etwas wolle, solle nach Nordkorea gehen, erklärt er aufgebracht. «Die Idee war ja gut, aber die Menschen sind zu deppert.»
Auch die Lehrerin Sabine Presslauer will von Dankl eine Erklärung für den Namen seiner Partei. Nach dem Ausschluss bei den Grünen hätten schlicht Zeit und Geld gefehlt für eine Neugründung, aber auch die zündende Idee, meint dieser. Man habe eine Alternative links der Sozialdemokratie schaffen wollen, wie es sie in anderen Ländern auch gebe.
Presslauer ist nicht überzeugt. Sie teile viele Positionen der KPÖ, sagt sie. «Aber ich kann keine kommunistische Partei wählen.» Dankl äussert Verständnis, er sei ja Historiker. Er nennt Vorbilder in demokratischen Systemen wie die italienischen Kommunisten unter Enrico Berlinguer. Die Putin-Freunde finde man in Österreich eher bei der FPÖ und in der Wirtschaft als in seiner Partei. Die Lehrerin winkt ab. Sie wünscht Dankl beim Abschied viel Glück. «Wenn mir ein anderer Name in den Sinn kommt, melde ich mich.»