Die amerikanische Zentralbank muss unter enormer Unsicherheit entscheiden, ob sie die Wirtschaft bremsen oder unterstützen soll. Donald Trumps Drohungen erschweren ihr die Arbeit zusätzlich.
Zentralbanker sind derzeit nicht zu beneiden. Ihre Zinsentscheide haben enorme Auswirkungen auf das Leben ihrer Mitbürger. Doch niemals seit Beginn der Corona-Pandemie mussten sie diese Entscheide unter derart grosser Unsicherheit treffen wie heute. Die Handelspolitik von Donald Trump wirbelt die amerikanische Wirtschaft durcheinander, was viele wichtige Datenreihen unbrauchbar macht.
Im besonderen Mass betrifft diese Unsicherheit das amerikanische Federal Reserve, die führende Notenbank der Welt, die am Mittwoch über den Leitzins befinden muss. Auf dem Tisch von Fed-Chef Jerome Powell liegen gute Gründe für eine Zinssenkung, aber noch viel mehr Gründe dagegen.
Trump macht die Sache für Powell nicht leichter. Seit Sommer 2024 hatte das Fed das Leitzinsband dreimal hintereinander um insgesamt 1 Prozentpunkt gesenkt, auf noch 4,25 bis 4,5 Prozent. Seither hielt die Zentralbank aber still, sehr zum Ärger des Präsidenten. Er beleidigte Powell auf seiner Nachrichtenplattform Truth Social als «Verlierer», der immer zu spät reagiere, und drohte mit der Absetzung des Zentralbankchefs.
Der Nebel des Handelskrieges
Als diese Drohung an der Börse für Unruhe sorgte, ruderte Trump rasch zurück. Doch seinen Wunsch nach einer Leitzinssenkung hat er überaus deutlich gemacht. Wenn das Fed diesem Wunsch nicht nachkommt, ist ein weiterer präsidialer Wutausbruch denkbar. Viele Händler werden am Mittwochnachmittag, wenn Powell den Fed-Entscheid vorstellt, nebst ihrem Bloomberg-Terminal auch den Truth-Social-Kanal des Präsidenten im Auge behalten.
An den Finanzmärkten erwartet niemand, dass Powell Trumps Drängen nachgibt. Die Wirtschaft läuft noch viel zu gut, als dass das Federal Reserve Board die Zinsen senken sollte. Das zeigen frische Wirtschaftsdaten von vergangener Woche: Die Arbeitslosenquote belief sich im April auf tiefe 4,2 Prozent, das jährliche Lohnwachstum liegt bei 3,8 Prozent.
Zwar mehren sich Berichte, wonach amerikanische Firmen wegen der grossen Ungewissheit immer weniger Personal einstellen. Weil sie gleichzeitig aber auch nur sehr wenige Leute entlassen, hat sich das bisher noch kaum in der Arbeitslosenstatistik niedergeschlagen. Es ist auch denkbar, dass die rückläufige (illegale und legale) Zuwanderung die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer stärkt und die Statistik beeinflusst.
Die Aufgabe des Fed wird dadurch erschwert, dass manche Konsumenten und Firmen auf Trumps Zölle mit Hamsterkäufen reagiert haben, weswegen sich die Importdaten fast nicht interpretieren lassen. Viele Amerikaner haben im März etwa einen geplanten Autokauf vorgezogen, um Trumps Zöllen auf importierte Fahrzeuge zuvorzukommen. Den Autohändlern bescherte das einen aussergewöhnlich guten Monat, aber alle wissen, dass diese Kunden im Mai keinen zweiten SUV kaufen werden.
Auch Importeure gingen ähnlich vor: Apple hat in einer Hauruckübung noch unzählige iPhones in die USA eingeflogen, um Zöllen zuvorzukommen, Pharmaunternehmen wie Novartis und Roche brachten zusätzliche Medikamente ins Land. Die Wirtschaftsleistung der USA ist wegen solcher Einmaleffekte im ersten Quartal um 0,3 Prozent geschrumpft. Die Konsumausgaben der Amerikaner haben sich aber solide entwickelt.
Bis jetzt noch kein neuer Preisschock
Mehr Klarheit geben dem Fed die jüngsten Inflationszahlen. Gemäss dem Handelsministerium stiegen die Preise in den vergangenen 12 Monaten nur noch um 2,3 Prozent, wenn man den Konsumentenpreisindex PCE zu Rate zieht, wie es die Notenbank selbst gerne tut. Unter anderem kommt der sinkende Ölpreis den Währungshütern zugute. Das Fed befindet sich nicht mehr weit weg vom eigenen Ziel von 2 Prozent.
Powell und andere führende Notenbankvertreter haben in ihren Reden aber deutlich gemacht, dass sie wegen Trumps Zöllen einen Preisschock erwarten. Es gibt eine lebhafte Debatte darüber, ob dieser Preisschock vorübergehen werde und ihn die amerikanischen Arbeitnehmer und Firmen hinnehmen würden, ohne mehr Lohn zu fordern oder die Preise zu erhöhen. Einen einmaligen Preisschock kann das Fed manchmal aussitzen.
Solche Prognosen sind derzeit aber nicht viel mehr als Kaffeesatzlesen. Denn niemand weiss, wie hoch Amerikas Zölle langfristig sein werden – die Trump-Regierung hat die Gespräche mit ihren Handelspartnern erst aufgenommen. Das Fed dürfte auf diese Ungewissheit mit umso mehr Vorsicht reagieren; und den Leitzins im Zweifelsfall nicht verändern.
Gleichzeitig müssen die Währungshüter bedenken, dass die Zölle nicht nur die Preise verändern, sondern mittelfristig auch eine Rezession herbeiführen könnten. Dann würde der Handelsstreit auch das zweite Hauptziel des Fed beeinträchtigen, nämlich für Vollbeschäftigung in den USA zu sorgen.
Die Welt schaut zu
Diese Überlegungen des Fed und der indirekt geführte Streit zwischen Powell und Trump finden nicht im luftleeren Raum statt. Auf dem Spiel steht die finanzpolitische Glaubwürdigkeit der USA. Die Rendite für amerikanische Staatsanleihen – die beliebteste und wichtigste Finanzanlage der Welt – schwankte in den vergangenen Wochen enorm.
Trumps Zölle vom 2. April schockierten die Märkte und liessen die Rendite für die Staatspapiere nach oben schiessen; insbesondere für Papiere mit langen Laufzeiten. Erst als Trump nachgab und zumindest seine «reziproken» Zölle aufschob, beruhigte sich der Bond-Markt wieder. Auch auf Trumps zeitweise Drohungen gegen Powell reagierten Amerikas Gläubiger mit Verkäufen von Treasury Notes – bis der Präsident abermals zurückkrebste.
Dass der Dollar gegenüber anderen Währungen und die Treasuries an Wert verloren, überraschte viele Beobachter. In Stresszeiten legen beide normalerweise zu. Nun hat das Fed nicht die Aufgabe, die Renditen der amerikanischen Staatsanleihen zu steuern. Aber die Veränderungen im Anleihenmarkt könnten dafür sorgen, dass sich die Politik der Zentralbank anders auswirkt als bisher.
Viele Ökonomen lesen die Marktbewegungen als Hinweis dafür, dass sich vor allem ausländische Investoren ein Stück weit vom amerikanischen Finanzmarkt zurückziehen. Bisher hatten sie die USA mit Kapital förmlich überschüttet; wenn sie damit aufhören, müssen Amerikaner für Hypotheken, Firmen- und Konsumkredite deutlich höhere Zinsen zahlen. Auch für Washington würde es schwieriger, seine stetig wachsenden Schulden zu bedienen.
Im Extremfall drohte eine Staatsschuldenkrise, die sich nur unter Mithilfe des Fed eindämmen liesse. Ob es unter Trump dazu kommen wird, kann niemand prognostizieren, auch Powell nicht. Er muss die Geldpolitik der USA ohnehin am Hier und Jetzt ausrichten. Und, wie alle anderen auch, hoffen, dass es nicht zum Schlimmsten kommen wird.