In seinem hochgelobten Debüt holt der amerikanischen Schriftsteller seine Figuren mitten aus dem Alltag und zeigt, wie dünn die Wand ist zwischen Wahn und Wirklichkeit.
Als J. D. Vance noch nicht amerikanischer Vizepräsident und ein glühender Verehrer Donald Trumps war, schrieb er 2016 in seinem Memoir «Hillbilly Elegy» erstaunliche Dinge. Eine Leistung Barack Obamas sei es, die tiefen Unsicherheiten der gesellschaftlich Abgehängten auf mitfühlende Art erkannt zu haben.
Der Blick von Vance, der aus einer armen und sozial dysfunktionalen Familie kommt, ist in «Hillbilly Elegy» nicht auf eine abgehobene Elite gerichtet, sondern spiegelt auch die eigene Perspektive: Aufstieg ist möglich, und es ist falsch, sich allein in der Rolle des Opfers einzurichten. Der Report aus dem desillusionierten Amerika der Fly-over-States hat einen Rest von Hoffnung.
Man kann das jenseits des Atlantiks heftig bejubelte Erzähldebüt «Beautiful Days» von Zach Williams durchaus vor dieser Folie lesen. Barack Obama hat das Buch auf seine «summer reading list» gesetzt und damit Literatur empfohlen, die gleichermassen fiktional ist, wie sie als politische Warnung zu lesen ist. Weniger gemütlich als hier war Amerika selten. Unsichtbare Mauern schliessen sich um Figuren, die gegen persönliche Katastrophen kämpfen.
Meister der Lakonie
Williams’ ungezügelte Phantasie einer verlorenen Gesellschaft erzeugt eindringliche Bilder von Panik und Paranoia. Hier ist alles Weltvertrauen verloren, und niemand wird jemals wieder froh. «Meine kostbarsten Erinnerungen kollidieren mit den unheimlichsten», heisst es einmal. Auf Deutsch steht Zach Williams’ von Clemens J. Setz und Bettina Abarbanell sehr ungekünstelt übersetztes Buch unter dem Titel «Es werden schöne Tage kommen». Das ist angesichts der Lage in den zehn Geschichten natürlich blanke Beschönigung.
Williams ist ein grosser Meister der Lakonie. Vor allem dies hält das Erzählte auf beklemmende Weise in der Schwebe. In «Sauerkleehaus», einem der längsten Texte im Buch, ist so gut wie alles düster und verfremdet, aber als das kleine Kind eine vorbeikriechende Schnappschildkröte sieht, sagt es in seiner Kindersprache «unheimich».
Wie in postapokalyptischen Zeiten findet sich ein Paar mit seinem Sprössling plötzlich ganz allein inmitten einer Landschaft, in der es nur das sogenannte Sauerkleehaus gibt. Wie von selbst füllt sich Tag für Tag die Tiefkühltruhe. Die Eltern werden älter, nur das Kind steckt in seinem Zustand fest. Eines Tages verschwindet der Mann, und dann ist die gleichgültige Natur rund ums Haus noch bedrohlicher.
Zach Williams braucht für seine nach dem Muster der klassischen amerikanischen Short Story erzählten Geschichten keinen Fluchtpunkt. Es gibt keinen richtigen Anfang und kein richtiges Ende. Es sind Momentaufnahmen, Albtraumprotokolle.
In «Probelauf» schafft es ein Mann gerade noch aus dem in der Stadt tobenden Unwetter ins Bürogebäude, in dem er arbeitet. Auf seiner Etage sitzen nur der Wachmann Manny Mintauro und ein Kollege, der gerade seltsame Probleme mit seiner Frau hat. In der Firma werden über einen «TruthFlex»-Account Droh-E-Mails verschickt, die wohl von einem Mitarbeiter kommen. Wem ist im Milieu der Wahrheitsbeugung zu trauen, und welche Rolle spielt der Mann, dessen Name klingt wie der des mythischen Minotauros? Sind amerikanische Büros in Analogie zur griechischen Sage labyrinthische Gefängnisse?
Das Buch ist ein Versprechen
In Zach Williams’ Erzählungen gibt es einen beunruhigenden Kern, aber um diesen herum ist eine ganz deutlich wiedererkennbare amerikanische Wirklichkeit gebaut. Die doppelbödige Einsamkeit pastell gefärbelter Vorstadtreihenhäuser wird in «Nachbarn» geschildert. Das On the Road der Verzweifelten, die am Ende nichts mehr haben und in ihren Autos leben, kommt in «Ghost Image» vor. In der vielleicht verrücktesten Geschichte namens «Lucca Castle» gibt es eine Aussteiger- und Querdenkersekte, die sich eine «Extraktivkapitalisten-Essenz» braut und in ihrem Hauptquartier auch sonst ziemlich wunderliche Dinge tut.
In «Es werden schöne Tage kommen» ist der Wahnsinn nicht in ein dystopisches Irgendwo ausgelagert, sondern er findet hinter der dünnen Trennwand zu unserem Alltag statt. Man kann diese Trennwände rhetorisch einreissen, so wie es die Verschwörungstheoretiker von Lucca Castle mit ihren schrillen Endzeiterzählungen tun: «Die Stadt ist ein gefährlicher Ort. Tödliche Fussgängerunfälle mehren sich. Auch tödliche Zugunfälle. Herabfallende Trümmer, Kanalschachtexplosionen, durchgerostete Kellerluken. Aber es ist mehr als das. Der Firnis wird dünner. Jeder fürchtet jeden. Man kann es fühlen; jeder von uns weiss es – da draussen geht alles vor die Hunde.»
Das erinnert trotz ironischer Brechung an die «American carnage»-Rede von Donald Trump bei seiner ersten Inauguration im Jahr 2017, in der von einem angeblich laufenden Gemetzel in den USA die Rede war. Das Gute an Literatur: Die Unruhe, die sie stiftet, kommt in friedlichen Absichten. Nach der Lektüre von Zach Williams’ unheimlichem und zugleich unheimlich interessantem Debüt hat man den Eindruck, es mit einem menschenfreundlichen Autor zu tun zu haben. Hier ist nicht einer der Feind des anderen, sondern jeder ist sich selbst der grösste Feind. Deshalb ist Zach Williams’ Buchtitel «Es werden schöne Tage kommen» vielleicht doch kein Euphemismus, sondern ein Versprechen.
Zach Williams: Es werden schöne Tage kommen. Stories. Aus dem Englischen von Bettina Abarbanell und Clemens J. Setz. DTV, München 2025. 272 S., Fr. 35.90.