Laut dem Abkommen mit der Hamas soll Israel fast 2000 palästinensische Gefangene freilassen. Unter ihnen sind zahlreiche Terroristen, die lebenslange Haftstrafen absitzen – aber auch junge Frauen, die wegen kleinster Vergehen verhaftet wurden.
Es gab eine Zeit, da war Zakaria Zubeidi einer der meistgesuchten Palästinenser im Westjordanland. Schon als Jugendlicher war er mehrfach verhaftet worden, weil er Steine und Molotowcocktails auf israelische Soldaten geworfen hatte. Später, während der zweiten Intifada, radikalisierte er sich und trat den Al-Aksa-Märtyrerbrigaden bei, dem bewaffneten Flügel der Fatah-Partei des Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas. Rasch wurde er zu einem Anführer der Gruppe, galt als «König von Jenin», jener Hochburg der militanten Palästinenser im nördlichen Westjordanland.
Gegenüber israelischen Journalisten prahlte Zubeidi mit den Terrorangriffen, die er geplant hatte: So sei er für den Anschlag im israelischen Ort Beit Shean im Jahr 2002 verantwortlich, bei dem sechs Israeli erschossen und dreissig verletzt worden waren, ebenso für ein Attentat in Tel Aviv 2004, bei dem eine Frau getötet wurde. Vier mal versuchte Israel in der Folge, ihn zu töten. 2007 erhielt er zwar im Rahmen von Verhandlungen eine Amnestie, beteiligte sich dann aber erneut an terroristischen Aktivitäten. 2019 wurde er schliesslich verhaftet und in Israel zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt.
Nun soll der heute 49-jährige Zubeidi im Rahmen des Abkommens zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas auf freien Fuss kommen. Das zeigt eine Liste mit 734 Namen, die am Samstag vom israelischen Justizministerium veröffentlicht wurde. Zubeidi ist der wohl prominenteste Name auf der Liste – doch wer sind die anderen, die in den nächsten sechs Wochen freigelassen werden?
Häftlinge «mit Blut an den Händen»
Auf der von Israel veröffentlichten Liste werden nicht nur die Namen der palästinensischen Häftlinge aufgeführt, sondern auch die Länge ihrer Haftstrafen, die von ihnen begangenen Delikte sowie ihre Zugehörigkeit zu palästinensischen Gruppen. Die grösste Gruppe stellen dabei Mitglieder der Hamas mit rund 300 Häftlingen. Weitere 260 Häftlinge werden als Mitglieder der Fatah ausgewiesen, wobei diese mutmasslich wie Zubeidi den Al-Aksa-Märtyrerbrigaden angehören. Dazu kommen 60 Angehörige der Organisation Palästinensischer Islamischer Jihad (PIJ), die im Gazastreifen an der Seite der Hamas kämpft.
Unter den Häftlingen sind auch Dutzende, die «Blut an den Händen» haben, wie es in Israel heisst – also Palästinenser, die Juden getötet haben. Insgesamt 284 Personen auf der Liste wurden zu lebenslänglichen Haftstrafen verurteilt.
Unter ihnen ist etwa Mahmud Abu Varda, der 48 lebenslängliche Haftstrafen verbüsst. Varda war im Jahr 1996 an einem Bombenanschlag auf einen Bus in Jerusalem beteiligt, bei dem 45 Menschen getötet wurden. Auch der zu 21 lebenslänglichen Haftstrafen verurteilte PIJ-Anführer Tabet Mardawi soll freigelassen werden. Er hatte sich an Terrorattacken beteiligt, bei denen zwanzig Israeli getötet und 150 weitere verletzt wurden.
Für Israel sind dies schmerzhafte Zugeständnisse, die sich die Hamas erpresst hat. Viele fühlen sich an die Geschichte von Gilad Shalit erinnert: Der von der Hamas in den Gazastreifen entführte israelische Soldat war 2011 nach jahrelangen Verhandlungen im Austausch gegen mehr als tausend palästinensische Häftlinge freigelassen worden. Unter ihnen war auch Yahya Sinwar – der inzwischen getötete Kopf hinter dem Massaker vom 7. Oktober 2023. Kritiker der Waffenruhe sagen deshalb, Israel begehe nun den gleichen Fehler.
Festgehalten ohne Anklage
90 der 734 Palästinenser auf der Liste sind indes bereits auf freiem Fuss. Nachdem die Hamas am vergangenen Sonntag drei am 7. Oktober gewaltsam entführte israelische Geiseln freigelassen hatte, konnten 69 Frauen und 21 Jugendliche das Ofer-Gefängnis im Westjordanland verlassen. Fernsehbilder zeigen, wie die Busse mit den Häftlingen unter frenetischem Jubel von Hunderten von Palästinensern in Ramallah empfangen wurden. Viele schwenkten dabei palästinensische Flaggen, aber auch jene der Hamas.
Zu den bereits freigelassenen Häftlingen gehört Khalida Jarrar. Die prominente 62-jährige Aktivistin und Politikerin hatte in der Vergangenheit bereits mehrere Haftstrafen verbüsst. 2021 war sie wegen «Mitgliedschaft in einer terroristischen Gruppe» zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden, nachdem sie bereits zwei Jahre lang ohne Anklage in Haft gesessen hatte. Jarrar ist Mitglied der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP), die in den 1970er Jahren mit der Entführung von Flugzeugen internationale Schlagzeilen gemacht hatte. Die marxistisch-leninistische Gruppe wird von Israel nach wie vor als Terrororganisation eingestuft.
Zwar kam Jarrar nach dem Verbüssen ihrer Haftstrafe auf freien Fuss, wurde allerdings nach dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 erneut festgenommen und in sogenannte Administrativhaft gesteckt. Dieses Instrument erlaubt es der Militärverwaltung im besetzten Westjordanland, Palästinenser aus «Sicherheitsbedenken» ohne Gerichtsverfahren und Urteil während unbestimmter Zeit zu inhaftieren. In vielen Fällen sind die genauen Vorwürfe nicht öffentlich bekannt. Die Praxis wird seit Jahren von Menschenrechtsorganisationen scharf kritisiert. Derzeit sitzen rund 3400 Palästinenser in Administrativhaft.
Fünf Monate Haft für Social-Media-Post
In vielen Fällen reichen allerdings kleinste Vergehen, um von der israelischen Militärverwaltung festgenommen zu werden. Ein Beispiel dafür ist die 24-jährige Shatha Jarabaa, die ebenfalls am vergangenen Sonntag freigelassen wurde. Sie war im August 2024 verhaftet worden, nachdem sie in einem Post auf Social Media die «Brutalität» Israels im Krieg im Gazastreifen kritisiert hatte. Aus der von Israel veröffentlichten Liste ist ersichtlich, dass ihr «Aufwiegelung und Unterstützung des Terrorismus» vorgeworfen wurden.
Insgesamt könnten im Rahmen der sechswöchigen Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas rund 2000 Palästinenser freigelassen werden. In den Verhandlungen wurde nämlich vereinbart, dass zusätzlich zu den 734 Personen auf der Liste weitere 1200 Palästinenser aus israelischen Gefängnissen entlassen werden. Dabei handelt es sich um Personen aus dem Gazastreifen, die nach Kriegsbeginn in dem Küstengebiet festgenommen und ohne Anklage festgehalten worden waren. Um wen es sich genau handelt, ist unklar – die Bedingung für ihre Freilassung ist allerdings, dass sie sich nicht am Massaker vom 7. Oktober beteiligt haben.