Lesbisch werden, weil sie von den Männern genug haben: Dazu rät die Aktivistin Louise Morel den Frauen. Dieses Denken offenbart vor allem, welchen Irrweg die Identitätspolitik gegangen ist.
Je mehr der Mann wieder Kerl sein will, desto unattraktiver wird er für viele Frauen. Trump, Putin, Milei, Musk, sie verkörpern eine Männlichkeit, die nicht nur in linksfeministischen Kreisen abgelehnt wird.
Das Ansehen des Mannes leidet. Der abgründige Fall Pelicot. Gérard Depardieu, der wegen sexueller Übergriffe vor Gericht steht. In der Netflix-Serie «Adolescence» wird ein 13-Jähriger zum Incel: zum Mann, der Frauen hasst, weil er bei ihnen keinen Erfolg hat, und der ihnen deswegen Gewalt antut.
Zwischen den Geschlechtern, so der Eindruck, wirkt das Gesetz der Abstossung.
Eine «Spiegel»-Autorin sagte es kürzlich so: «Sie sind mir fremd geworden, die Männer.» Dieses Lebensgefühl teile sie mit vielen Frauen um die dreissig. Sie beschreibt, wie sie sich mit ihren Freundinnen zu einer gemeinsamen «Therapiesitzung» treffe, wo sie die Frage diskutierten: «Was für eine Shitshow hält die Welt für Frauen heute bereit?»
Nun besteht für Frauen ein Ausweg darin, sich den Frauen zuzuwenden. Und zwar mit derselben Innigkeit, mit der sie romantische Beziehungen zu Männern eingehen. Genderforscherinnen beschwören Frauenfreundschaften und trauen weiblicher Solidarität eine Kraft zu, welche die gesellschaftliche patriarchale Ordnung sprengen könne.
«Trostlose Ödnis der Heterosexualität»
Man kann noch einen Schritt weitergehen und das Begehren ebenfalls weglenken von den Männern, denen es bisher galt. Stattdessen leben Frauen auch ihre Sexualität mit Frauen aus. So stellt es zumindest Louise Morel dar, eine Aktivistin und Autorin. Die 35-Jährige kommt ursprünglich aus Frankreich und lebt heute in Berlin.
«Lesbisch werden in zehn Schritten», so nennt sie ihr Handbuch, in dem sie Frauen dazu ermutigt, diesen Weg zu gehen (Ullstein-Verlag). Für Morel ist das eine Frage der Wahl, da sie Sexualität als etwas Fluides versteht. Sie selber habe sich entschieden, Frauen zu lieben, nachdem sie lange «die Bequemlichkeit der Heterosexualität genossen», darin aber keine Erfüllung gefunden habe.
Sie sei damit nicht allein: «Viele von uns haben sich durch die trostlose Ödnis der Heterosexualität geschleppt, bevor sie im lesbischen Schlaraffenland angekommen sind.»
Man könne die Art zu lieben zwar nicht ändern wie die Vorliebe für ein Shampoo, schreibt Morel. Um das Lesbischwerden dann dennoch als einen revolutionären Akt darzustellen, weil man sich so gegen die «heterosexistische Ordnung» auflehne. Alles in der Gesellschaft sei darauf angelegt, das «Heteropatriarchat» aufrechtzuerhalten. Sie selber fühlt sich dem politischen Lesbianismus der 1970er Jahre nahe. «Wozu sich die Gesellschaft eines Mannes antun, wenn wir die einer Frau geniessen können?», fragt sie.
Gute und böse Feministinnen
Die Autorin wehrt sich zwar gegen das Vorurteil, man werde lesbisch, weil man keinen Mann finde, schlechte Erfahrungen mit Männern gemacht habe und verbittert und enttäuscht sei. Trotzdem schreibt sie: «Ich habe einen Hass auf Männer.» Sie machten keinen Haushalt, sie vergewaltigten. Sie seien die Ursache für die traumatischen Erfahrungen vieler Frauen, «die der Heteronormativität entkommen sind».
Die Argumentation für das Lesbischsein ergibt sich hier aus der Abwertung der häufigsten Liebesform. Und aus der pauschalen und sexistischen Verurteilung aller Männer. Da kommen dann selbst «schwule Cis-Männer, die überwiegend weiss und gutsituiert sind», nicht gut weg.
Auch gibt es für Morel gute und schlechte Feministinnen: Sie teilt gegen sogenannte Terfs aus (Englisch für «trans-exclusionary radical feminists»), weil diese auf zwei biologischen Geschlechtern beharren und sich dagegen wehren, dass Transfrauen in Frauengefängnisse kommen oder im Sport mit Frauen wetteifern. Dass die «transphoben» Feministinnen oft selber lesbisch sind, macht es nicht besser. Deren Ansichten seien gefährlich für «Flinta-Personen», so Morel.
Muss man wissen, was mit dem Akronym gemeint ist? Die Klammer bilden das F für Frauen, wozu auch «Frauen ohne Vulva» gehören, und das A für «agender», das Wort für die Nichtbinären. Sie alle verbindet «die Diskriminierung durch das Patriarchat».
Ideologie wirkt wie aus der Zeit gefallen
An einem Buch wie «Lesbisch werden» lässt sich illustrieren, was für einen Irrweg die Identitätspolitik gegangen ist. Man möchte es als das letzte seiner Art halten. Die Menschen sollten gleicher werden, indem man Unterschiede wie Geschlecht, Hautfarbe oder Herkunft betont. Stattdessen wird das Gemeinsame zweitrangig. Man braucht eine Sprache, die nur Eingeweihte verstehen, aber die der Mehrheit aufgedrängt wird.
Minderheiten kämpfen für Sichtbarkeit, das ist ihr gutes Recht. Letztlich haben die Partikularinteressen aber zu einer sortierten Gesellschaft geführt. Gegen die moralische Überlegenheit von Opfergruppen lässt sich wenig ausrichten. Diese haben in den letzten Jahren den gesellschaftlichen Diskurs bestimmt, während viele geschwiegen haben.
Das ändert sich wahrscheinlich nicht so schnell, nur weil in den USA gerade alles zerschlagen wird, was mit Diversität, Gleichberechtigung und Inklusion zu tun hat. Dennoch regt sich mehr politischer Widerstand. Auch wirken solche Kampfschriften wie aus der Zeit gefallen. Es wird darin für etwas geworben, was die meisten Leute inzwischen offen infrage stellen. Nicht nur Trump-Anhänger.
Frauen lieben Frauen, aus welchen Gründen auch immer. Die einen leben schon immer lesbisch, andere entdecken ihre Neigung mit 25, manche verlassen Mann und Kinder für eine Frau, da sind sie schon über vierzig. Die wenigsten wollen mit ihrer Liebe Kulturkampf betreiben.