Im Handelsstreit zwischen China und den USA finden erste Gespräche in der Schweiz statt. Der Weg zu einer Einigung ist aber lang. Das liegt auch an den zwei Staatschefs, die kaum unterschiedlicher sein könnten.
Manche Probleme liessen sich mit einem simplen Anruf lösen, wenn bloss eine Seite den Hörer in die Hand nähme.
Aber für Xi Jinping und Donald Trump ist die Sache nicht so einfach. Wer als Erster anruft, gesteht ein, dass er den Handelsstreit verliert. Und so wird in den kommenden Wochen ein grosser diplomatischer Zirkus nötig sein, bis ein Abkommen zwischen den USA und China überhaupt denkbar wird. Ein Zirkus, der an diesem Wochenende in Genf beginnt.
Erst verhandeln die Stellvertreter
Die USA entsenden den Finanzminister Scott Bessent und den Handelsbeauftragten Jamieson Greer, von chinesischer Seite soll der stellvertretende chinesische Ministerpräsident He Lifeng die Delegation anführen.
Es geht um viel. Chinesische Fabriken stehen still, bis zu 20 Millionen Jobs stehen auf dem Spiel. Amerikanischen Häfen an der Westküste geht die Arbeit aus, viele Produkte werden teurer oder verschwinden ganz.
Die Verhandlungen werden aber dadurch erschwert, dass auf beiden Seiten Alphamänner das Sagen haben, die komplett unterschiedlich funktionieren.
Der amerikanische Präsident Donald Trump hatte den Handelsstreit eröffnet und markierte bald maximale Härte, als er die bilateralen Zölle schrittweise bis auf 145 Prozent anhob. Das werde die Chinesen in die Knie zwingen, schliesslich werde Xi zum Hörer greifen, implizierte Trump. Der chinesische Staats- und Parteichef Xi Jinping antwortete jedoch mit Gegenzöllen.
Xi vergisst nicht
Anders als der amerikanische Präsident sieht Chinas starker Mann sich nicht als Dealmaker, der durch ein rasches Telefonat mit seinem amerikanischen Amtskollegen ein paar Hindernisse aus dem Weg räumt und eine schnelle Einigung erzielt. Er wird sich keinesfalls im Weissen Haus vorführen lassen wie jüngst der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski. Xi erwartet, dass die USA nach dem Zollhammer den ersten Schritt einer Annäherung unternehmen, ernsthafte Absichten und Respekt demonstrieren.
Vor wenigen Tagen sendete Peking erstmals vorsichtige Signale der Entspannung in Richtung Washington. Man prüfe die Aufnahme von Gesprächen über Handelsfragen, heisst in einer Mitteilung des chinesischen Handelsministeriums. Die USA hätten unlängst «Botschaften übermittelt», in denen sie ihre Hoffnung auf Gespräche mit China erklärt hätten; Peking prüfe dies jetzt.
Die anstehenden Gespräche in Genf gehen in die Richtung, wie China es sich vorstellt. Xi wünscht sich vorbereitende Gespräche auf Arbeitsebene und eine klare Agenda mit konkreten Verhandlungspunkten. So wie Chinas Kaiser nichts dem Zufall überliessen, will auch Chinas Staatspräsident im Vorfeld Gewissheit über ein mögliches Abkommen. Xi schaltet sich erst ein, wenn ein Abkommen unterschriftsreif ist.
Dazu kommt, dass Chinas Staats- und Parteichef gegenüber Trump – zu Recht – grosses Misstrauen hegt. Im November 2017, kaum neun Monate nach Trumps Antritt als damaliger amerikanischer Präsident, empfing Xi seinen amerikanischen Amtskollegen mit allen Ehren in der Verbotenen Stadt in Peking, ein Privileg, das nur wenigen Staatsgästen zuteilwird.
Kaum zurück in Washington, verhängte Trump Strafzölle gegenüber China. Xi fühlte sich hintergangen – und Xi vergisst nicht.
Der chinesische Staatschef hat durch eine schnelle Aufnahme von Gesprächen mit Trump zudem wenig zu gewinnen und viel zu verlieren. Dass die chinesische Wirtschaft unter Trumps Zöllen leiden wird, weiss Xi genau. Da versammelt er durch eine harte Haltung gegenüber Washington lieber das Volk hinter sich und schwört die Menschen auf harte Zeiten ein.
Xi will China wieder gross machen
«Chi ku», «Bitteres essen», heisst das Konzept auf Chinesisch, das Xi zu einer der wichtigsten Tugenden erhoben hat. Vor allem junge Leute müssten lernen, Durststrecken und harte Zeiten zu überstehen, ganz so, wie er es selbst gelernt habe, als er während der Kulturrevolution aufs Land verschickt wurde, predigt Xi.
Xi war sich seit langem darüber im Klaren, dass es eines Tages zu einer direkten Konfrontation mit dem Rivalen USA kommen würde. Jetzt, da es zum Showdown gekommen ist, richtet er sich auf lange und zähe Auseinandersetzungen ein.
Dabei hatte Xi eigentlich ein positives Image von den USA. 1985 reiste er als Mitglied einer Delegation mit Vertretern der chinesischen Landwirtschaft nach Iowa und behielt die USA in guter Erinnerung. Im Jahr 2o12, Xi war inzwischen Vizepräsident, reiste er erneut nach Iowa.
Geprägt haben dürfte ihn jedoch vor allem das USA-Bild seines Chefideologen, Wang Huning. Dessen Buch «America against America» beschreibt die zunehmende soziale Ungleichheit in den USA, wirtschaftliche Probleme und einen angeblichen Verfall gesellschaftlicher Werte. Es ist das Bild einer Nation im Niedergang.
Ende April veröffentlichte die Zeitung «Beijing Daily» auf ihrem WeChat-Account einen bemerkenswerten Artikel. Es sei an der Zeit, sich noch einmal Mao Zedongs Ausführungen «Über einen langwierigen Krieg» anzusehen, hiess es in dem Beitrag. In der Schrift setzt Mao sich mit dem Widerstandskrieg gegen die japanischen Invasoren während der dreissiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts auseinander.
China sei bereit für einen «langwierigen Handelskrieg», heisst es in dem Beitrag der «Beijing Daily». «Obwohl man den Kampf zwischen China und den USA nicht mit dem Widerstandskrieg gegen Japan gleichsetzen kann, haben beide doch mit der Richtung unseres Landes und der Würde unserer Nation zu tun», schreibt das Parteiblatt.
So sieht Xi die Dinge. Er ruft dem Volk ständig wieder in Erinnerung, wie westliche Mächte während der Opiumkriege im neunzehnten Jahrhundert das Reich der Mitte erniedrigt und gedemütigt hätten. So etwas dürfe nie wieder passieren, und schon gar nicht durch Trump, findet er. Vielmehr will Xi sein Land zurück in die Mitte der Weltbühne führen: «die grosse Erneuerung der chinesischen Nation», nennt er dies. Es ist sein Lebenswerk.
Trump hat sich bei seiner Politik gegenüber China komplett verrechnet. Hätte er sich mit China, Xis Werdegang, seinem Denken und seinen Reden beschäftigt, wüsste er, dass Chinas starker Mann gegenüber den USA nicht einknicken würde.
Trumps Verhandlungskünste
Donald Trump hat indes andere Lehren aus der Geschichte gezogen – aus seiner eigenen und aus der Geschichte Amerikas. Er wurde als Immobilienhändler und Fernsehstar berühmt, und diese Erfahrung hat seine Sicht auf die Welt geprägt.
Trump ist als Sohn eines Immobilienunternehmers aufgewachsen und profitierte früh von guten Beziehungen und einigem Startkapital. Er hat mit diesem Pfund gewuchert und das väterliche Geschäft stark ausgebaut. Die Meinungen darüber gehen auseinander, ob er ein erfolgreicher Unternehmer war. Sechsmal haben Trumps Firmen Bankrott erklärt; manche Banken führten ihn auf schwarzen Listen und gewährten ihm keine Kredite mehr.
Aber auf seine Weise verkörpert Trump eine sehr amerikanische Tugend: Nach einer Niederlage klopft er sich den Staub von den Kleidern und macht weiter, als sei nie etwas gewesen. Bis sich der Erfolg wieder einstellt.
Diese Erfahrungen prägen die Art und Weise, wie er auch internationale Verhandlungen führt. Er schliesst seine «Deals» nie für die Ewigkeit ab. Wenn es sich lohnt, bricht er frühere Versprechen und verlangt Neuverhandlungen. Als Präsident der grössten Volkswirtschaft der Welt kann er sich dieses Vorgehen meistens leisten. Aber einer wie Xi Jinping, der ebenfalls ein sehr mächtiges Land regiert, spricht darauf nicht an. Das will Trump nicht wahrhaben.
Darüber hinaus verhandelt Trump, der in Amerika dank seiner TV-Serie «The Apprentice» zur Marke geworden ist, äusserst fernsehgerecht. Er liefert ständig Drama und überraschende Kehrtwendungen, indem er sein Gegenüber öffentlich provoziert und beleidigt, nur um ihm Tage später wieder zu schmeicheln.
Übertreibungen, Lügen und schnelle Positionswechsel sind Teil der Verhandlung. Sie sollen den Gegner aus der Balance bringen und in einen Fehler zwingen. Diese haben die Taktik mittlerweile aber durchschaut, allen voran Xi. Als Trump kürzlich flunkerte, die Chinesen wollten unbedingt einen Deal und Xi habe ihn bereits angerufen, versuchte er Peking auf dem falschen Fuss zu erwischen. China entlarvte die Lüge aber so schnell, dass sie die gewünschte Wirkung selbst im aufgeregten amerikanischen Medienraum nicht entfalten konnte.
Trump: «Die Chinesen ziehen uns über den Tisch»
Trump ist ein Instinktpolitiker, der sehr rasch auf eine sich verändernde Stimmung im Volk eingehen kann. Wenn ein Slogan nicht mehr funktioniert, testet er so lange neue Varianten, bis sich der Erfolg wieder einstellt. Als Regenten macht ihn das wankelmütig; zudem lässt er sich leicht von Beratern beeinflussen, denen er vertraut. Weil diese Berater unterschiedliche Ansichten ins Weisse Haus tragen, resultiert eine erratische Politik.
Aus seiner Zeit als New Yorker Baulöwe hat Trump gleichwohl einige feste Überzeugungen mitgenommen, die ihm als grobe Leitlinie dienen, seit dem Moment, wo er am 16. Juni 2015 die goldene Rolltreppe im Trump Tower heruntergestiegen ist und seine Präsidentschaftskandidatur angekündigt hat. Erstens: Jede Verhandlung ist ein Nullsummenspiel. Es gewinnt der Käufer oder der Verkäufer, aber niemals beide. Zweitens: Die USA liessen sich von den Ausländern seit Jahrzehnten über den Tisch ziehen, am allermeisten von den Chinesen.
«Früher feierten wir Siege», sagte Trump 2015 im Foyer des Trump Tower, «heute haben wir keine mehr.» Die bilaterale Handelsbilanz dient ihm dabei als Annäherung daran, wer gerade gewinnt und wer verliert. China exportierte 2024 noch immer gut dreimal mehr in die USA als umgekehrt.
Just wegen dieses Defizits glaubt Trump, in Verhandlungen mit Xi am längeren Hebel zu sitzen: Bricht der bilaterale Handel zusammen, würden mehr Jobs in China wegfallen als in den USA. Zudem ist «Härte gegenüber China» eine von sehr wenigen Positionen, die sowohl von Republikanern und von Demokraten breit unterstützt wird. Auch die amerikanische Bevölkerung hat eine ziemliche negative Sicht auf China, wie Umfragen des Pew Research Center zeigen.
Trump wäre vermutlich dennoch bereit, wie er es in seiner ersten Amtszeit tat, mit Xi wieder einen «Deal» abzuschliessen, wenn ihm dies vorteilhaft erscheint.
Trump muss sich Wahlen stellen – Xi nicht
Trump will ein Präsident der Wirtschaft sein und sieht die Entwicklung des amerikanischen Aktienmarkts als seinen persönlichen Leistungsausweis an. Als die Börsen nach dem «Liberation Day» einbrachen, erklärte er den Einbruch der Aktienmärkte wahlweise als harmlos, als notwendiges Übel oder als Spätfolge von Joe Bidens Politik.
Viele Amerikanerinnen und Amerikaner kaufen Trump diese Argumentation aber nicht ab. Seine Beliebtheit geht zurück. Mit seinem aggressiven Vorgehen hat sich Trump selbst unter Druck gesetzt. Am liebsten würde er manche Zölle wohl wieder zurücknehmen, wenn er dafür einige gute Deals vorweisen kann.
Bereits jetzt hat Trump zahlreiche Rückzieher gemacht: Es gab Zugeständnisse für Importe aus den Nachbarländern, später auch für die Elektronik- und die Autoindustrie. Die Handelspartner, und ganz besonders China, registrieren diese Schwäche. Sie erkennen, dass es sich lohnen kann, auf Zeit zu spielen. Einer, der zaudert und kleinlaut wird, verliert seine Macht sehr schnell.
Auch die Unterschiede im politischen System spielen eher Xi in die Karten. Er ist zwar langfristig auf die Unterstützung seines Volks angewiesen, muss sich aber nicht andauernd den Wählern stellen. Trump ist erst seit Januar im Amt, aber in 18 Monaten finden bereits wieder Zwischenwahlen statt. Gewinnen die Demokraten, schrumpft sein Handlungsspielraum stark zusammen.
Umfragen zeigen: Viele Amerikaner befürworten Trumps radikales Vorgehen zum Schutz der Aussengrenze. Seine Handelspolitik ist aber schon jetzt unpopulär, obwohl die Wähler die meisten Effekte noch gar nicht spüren.
Auch die Chinesen kennen diese Umfragen und das amerikanische Politsystem.
Es ist daher fraglich, ob die Genfer Gespräche in einen neuen grossen Deal zwischen den beiden Ländern münden. Oder nur schon in ein Telefonat zwischen Xi und Trump.