Der Sachverständigenrat für Wirtschaft erwartet, dass die Konjunktur in Deutschland erst im nächsten Jahr wieder anzieht. Hoffnungen setzen sie auf das Finanzpaket der Bundesregierung. Das Geld müsse jedoch in Investitionen statt in den Konsum fliessen.
Gut zwei Wochen ist Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche im Amt, da hagelt es schon schlechte Nachrichten. In diesem Jahr wird es kein Wachstum für die deutsche Wirtschaft geben. Stattdessen wird das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) stagnieren, nachdem es im vergangenen Jahr um 0,2 Prozent geschrumpft war. Das ist die Kernbotschaft des Frühjahrsgutachtens, das der Sachverständigenrat für Wirtschaft der Bundesregierung an diesem Mittwoch vorgelegt hat.
Deutschland wird damit in diesem Jahr weiter an Boden gegenüber den übrigen Euro-Ländern verlieren. Deren Wachstumsrate taxieren die Wirtschaftsweisen im Schnitt auf 1,1 Prozent. Erst im nächsten Jahr wird die deutsche Wirtschaft mit einer Rate von 1,0 Prozent beim Wachstum wieder zum Durchschnitt des Euro-Raums (1,1 Prozent) aufschliessen.
Im Prognosezeitraum werde die Entwicklung der deutschen Volkswirtschaft vor allem durch die Zollpolitik der US-Regierung sowie durch das von der Bundesregierung geplante Finanzpaket beeinflusst, schreiben die fünf Ökonominnen und Ökonomen in ihrem Gutachten. Während höhere US-Zölle die deutschen Exporte, die in diesem Jahr zum dritten Mal in Folge schrumpfen dürften, bremsen, erhoffen sich die Sachverständigen vom Finanzpaket der Bundesregierung spürbare Impulse für die Konjunktur.
Risiko Handelskonflikt
Allerdings dürften die kreditfinanzierten Ausgaben zur Sanierung der Infrastruktur und zur Modernisierung der Bundeswehr die Nachfrage erst ab 2026 ankurbeln. Davon werden vor allem die Ausrüstungs- und Bauinvestitionen profitieren. Für die Bauinvestitionen erwarten die Wirtschaftsweisen für 2026 ein Plus von 2,9 Prozent nach 0,3 Prozent in diesem Jahr. Die Ausrüstungsinvestitionen dürften um 4,4 Prozent zulegen (2025: minus 0,9 Prozent). Der private Konsum werde vor dem Hintergrund leicht steigender real verfügbarer Einkommen im nächsten Jahr um 0,7 Prozent expandieren.
Risiken sehen die Professoren in einer möglichen Verschärfung des Handelskonflikts mit den USA sowie einem wachsenden Aufwärtsdruck auf die Preise durch das Finanzpaket der Bundesregierung. Dieses könnte die Inflationserwartungen erhöhen und die Europäische Zentralbank zu einer strafferen Geldpolitik veranlassen.
Kredite nur für Investitionen angemahnt
In ihrem Gutachten widmen sich die Sachverständigen neben der Konjunkturprognose drei Schwerpunktthemen: dem Finanzpaket der Bundesregierung, den Herausforderungen durch den Strukturwandel sowie der Bürokratie. Das Finanzpaket betrachten die Wirtschaftsweisen als «Chance für eine Modernisierung des Kapitalstocks und eine wirtschaftliche Belebung». Voraussetzung dafür sei allerdings, dass die geplanten Kredite in Investitionen statt in staatlichen Konsum fliessen. Nur dann sei gewährleistet, dass die für das Paket vorgesehenen Schulden mit den Fiskalregeln der EU vereinbar sind.
Die von der Bundesregierung vorgesehenen Vorkehrungen für eine investive Verwendung seien unzureichend, kritisieren die Wirtschaftsweisen. So sei es der Regierung möglich, Ausgaben aus dem Kernhaushalt im Volumen von bis zu 50 Milliarden Euro (1,2 Prozent des BIP) jährlich in das Finanzpaket zu verschieben. Solche Querfinanzierungen sollten unbedingt verhindert werden, «denn wir brauchen dringend zusätzliches Investitionsvolumen», sagte die Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier.
Die Ökonomen plädieren deshalb dafür, eine verbindliche Investitionsquote von 10 Prozent des Kernhaushalts in das Gesetz zur Errichtung des Infrastruktur-Sondervermögens aufzunehmen. Die Quote solle im Laufe der Zeit auf 12 Prozent steigen. Auch für die Überweisungen aus dem Sonderhaushalt an den Klima- und Transformationsfonds (KTF) sowie an die Bundesländer sollten angemessene Investitionsquoten festgelegt werden.
Finanzierung der Verteidigung aus dem Kernhaushalt
Weil es sich bei den Ausgaben für Verteidigung und Infrastruktur um ureigene Aufgaben des Staates handelt, sollte die Bundesregierung diese langfristig komplett aus dem Kernhaushalt finanzieren.
Die Wirtschaftsweisen kritisieren, dass nach der Änderung des Grundgesetzes Verteidigungsausgaben bereits ab einer Höhe von einem Prozent des BIP ausserhalb der Schuldenbremse durch Kredite finanziert werden können. Dieser Schwellenwert sei zu niedrig, «da aus dem Kernhaushalt zuletzt deutlich mehr als ein Prozent des BIP für Verteidigung ausgegeben wurde», heisst es in dem Gutachten. Die Ökonomen fordern deshalb, Verteidigungsausgaben bis zu 2 Prozent des BIP aus dem Kernhaushalt zu finanzieren. Darüber hinaus spricht sich die Mehrheit der Sachverständigen dafür aus, die Schuldenbremse zu reformieren, um flexibel auf Krisen reagieren zu können.
Ein Hemmnis für mehr Wachstum sehen die Wirtschaftsweisen in der Bürokratie. Staatliche Informations- und Genehmigungspflichten verursachten Kosten und verzerrten die Entscheidungen der Unternehmen über Markteintritte und Investitionen. Allein die Kosten zur Erfüllung bundesrechtlicher Informationspflichten beliefen sich jährlich auf 65 Milliarden Euro und absorbierten 1,7 Prozent der in Deutschland geleisteten Arbeitsstunden. Die Bundesregierung müsse daher Verwaltungsprozesse stärker digitalisieren, Datenabrufe zentralisieren und Genehmigungsverfahren beschleunigen.
Strukturwandel bremst Produktivität
Eine grosse Herausforderung für Deutschland sehen die Ökonomen in dem beschleunigten Strukturwandel. Dieser erfasse auch Regionen und Sektoren, wie etwa die Autoindustrie in Süddeutschland, die bisher als Hort wirtschaftlicher Stabilität galten. Ursachen für den Strukturwandel seien die veränderten Handelsbeziehungen, die gestiegenen Energiekosten, die Dekarbonisierung, die Digitalisierung sowie die demografische Entwicklung.
Der Strukturwandel bremse die Produktivität, weil der produktivitätsschwache Dienstleistungssektor an Bedeutung gewinne, während das produktivitätsstarke Verarbeitende Gewerbe schrumpft. Statt Unternehmen und Arbeitsplätze mit staatlichen Subventionen künstlich am Leben zu halten, sollte die Politik den betroffenen Arbeitskräften durch Weiterbildung und Umschulungsprogramme die Anpassung an den Strukturwandel erleichtern, fordern die Experten.
Wie schon in den Vorjahren weicht die Wirtschaftsweise Veronika Grimm auch in diesem Jahr in dem Gutachten in mehreren Punkten von der Mehrheitsmeinung ab. Anders als die Mehrheit lehnt sie eine weitere Lockerung der Schuldenbremse ab und warnt, das Finanzpaket der Bundesregierung erzeuge unausweichlich einen Konflikt mit den Fiskalregeln der EU. Zudem fordert Grimm, zum Abbau der Bürokratie überflüssige Regulierungen wie etwa das Lieferkettengesetz gänzlich zu streichen. Zur Bewältigung des Strukturwandels empfiehlt sie, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu verbessern, statt kleinteilige Förderprogramme aufzulegen.