Seit Jahren ächzen deutsche Metropolen unter Wohnungsknappheit. Die Ampelregierung hat sich daran die Zähne ausgebissen. Der Koalitionsvertrag ihrer voraussichtlichen Nachfolger enthält positive Ansätze – und verstärkt alte Fehler.
Regierungen kommen und gehen, die Probleme bleiben. Das gilt in Deutschland zumindest für den Wohnungsbau. 2021 ging die Ampelregierung angesichts des schon damals angespannten Wohnungsmarkts mit dem Ziel an den Start, für den Bau von 400 000 neuen Wohnungen pro Jahr zu sorgen. Erreicht hat sie das nie auch nur annähernd.
Ihre voraussichtliche Nachfolgerin, eine Koalition aus Union und SPD, verzichtet auf ein quantitatives Ziel, aber auch sie verspricht Grosses: Man werde in den ersten hundert Tagen einen «Gesetzesentwurf zur Einführung eines Wohnungsbau-Turbos» vorlegen, heisst es im letzte Woche veröffentlichten Koalitionsvertrag.
550 000 Wohnungen fehlen
Laut einer Studie der Forschungsinstitute Arge und Regiokontext fehlen deutschlandweit rund 550 000 Wohnungen. Der Mangel äussere sich in überbelegten Wohnungen, Zwangs-WG, der Rückkehr junger Erwachsener ins Elternhaus und der Aneinanderreihung von Untermieten.
Wohnungen fehlen vor allem in Grossstädten wie München und Berlin, wo der Wohnungsbau mit dem Bevölkerungswachstum nicht Schritt hält. Dass es zugleich auch Leerstände gibt, hilft wenig, weil sich diese meist in strukturschwachen Regionen finden, wo es kaum Arbeitsplätze gibt. Ein Abbau der Defizite durch weniger Zuwanderung ist laut der Studie ebenfalls nicht zu erwarten, da Deutschland gerade in den nächsten zwanzig Jahren eine Zuwanderung von Arbeitskräften brauche. Wohnungsneubau sei dringend erforderlich.
In Auftrag gegeben hat die Studie ein Bündnis aus sieben Verbänden, vom Deutschen Mieterbund bis zum Zentralverband Deutsches Baugewerbe, das jedes Jahr im April einen «Wohnungsbau-Tag» durchführt. Die künftige Regierung müsse alles daransetzen, «Wohnungsnot und explodierende Mieten» als «sozialen Sprengstoff Nr. 1» in den Griff zu bekommen, betonten die Verbände dieses Jahr.
«Vorbote für einen Absturz»
Nun sind Schätzungen über den Wohnungsmangel ähnlich unsicher wie quantitative Wohnbauziele. Laut einer im März veröffentlichten Wohnungsbedarfsprognose des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung braucht es bis 2030 jährlich «nur» rund 320 000 neue Wohnungen – also deutlich weniger, als die «Ampel» angepeilt hatte, aber mehr, als derzeit gebaut wird: Von 2021 bis 2023 sind laut dem Statistischen Bundesamt rund 295 000 Wohnungen pro Jahr fertiggestellt worden. Für 2024 liegen noch keine Daten vor, doch gehen Experten von einem Rückgang aus.
Denn die Zahl der Baugenehmigungen für Wohnungen ist seit 2021 trotz steigender Wohnungsnachfrage um über 43 Prozent auf 215 000 im Jahr 2024 eingebrochen. Dies sei der «Vorbote für einen rapiden Absturz bei den Fertigstellungen», erklärte der Arge-Leiter Dietmar Walberg am Wohnungsbau-Tag.
«70 Prozent unserer Mitgliedsunternehmen bauen überhaupt nicht mehr», ergänzte Axel Gedaschko, Präsident des Bundesverbandes deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen. Immerhin ist die Zahl der monatlich erteilten Baugenehmigungen im Dezember und im Januar erstmals wieder gestiegen, doch bleibt abzuwarten, ob das schon die Trendwende ist.
Ohne Wohnungen keine Arbeitskräfte
Den Grund für den Einbruch sieht die Studie in einer «fatalen Kombination aus gestiegenen Baukosten und gestiegenen Zinsen». Zwischen 2020 und Ende 2024 hätten die Herstellungs- und Bauwerkskosten um 48 Prozent zugelegt. Während die tiefen Zinsen die Folgen steigender Kosten lange aufgefangen hätten, seien die Baugenehmigungen mit dem rapiden Zinsanstieg 2022 schlagartig eingebrochen.
Handlungsbedarf besteht nicht nur aus sozialen, sondern auch aus ökonomischen Gründen: Fehlt es in Ballungsräumen an bezahlbaren Wohnungen, wird es für Unternehmen schwierig, offene Stellen durch Zuzüger aus dem In- oder Ausland zu besetzen. Ein sinkender Wohnungsbau behindere deshalb die weitere wirtschaftliche Entwicklung, schreiben Arge und Regiokontext.
Einfacher bauen
Ist der voraussichtlichen künftigen Regierung Abhilfe zuzutrauen? In ihrem Koalitionsvertrag heisst es: «Wohnen wollen wir für alle Menschen bezahlbar, verfügbar und umweltverträglich gestalten.» Das für den Wohnungsbau zentrale Baugesetzbuch soll in zwei Schritten novelliert werden, um das Bauen zu beschleunigen und günstiger zu machen. So sollen Genehmigungsverfahren vereinfacht werden und schneller erfolgen. Der erste Schritt dieser Novelle bildet den erwähnten «Wohnungsbau-Turbo».
Dieser Teil der Pläne stösst – ähnlich wie einige steuerliche Entlastungen und ein pragmatischerer Ansatz bei den Klimaschutzauflagen – auf breite Zustimmung von Branchenverbänden, Mieterschützern und Ökonomen.
Hoffnung setzen sie alle auf einfacheres Bauen, den «Gebäudetyp E». Laut Walberg lassen sich damit die Baukosten im Idealfall um bis zu einen Drittel reduzieren. Das sei derzeit der einzige nachhaltig beeinflussbare Hebel zur Dämpfung der späteren Wohnkosten. Erreicht werden können solche Einsparungen zum Beispiel durch dünnere Decken und Aussenwände, weniger Autostellplätze oder weniger Steckdosen pro Wohnung, also durch den freiwilligen Verzicht auf Komfortstandards. Laut Koalitionsvertrag soll der Gebäudetyp E auch rechtlich abgesichert werden, was bereits die «Ampel» vorhatte, aber nicht zu Ende brachte.
Zu viel Regulierung
Auf Kritik von Immobilien- und Vermieterverbänden stossen dagegen die Pläne der Koalitionäre, das Mietrecht stellenweise weiter zu verschärfen und die 2015 eingeführte Mietpreisbremse um weitere vier Jahre zu verlängern. Letztere ermöglicht den Bundesländern eine Regulierung, wonach bei der Wiedervermietung einer bestehenden Wohnung in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt die Miete nicht mehr als 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen darf. Ausgenommen sind unter anderem nach dem 1. Oktober 2014 erstmals genutzte Neubauwohnungen.
Die geplanten mietrechtlichen Verschärfungen würden die positiven Ansätze, den Wohnungsbau anzukurbeln, direkt wieder zunichtemachen, kritisierte Dirk Wohltorf, Präsident des Immobilienverbands Deutschland (IVD). Eine Ausweitung des Angebots werde nicht funktionieren, wenn die Marktmechanismen durch mietrechtliche Überregulierungen ausser Kraft gesetzt würden.
In der Tat ist die Mietpreisbreme ein Paradebeispiel für eine kontraproduktive Symptombekämpfung: Sie mag manche Mieten dämpfen, aber als Preiskontrolle senkt sie zugleich die Investitionsanreize und bremst damit den Neubau zusätzlich. Für Neuzuzüger und junge Leute bleibt damit ein noch schmaleres und noch teureres Angebot übrig. Zudem führt die wachsende Kluft zwischen moderaten Bestandsmieten und teuren Neuverträgen dazu, dass zum Beispiel ältere Menschen nach dem Auszug der Kinder in grossen Wohnungen bleiben, weil sie für eine kleinere Wohnung mehr bezahlen müssten.
Ausbauen wollen die Koalitionäre den sozialen Wohnungsbau. Doch Ökonomen argumentieren seit langem, dass das bestehende Wohngeld für einkommensschwache Haushalte das zielgenauere und billigere Instrument sei. Denn in Sozialwohnungen bleiben oft auch Menschen, die es dank höherem Einkommen nicht mehr nötig hätten.
Alles in allem gilt auch beim Wohnen: Schwarz-rot fehlt es trotz einigen positiven Ansätzen am Mut oder am Willen zur marktwirtschaftlichen Wende.
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