Yoons Weg zur Macht war aussergewöhnlich – sein Sturz dramatisch. Wie konnte der Präsident Südkoreas denken, ein Coup sei eine gute Idee?
Südkoreas Präsident Yoon Suk Yeol hat alle überrascht. Er wollte seine Macht mit einem Coup sichern, scheiterte fatal und innert Kürze. Jetzt ist er am Ende.
«Ich kann mir nicht vorstellen, dass Yoon das politisch überlebt», sagt Frederic Spohr, Vertreter der Friedrich-Naumann-Stiftung in Seoul.
Was trieb den 64-Jährigen dazu, an einem Dienstag im Dezember das Kriegsrecht auszurufen und die Soldaten ins Parlament einmarschieren zu lassen – und wieso hatte er geglaubt, damit durchzukommen?
Vom Staatsanwalt zum Präsidenten
Yoons Weg an die Macht ist aussergewöhnlich. Er beginnt 2016. Yoon ist kein Berufspolitiker, sondern Staatsanwalt. Und er ermittelt nicht gegen irgendwer, sondern gegen die Präsidentin Park Geun Hye.
Park gehört zu den Konservativen. Sie ist die Tochter des Generals und Diktatoren Park Chung Hee, der sich 1961 an die Macht geputscht hatte. Auch ihr warfen die Südkoreaner Machtmissbrauch vor – zum Beispiel soll sie versucht haben, das Bild ihres Vaters in den Geschichtsbüchern der Schule schön zu färben. Noch schwerer wiegen die Korruptionsvorwürfe gegen Park. Wochenlang gehen die Südkoreaner gegen sie auf die Strasse. Yoon, der die Beweise gegen sie zusammenträgt, wird zum Star.
Das Parlament enthebt Park Ende 2016 des Amts. Später wird sie sogar zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. In den folgenden Wahlen erringt 2017 die Linke die Macht.
Yoon wird für seine Arbeit als Chefermittler belohnt. Der neu gewählte Präsident Moon Jae In kürt ihn 2019 zum Generalstaatsanwalt. Yoon hat nun Lust, selbst in die Politik einzusteigen – er ist beliebt und bekannt als einer, der Recht und Ordnung durchsetzt, die Chancen stehen gut.
Tatsächlich geht alles ganz schnell und leicht für den Quereinsteiger. 2022 tritt er der konservativen People Power Party bei. Die Partei stellt ihn umgehend als Präsidentschaftskandidaten auf. Er gewinnt die Wahl knapp vor dem Kandidaten der Demokraten. Sein Versprechen: Er ist einer, der das Land aufräumen werde, damit Korruption keine Chance mehr habe.
Besonders junge Männer begeistern sich für Yoon. «Der koreanische Donald Trump» wird er im Wahlkampf genannt. Er ist der Anti-Feminist, der das Ministerium für Gender und Familie dem Erdboden gleichmachen will und einer, der sich knallhart gegenüber China gibt.
Doch die Freude über den Wahlsieg währt nur kurz.
Der Absturz des Hoffnungsträgers
Die Beliebtheit Yoons endet mit seiner Präsidentschaft. Er regiert unbeugsam und harsch, wagt heikle Vorstösse in der Innen- wie Aussenpolitik: zum Beispiel die Annäherung an den ehemaligen Besatzer Japan. Dann sind da noch die wiederkehrenden Skandale um seine Ehefrau, Kim Keon Hee.
Kim mag den Luxus. Ein Video zirkuliert 2022 von einem Treffen Kims mit einem Koreanisch-Amerikanischen Pastor, auf dem Tisch steht eine Tasche von Dior im Wert von 2200 Dollar. Ist Kim und vielleicht gar der ehemalige Staatsanwalt Yoon bestechlich?
Die Südkoreaner sind aufgebracht, ihre Hoffnungen auf einen integren Präsidenten zerschlagen. Woche für Woche demonstrieren sie. Die jungen Männer, die ihn gewählt haben, bezeichnen ihn nun als Amateur und einer, der Abkassiere, ohne Leistung zu erbringen. Yoons Zustimmungsrate ist im freien Fall.
Dazu kommt, dass die Opposition im Frühjahr die Mehrheit im Parlament erobert. Die Demokraten warnen: Yoon habe autoritäre Züge. Und dann: er könne das Kriegsrecht ausrufen. Doch Beobachter halten die Warnung für eine Übertreibung, eine haltlose Anschuldigung im Parteienstreit. Kaum jemand glaubt, dass der Präsident so verwegen agieren könnte.
Eine entlarvende Verzweiflungstat
Doch zwei Jahre nach Amtsantritt, Anfang November 2024, erreicht Yoon nur noch 17 Prozent Zustimmung. So tief war Park, als er gegen sie als Staatsanwalt ermittelt hat, gesunken. Gleichzeitig beginnen auch Ermittlungen gegen Yoons Ehefrau und Weggefährten, die auch den Präsidenten einbeziehen könnten. Und der Parteienstreit eskaliert. Die Opposition blockiert das Haushaltsbudget der Regierung. Nichts geht mehr.
Yoon fühlt sich in der Sackgasse und greift zum äussersten und letzten Mittel: dem Kriegsrecht. Seine vorgeschobenen Gründe sind absurd – so behauptet er etwa, die Opposition sei von nordkoreanischen Kräften unterwandert. Die Aktion ist so überraschend wie entlarvend.
Auf die verzweifelte Idee eines Putsches als Befreiungsschlag kommt Yoon jedoch nicht alleine. Es ist das wahr gewordene Gedankenspiel einer Clique ehemaliger Schulkameraden eines Gymnasiums in Seoul. Teil der Gruppe ist auch der Verteidigungsminister Kim Yong Hyun, der, wie es heisst, die Idee eines Coups dem Präsidenten schmackhaft gemacht hat.
Die elitäre Gruppe hat sich wohl gegenseitig im Plan bestärkt. Sie haben sich sowie ihren Rückhalt in der Armee masslos überschätzt – und sowohl die Bevölkerung wie die Parlamentarier Südkoreas unterschätzt. Yoon macht nach wenigen Stunden einen Rückzieher.
Kim hat inzwischen seinen Rücktritt angeboten. Yoon harrt in seinem Posten aus, noch hat er sich nicht vor die Öffentlichkeit gewagt. Ihm dürfte klar sein: seine Tage sind gezählt. Das Parlament entscheidet bis Sonntagabend über seine Entmachtung.