Die Berner starten miserabel in die Saison. Drei Niederlagen und neun Gegentore geben Rätsel auf. Der neue Trainer Patrick Rahmen findet sich früh und unerwartet in einem labilen Gefüge wieder.
Kaum hat die Saison begonnen, freut sich Enrico Maassen, der neue Trainer des FC St. Gallen: «Wenn du in einen Klub kommst und solche Heimspiele hast, ist das der Optimalfall. Das ist ein besonderer Moment, den man geniessen muss.» St. Gallen besiegt in der Qualifikation zur Conference League Tobol Kostanay 4:1 und drei Tage später den Meister YB 4:0. Acht Tore, glückseliges Publikum, gefestigter Trainer.
Als das der neue YB-Coach Patrick Rahmen hört, fühlt er sich wie in einem Film, der an ihm vorbeiläuft. 1:2 gegen den Aufsteiger FC Sion, 1:3 in Genf gegen den Servette FC und 0:4 in St. Gallen. Neun Gegentore, keine Punkte, viele Fragen und ein Trainer früh in der Bredouille. Im Spiel 4 am Sonntag gegen den FC Zürich kann sich der Meister im vollen Wankdorf nicht mehr viel erlauben. Schon gar nicht drei oder vier Gegentore.
Rahmen sagt in den letzten Tagen nicht nur einmal: «Das haben wir uns anders vorgestellt.» Als die Berner in der Ostschweiz als Team zerlegt werden und der eingewechselte Linksverteidiger Jaouen Hadjam hasardiert, befällt den Torhüter David von Ballmoos der heilige Zorn. Er läuft quer durch den Strafraum und packt Hadjam am Kragen. Ungewohnte YB-Bilder. Ein Meister fällt vom Himmel.
Das YB-Abwehrzentrum funktioniert nicht
Es ist zu viel für von Ballmoos, für Hadjam, für die YB-Abwehr. Der Serienmeister hat in den letzten zwei Saisons weniger als ein Gegentor pro Match erhalten. Selbst in der Champions League und der Europa League gab’s gegen Leipzig, Manchester City und Sporting Lissabon nicht mehr als drei Gegentore. Und jetzt das. Kollektiver Zerfall. Selbstverständnis weg. Trainer und Spieler ringen um Erklärungen.
YB wartet auf Widerstandskraft, auf die rekonvaleszenten Innenverteidiger Mohamed Ali Camara und Loris Benito, den neuen Captain, der auch als Teambildner fehlt. An ihrer Stelle verliert sich im Abwehrzentrum Sandro Lauper, der dafür dem Mittelfeld abhandengekommen ist. Der Vaudois Anel Husic bringt sich mit zwei unglücklichen Auftritten gleich selbst ums Selbstvertrauen, und der neu verpflichtete Franzose Tanguy Zoukrou ist erst 21 und kennt vor allem die Ligue 2. Er kann kein Stabilitätsfaktor sein.
So verkettet sich das sportliche Unglück. Dass dazu Christoph Spycher, der Klubmitbesitzer, der Oberaufseher der Abteilung Sport, in einem Interview auf dem hauseigenen Medienkanal die Abwesenheit des Rechtsverteidigers Saidy Janko als Problemteil anführt, sagt viel darüber aus, in wie vielen noch so versteckten Ecken der Klub Hilfestellung ortet.
Der Meistertitel 2024 liegt wenige Wochen zurück und stützt das Wirken der Chefetage. Weder die Trennung vom Trainer Raphael Wicky fiel auf sie zurück noch diejenige vom jahrelangen Torschützen Jean-Pierre Nsame und auch nicht jene vom CEO Wanja Greuel, obschon in allen Fällen die Nebengeräusche lauter und die Fragezeichen zahlreicher waren als gewünscht.
Der Meistertitel überstrahlte die YB-Sorgen
Doch Titel bleibt Titel. Wenn sich das Team auf dem Bundesplatz von Tausenden feiern lässt, ist auch die aus Berner Sicht dankbare, weil schwächelnde Konkurrenz vergessen. Womöglich polierte der Titel im YB-Haus die eigentlich matter werdenden Böden zu sehr.
Zurechtzufinden hat sich Patrick Rahmen, der Trainer, der jüngst mit Winterthur überzeugte und wie seine Vorgänger Alex Frei und Bruno Berner in einem grösseren Klub die nächste Stufe zu erklimmen versucht. Aber da ist nicht mehr die beschauliche Winterthurer Schützenwiese, wo sich alle kennen. Sondern das mit 30 000 Personen und hohen Erwartungen gefüllte Berner Wankdorf. Da ist nicht mehr nur der kleine Dienstweg zum Winterthurer Sportchef Oliver Kaiser. Sondern es reden vier oder fünf sportliche YB-Meinungsträger mit.
Der Assistent heisst nicht mehr Ognjen Zaric, weil er nicht Rahmen nach Bern folgt, sondern diesen in Winterthur beerben darf. Plötzlich geht’s um Transfers hier und Transfers da, um zig Millionen, um Gerüchte, um Einsatzminuten, um Schaufenster, um die Champions League und 30 Millionen, um abwanderungswillige Afrikaner – in Dimensionen, die Winterthur nur vom Hörensagen kennt.
Immerhin kennt Rahmen dünnere Höhenluft. Er war Assistent in Hamburg und 2021/22 zehn Monate lang Trainer im unberechenbaren FC Basel. Mit 55 Jahren ist er der viertälteste Super-League-Coach.
Er erlebe Rahmen «sehr klar und fokussiert», sagt der YB-Sportchef Steve von Bergen, der in der Woche nach dem Debakel in St. Gallen ein gedrängtes Programm hat. Stimmungen spüren, Gespräche führen. Es geht darum, «die Mannschaft wieder aufzubauen», sagt er. Wer einen solchen Satz vor dem Saisonstart in den Raum gestellt hätte, wäre als Phantast bezeichnet worden. Eine Woche genügt – und viel ist anders.
Blockiert YB den Transfer Meschack Elias?
Zur YB-Szenerie passen Transferepisoden um den Stürmer Meschack Elia. Der kongolesische Nationalspieler ist ein Transferkandidat, doch es heisst aus Beraterkreisen, dass YB deutlich über 5 Millionen und damit zu viel Geld für den Spieler verlange. YB ist unter der Leitung Spychers als harter Verhandlungspartner bekannt, der niemanden verscherbelt und bisweilen eine harte Linie fährt. Zu hart, monieren Kritiker. YB könne als Champions-League-Teilnehmer kein Discount-Laden sein, argumentieren die Befürworter.
Die Transferbilanz der letzten Jahre spricht für die harte YB-Linie. Der Nettoerlös betrug 2022 und 2023 summiert 24 Millionen.
Als von Bergen den Namen Elia hört, entgegnet er trocken: «Er ist bei uns. Bevor wir über einen Transfer und einen Preis reden, muss er für YB liefern.» Tatsache ist, dass Elia 2024 stagniert. Er spielte Anfang Jahr am Afrika-Cup und im Juni zwei WM-Qualifikationsspiele für sein Land. Das bedeutet für ihn jedes Mal: Kontinent wechseln. Donat Rrudhani ist ein anderer Spieler, der in Bern nicht weiterkommt und leihweise in Luzern untergekommen ist. Gleiches gilt für Kastriot Imeri seit 2022 und Darian Males (2023), die einige Millionen gekostet haben.
YB, im August 2024. Der Meister der Fragezeichen. Und dies etwas mehr als zwei Wochen vor dem Play-off zur Champions League. Die neu formatierte Königsklasse bringt neu fix 18,6 Millionen Euro Startgeld ein. Nur nicht daran denken.
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