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In touristischen Hotspots in den Alpen finden Einheimische keine Wohnung mehr. Die Gemeindepräsidentin von Pontresina will die Misere mit einer Sondersteuer auf Zweitwohnungen bekämpfen.
NZZ am Sonntag: Jetzt klagen sogar die Berggebiete über eine Wohnungsnot. Findet man in Pontresina wirklich keine Wohnung mehr?
Nora Saratz Cazin: Gerade diese Woche hatte ich vier E-Mails von Leuten, die eine Wohnung suchen. Wir haben einen Leerstand von unter 0,5 Prozent. Besonders prekär ist die Lage für Einheimische, die nicht besonders viel verdienen. Unsere Mieten sind in den letzten Jahren stärker gestiegen als im Schweizer Durchschnitt.
Müssen die Leute also wegen der hohen Mieten wegziehen?
Bei einem Teil spielt es eine Rolle. Wir hören bei der Einwohnerkontrolle regelmässig als Begründung für den Wegzug: die schwierige Wohnsituation. Ich weiss von diversen Familien, die sogar die Kündigung bekamen, weil die Wohnung nachher als Zweitwohnung benutzt oder verkauft wurde. Auch ein grösseres Mehrfamilienhaus wurde von den vorherigen Eigentümern verkauft, da wird nun alles saniert und als Wohneigentum verkauft.
Seit wann hat sich die Lage für die Einheimischen in Pontresina verschärft?
Nach der Zweitwohnungsinitiative sind einfach sehr wenige Neubauten entstanden, auch keine Erstwohnungen. Ich schätze, in 12 Jahren waren es nicht mehr als 40 Wohnungen, inklusive neuem Mitarbeiterhaus für ein Hotel. Dann kam die Pandemie, und es wurde möglich, im Home-Office zu arbeiten. Auch dies hat den Druck auf den Altbestand erhöht, der ja von der Begrenzung der Zweitwohnungsinitiative auf 20 Prozent ausgenommen ist. Einiges davon wurde in Zweitwohnungen umgewandelt. Solche Liegenschaften sind zu interessanten Spekulationsobjekten geworden. Wir haben heute auch deshalb einen Zweitwohnungsanteil von 58 Prozent.
Die Zweitwohnungsinitiative ist schuld an den steigenden Mieten?
Nicht nur. Die Gründe sind vielfältig. Wir hatten aber bereits vor der Zweitwohnungsinitiative Bestimmungen, die den ausufernden Bau von Zweitwohnungen beschränkten, ohne dass das Bauen von neuen Objekten behindert wurde. Es war zum Beispiel möglich, den Bau von Erstwohnungen mit dem Bau von Zweitwohnungen zu subventionieren. Das geht nicht mehr. Verschiedene Gesetze schränken das Angebot ein.
Was meinen Sie da genau?
Die Mieten steigen nicht nur wegen des Zweitwohnungsgesetzes, sondern auch wegen der Revision der Raumplanung, die in Richtung Verdichtung geht und verhindert, dass man neues Bauland einzonen kann. Das hat die Preise unserer bisherigen Baulandparzellen in die Höhe gejagt. Zusammen mit den Erstellungskosten macht es dies für eine einheimische Familie sehr schwierig zu bauen. Es hat auch vermehrt finanzstarke Auswärtige und neu teilweise auch institutionelle Investoren, die die Preise hochtreiben.
Die Unterländer sind schuld?
Nein, es geht nicht um Schuld. Es gibt ja auch Einheimische, die Eigentümer sind von mehreren Wohnungen im Dorf, diese vermieten sie zum Teil an Touristen. Auch in der Vergangenheit haben die Einheimischen von dem starken Immobilienmarkt profitiert. Wir sehen aber, dass die meisten Zuzüger nach Pontresina Personen aus dem Rest der Schweiz sind, die kurz vor oder nach der Pensionierung stehen. Beschleunigt hat sich dagegen der Wegzug von Familien mit Kindern, sie werden auch durch die kaufkräftigen Zweitwohnungsbesitzer verdrängt. Die Zahl der kalten Betten nimmt zu, denn offenbar vermieten die neuen Zweitwohnungsbesitzer weniger an andere.
Haben die Bündner diese Entwicklung nicht selbst verursacht? Sie haben enorm von den Zweitwohnungsbesitzern profitiert, alles ist auf sie ausgerichtet.
Das kann man durchaus so sehen. Doch wenn wir so weitermachen, beissen wir uns ins «Füdli». Das ist nicht nachhaltig für unsere wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung. Wir müssen deshalb darüber reden, an welchen Schrauben wir drehen müssen, damit Einheimische wieder einfacher zu einer Wohnung kommen. Unter anderem schlagen wir eine Sondersteuer von drei Promille auf den Liegenschaftswert von Zweitwohnungen vor, wenn sie nicht vermietet werden.
Sie wollen damit Zweitwohnungsbesitzer dazu bringen, wieder Erstwohnungen anzubieten. Doch werden diese nicht einfach ihre Wohnungen stattdessen wochenweise an Touristen vermieten? So entkommen sie der Steuer auch.
Wir haben zwei Lenkungsziele definiert: Wohnraum für Einheimische und mehr warme Betten. Unsere Hoffnung ist aber schon, dass die eine oder andere Wohnung wieder in den Erstwohnungsmarkt zurückkommt. Wie realistisch dies ist, hoffen wir aus der inzwischen abgeschlossenen Vernehmlassung zu erfahren, wo wir neben vielen anderen auch diese Frage gestellt haben.
Was würden Sie mit dem Geld machen, das Sie mit der Sondersteuer einnehmen würden, falls sie je kommt? Neue Wohnungen bauen?
Da erste Ziel wäre ja eigentlich, so wenig Einkünfte wie möglich zu generieren. Aber falls die Lenkung in Richtung mehr Erstwohnungen und warme Betten nicht funktioniert, möchten wir damit einen Fonds äufnen zur Förderung von Erstwohnungen für Einheimische. Ein Teil des Geldes ginge dann voraussichtlich an unsere neue Wohnbaustiftung, die schneller und unbürokratischer bauen könnte als wir von der öffentlichen Hand.
Eine Ihrer Nachbargemeinden, Silvaplana, ist mit einer solchen Steueridee grandios am Widerstand der Zweitwohnungsbesitzer gescheitert. Wieso soll es bei Ihnen funktionieren?
Das war vor der Zweitwohnungsinitiative und in einer weniger angespannten Lage auf dem Immobilienmarkt. Damals ging es nur darum, die Zweitwohnungen besser zu nutzen. Wir möchten den Markt so lenken, dass es wieder interessanter wird, an Einheimische zu vermieten. Es kann einfach nicht sein, dass Einheimische immer öfter eine Wohnung suchen, während die Zweitwohnungen oft leer stehen. Die Einheimischen sichern ja auch das Dienstleistungsangebot ab für die Zweitwohnungsbesitzer. Sollte das nicht mehr möglich sein und das Dorf «töteln», weil sich kein Einheimischer mehr eine Wohnung leisten kann, leiden auch die Besitzer von Zweitwohnungen. Deren Wohlbefinden und nicht zuletzt auch der Wert ihrer Liegenschaft würde dramatisch sinken.
Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»