Experten warnen vor anhaltenden Preiserhöhungen bei Mietwohnungen. Die Knappheit auf dem Immobilienmarkt könnte zum Dauerproblem werden. Die Politik überschätzt die brauchbaren Baureserven
Im Leben trifft man sich immer zweimal, denkt Andreas M. nach der Besichtigung einer wunderschönen 4,5-Zimmer-Wohnung in Zürich-Hottingen. Die 3800 Franken im Monat könnte er noch knapp stemmen, doch plötzlich verlangt der ausziehende Mieter von ihm, dass er sich an einer Auktion für die Wohnungseinrichtung beteiligt, bevor er dem Vermieter von seinem Interesse erzählt.
Die implizite Botschaft: Der Höchstbietende bekommt die Wohnung. «No way», sagt sich M., doch sechs Monate später suchte er immer noch eine Wohnung und trifft zum zweiten Mal auf den Mann, der am neuen Ort schon wieder auszieht. Dieser lässt ihn auch zum zweiten Mal hängen und schreibt nach anfänglicher Zusage scheinheilig: «Sorry, alle Besuchstermine sind schon vergeben.»
Wohnung suchen – wie der Wilde Westen
Willkommen im wilden Westen der Zürcher Wohnungssuche. Gefragt sind Erfahrung beim Betteln, die Fähigkeit, Schmähungen auszuhalten und Schläge einzustecken, und vor allem ein grosses Budget. Wer auf den Onlineplattformen eine Wohnung an einigermassen zentralen Lagen sucht, muss heute mit 1000 Franken pro Zimmer und mehr rechnen, mit exorbitanten Ausschlägen nach oben wie einer 5½-Zimmer-Wohnung für 10 000 Franken im Monat.
Inzwischen ist der Wohnraum aber nicht mehr nur in Zürich oder Genf knapp. Betroffen ist die ganze Schweiz, ausser sehr ländliche Gegenden wie der Jura, doch wer kann in den Jura ziehen, wenn der Job in Zürich ist? Laut Zahlen des Beratungsunternehmens Wüest Partner sind die Mieten in acht von neun grossen Regionen deutlich gestiegen. Selbst Regionen wie Appenzell-Innerrhoden, Brig oder Sitten sehen sich mit Mietaufschlägen von mehr als 7 Prozent konfrontiert. Die Rangliste der teuersten Standorte wird von Gemeinden am Genfersee und in Zürich angeführt.
Die Knappheit verschärft sich
Und es dürfte noch schlimmer kommen. Die Zuwanderung, eine ideologisch getriebene Politik und Fehler bei der Raumplanung machen das Recht auf eine anständige Wohnung zum Luxus.
«Es gibt kein Menschenrecht, in der Stadt zu wohnen», sagen gerne Leute, die zu den Glücklichen gehören, die in der Stadt eine bezahlbare Wohnung haben. Ganz falsch liegen sie nicht, aber aus der Sicht des Privilegierten ist das Leben einfach. Für viele ist die Realität eine andere: Junge Erwachsene ziehen wieder nach Hause oder gar nie aus, und Auswärtige mit Durchschnittseinkommen weichen auf kleinere Wohnungen oder Wohngemeinschaften aus.
Der Mieterschutz begünstigt jene, die schon lange in der gleichen Wohnung sitzen, da der Spielraum der Vermieter, nach Vertragsabschluss die Miete anzupassen, begrenzt ist. Das führte in den letzten Jahren zu einem Auseinanderklaffen von Bestandesmieten und Marktmieten. Extrem ist dieser Effekt in Genf: Wer dort nur drei Jahre lang nicht umzieht, zahlt 28 Prozent weniger als die aktuelle Marktmiete.
Auf keinen Fall umziehen
Die Devise heisst also: in den eigenen vier Wänden ausharren, insbesondere wenn sie der öffentlichen Hand oder einer Genossenschaft gehören. Leider verknappt sich durch diesen sogenannten Lock-in-Effekt das verfügbare Angebot für die anderen und führt dazu, dass viele Leute in zu grossen Wohnungen bleiben. Heute bestehe der «eigentliche Interessenkonflikt» weniger zwischen Vermietern und Mietern als zwischen den unterschiedlichen Arten von Mietern, schreibt die Immobilienberatungsfirma Iazi pointiert.
Dabei ist der Höhepunkt steigender Wohnkosten nicht erreicht, im Gegenteil. Zum einen aus Gründen der Nachfrage: Daniel Steffen, Immobilienökonom an der Hochschule Luzern (HSLU), illustriert es am Beispiel von Hotspots wie Zürich. «Die Zahlen zu den Mieten und den verfügbaren Einkommen in Zürich und im Umland zeigen eindeutig, dass die Preissteigerungen noch nicht am Ende sind.» Ein Grossteil der Haushalte aus der Agglomeration könnte sich die Mieten in der Stadt gut leisten und würde sofort umziehen.
Neuer Rekord bei der Zuwanderung
Der wichtigste Treiber ist die Zuwanderung, sie dürfte 2023 mit einer Nettoeinwanderung von über 100 000 einen Rekord erklommen haben. «Die Schweiz ist da das Opfer ihres eigenen Erfolgs. Wir sind attraktiver als die umliegenden Länder», sagt Donato Scognamiglio, VR-Präsident von Iazi und eine Art Doyen der Immobilienberatung.
Er meint dies nicht nur wirtschaftlich, sondern auch in Fragen der Lebensqualität. So entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass die links-grüne Zürcher Stadtregierung das Ihre dazu beigetragen hat, wenn man heute keine zahlbare Bleibe mehr findet. In der Stadt zu wohnen, ist wegen Tempo 30, verkehrsberuhigter Quartiere und immer mehr Grünflächen so ruhig und gemütlich geworden wie noch nie.
Der unersättlichen Nachfrage steht ein Angebot gegenüber, das so tief ist wie lange nicht mehr. Die Zahl der auf Immobilienportalen ausgeschriebenen Wohnungen hat sich gemäss der neusten Immobilienstudie von Raiffeisen in nur zwei Jahren halbiert. Ein Grund: Die Neubautätigkeit ist eingebrochen, Letztes Jahr sind in der ganzen Schweiz nur rund 35 000 Neubauwohnungen bewilligt worden, der tiefste Wert seit 20 Jahren. Gemäss einer Hochrechnung des Beratungsunternehmens Wüest Partner fehlen der Schweiz in drei Jahren mindestens 50 000 Wohnungen.
Reserven: Realität und Irrtümer
Die Knappheit, die vor ein paar Jahren noch ein Überschuss war, könnte nun zum Dauerproblem werden. Darauf deutet eine neue Analyse der Luzerner Ökonomen um Daniel Steffen hin. Sie haben die offiziell verfügbaren Baulandreserven unter die Lupe genommen.
Gemäss dem Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) macht der Anteil an den Bauzonen, der noch nicht überbaut ist, 10 bis 16 Prozent aus. «Die noch nicht überbauten Bauzonen bieten theoretisch Platz für weitere 0,9 bis 1,6 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner», hält die Behörde fest – und meint damit das zu erwartende Bevölkerungswachstum bis ins Jahr 2050.
Bauzonen mit Defiziten
Doch stimmt das auch? «Nein!», sagen die Luzerner, die genauer hingeschaut haben, wo diese Standorte liegen und ob sie sich überhaupt eignen. Denn die einzelnen Areale müssen eine gewisse Minimalgrösse aufweisen, sie sollten nicht völlig zersplittert sein oder sich nicht nur mit der Zustimmung des Nachbarn überbauen lassen. Insbesondere die Anbindung an den öffentlichen Verkehr ist wesentlich, um unbebautes Land als geeignet oder weniger geeignet einzustufen.
Und genau dieses Kriterium zeigt auf, dass ein Teil dieser Baulandreserven, mit denen der Bund rechnet, sich gar nicht eignet zum Überbauen, weil sie nicht oder nur sehr schlecht vom öV erschlossen sind. Und ohne öV fehlt die Verbindung zu Arbeitsplätzen, Einkaufsmöglichkeiten, Schulen. Die Ökonomen kommen zum Schluss, dass das Potenzial der unbebauten Zonen rund drei bis vier Mal viel tiefer liegt, als dass der Bund annimmt.
Weitere Grundstücke könnten als Reserve wegfallen, weil sie wegen ihrer Ausrichtung oder enger Platzverhältnisse nur mit unverhältnismässig grossem Aufwand überbaut werden könnten. Rechnet man das um, würde das verfügbare Land lediglich 300 000 bis 450 000 Menschen Raum zum Wohnen bieten.
Die Fehler der Politik
Diese Schlussfolgerungen will das Bundesamt für Raumentwicklung nicht kommentieren, man liefere nur die Grundlagen, sagt Sprecher Michael Furger. Natürlich würden nicht sämtliche freien Bauzonen dort liegen, wo der Bedarf am grössten sei. Doch wenn der Ökonom Steffen recht hat, sind die Baulandreserven zum grössten Teil theoretischer Natur. Das wäre eine bemerkenswerte Fehleinschätzung.
Eine von vielen der Politik in Bezug auf die Raumplanung und das Wohnen in den letzten Jahren. Abgesehen davon, dass die Mehrheit der Politiker die unerwünschten Nebenwirkungen der Zuwanderung lange unterschätzt haben, bremst ein Wust von Gesetzen und Vorschriften die dringend benötigte Bautätigkeit.
Eine Schlüsselrolle spielt die Revision des Raumplanungsgesetzes vor zehn Jahren. Um die Zersiedlung und den Landverschleiss zu bremsen, wurde erstens das Bauland verknappt. Zweitens lenkte die Raumplanung die Entwicklung in die Innenstädte.
Der Plan lautete also, Wohnungen dort zu bauen, wo die Bewilligungsverfahren besonders anfällig für Einsprachen sind und der Boden mit Abstand am teuersten ist. Und nirgendwo sonst ist das Risiko so gross, dass man sich im Kampf mit Nachbarn, der Baubürokratie und komplexen Planungen verzettelt oder ganz scheitert.
Als zusätzliches Hindernis für die Verdichtung haben sich neue Vorschriften erwiesen und bürokratischer Perfektionismus. Alleine zum Thema Geländer- und Absturzsicherung existieren gemäss einem Bericht von Iazi über 30 verschiedene Vollzugshilfen. Und eine Studie der ZKB zeigt, dass sich die Bewilligungsverfahren in der ganzen Schweiz seit 2010 um 67 Prozent verlängert haben, in der Stadt Zürich sogar um 136 Prozent.
Wie Verdichtung scheitert
Ein Lied davon singen kann Martin B., Eigentümer eines 120-jährigen Wohnhauses mitten in Winterthur. Er hatte davon geträumt, den Altbau durch ein modernes energieeffizientes Gebäude zu ersetzen und die Wohnfläche zu verdoppeln. Doch die Vision, das 600 Quadratmeter grosse Grundstück zu verdichten, scheiterte. Der Rekurs einer Nachbarin, ein endloser Katalog an Änderungen und Auflagen führten zu hohen Mehrkosten, Verzögerungen und Verhandlungen vor Gericht.
Hinzu kam die Bauteuerung, die Kosten schnellten von 3,6 auf 4,5 Millionen hoch. Mit den Kosten stieg die Frustration, nach weiteren Fachgutachten zum Hochwasserschutz war man bei 6,8 Millionen Franken – und das für lediglich sechs Wohnungen. Inzwischen hat Martin B. kapituliert, weil es weder für ihn noch für die Mieter tragbar wäre: «Solche Zustände haben mir das Bauen gründlich vermiest.»
Die Lage im Wohnungsbau ist also ernst, wenn auch noch nicht so ernst wie jene eines Kollegen, der kürzlich auf ein Fake-Inserat hereingefallen ist und fast Geld für die Besichtigung überwiesen hat, weil er so verzweifelt nach einer neuen Wohnung suchte.
Politische Scheinlösungen
Doch Fake-Lösungen sind auch gang und gäbe, wenn Politiker nach Lösungen für die Probleme im Wohnungswesen suchen. Interessenvertreter aller Gattungen diskutieren derzeit einen Strauss von Massnahmen, ohne jedoch ihre ideologische Komfortzone zu verlassen. Im Schwange ist im Moment die Initiative der Zürcher SP, die nach dem Vorbild Genfs eine Mietzinslimite für Ersatzbauten und Renovierungen einführen will. Die Folgen dieses falschen Versprechens konnte man bereits in vielen Städten beobachten: Die private Bautätigkeit dürfte sich weiter verlangsamen.
Beliebt ist auch grad, die älteren Semester wegen ihrer überdurchschnittlich grossen Wohnungen zu beschämen. Gemäss Raiffeisen könnte eine effizientere Verteilung 170 000 Mietwohnungen à 100 Quadratmeter freispielen. Nur: Sollen wir jetzt in der Manier von Xi Jinping Rentner zwangsumsiedeln?
Eher nicht. Vielmehr sollten Lösungsvorschläge zum Ziel haben, dass Bauen sich wieder lohnt. Ein weiteres Zauberwort heisst Verdichtung. Scognamiglios Beratungsfirma Iazi rechnet vor: Würde man nur auf der Hälfte der Wohngebäude ein zusätzliches Stockwerk bauen, hätte Zürich 30 000 Wohnungen mehr. Bauen wie in Paris nennt das Iazi, und die FDP hat bereits eine Initiative eingereicht, die dies erlauben will.
Fokus auf Agglomerationen
Doch ob sich das heute wirtschaftlich rechnet, daran zweifeln die Fachleute. «Wir wissen, dass die Verdichtung der Städte bei weitem nicht reichen wird», sagt der Ökonom Daniel Steffen. Er setzt seine Hoffnungen auf die Agglomerationsgemeinden. Dort erwächst neuen Bauvorhaben meist weniger Widerstand; der Markt ist dynamischer als in den grösseren Städten, wo die Mieter wegen des grösseren Lock-in-Effekts in ihren Wohnungen verharren. Steffen sagt: «Das Ziel muss also lauten, dass die Agglomerationen für die Menschen auch wirklich attraktiv sind.» Dazu gehören eine gute Erschliessung durch den öffentlichen Verkehr sowie ein vielfältiges Freizeit-, Kultur- und Shoppingangebot.
Und was, wenn wir so weitermachen wie bisher?
Hält der Druck durch die Zuwanderung aus dem Ausland an, ist bereits heute am Horizont ein Szenario erkennbar, in dem Wohnen sogar für Vermögende zum Luxusgut wird. «Wenn das Ungleichgewicht zwischen starker Nachfrage und knappem Wohnungsangebot anhält, wird die Schweiz zum neuen Monaco», sagt Scognamiglio. Im Extremfall werde das Wohnen an begehrten Lagen nur einer kleinen Oberschicht vorbehalten sein.
Schon heute, so findet er, sei der Kanton Zürich für einen durchschnittlichen Schweizer Haushalt kaum noch erschwinglich. «Es ist wie mit einem Überlaufbecken», so Scognamiglio. Die einen ziehen in die Agglomeration, andere sogar noch weiter aufs Land. Und wenn Rentnerinnen und Rentner heute nach Spanien oder Thailand auswandern, habe das auch mit den hohen Wohnkosten zu tun – «und nicht nur mit der Sonne».
Runder Tisch: Mit einem Durchbruch rechnet niemand
Bundesrat Parmelin will am Dienstag einen Aktionsplan vorstellen
Am 12. Mai 2023 fand in Bern auf Einladung von Bundesrat Guy Parmelin ein runder Tisch zum Thema Wohnungsknappheit statt. Das Ziel lautete, die jetzige Situation der Wohnungsknappheit «zu analysieren», Lösungsansätze zu diskutieren und einen Massnahmenplan zu erarbeiten. An dem Treffen nahmen eine breite Palette von Interessenvertretern teil, darunter Eigentümer, Vertreter der Immobilienwirtschaft, der Mieterverband, gemeinnützige Organisationen sowie die Bundesverwaltung, Kantone und Gemeinden. Am kommenden Dienstag wird ein weiteres Treffen stattfinden, dessen Ergebnisse im Anschluss bekanntgegeben werden sollen. Es wird jedoch nicht erwartet, dass es zu bedeutenden Durchbrüchen kommt. Die Runde verfügt nicht über weitreichende Befugnisse, sondern beschränkt sich darauf, Wünsche zu äussern und Massnahmen vorzuschlagen. Wahrscheinlich ist, dass weitere Studien und Untersuchungen folgen werden. Die Erwartung eines Wirtschaftsvertreters, der an allen Sitzungen teilgenommen hat, klingt gedämpft: «Die Diskussion wird stark von der Verwaltung geprägt. Die Chancen stehen nicht gut, dass die Vorschläge bei Eigentümern und Investoren auf Zustimmung stossen werden.» Der runde Tisch spiegelt die üblichen ideologischen Differenzen wider: Ein Lager plädiert für verstärkte staatliche Eingriffe, die anderen für weniger.
Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»