Deutschland will die Homöopathie komplett aus der Krankengrundversicherung verbannen. In der Schweiz gibt es Bemühungen, die in die gleiche Richtung zielen.
Karl Lauterbach hat eine klare Meinung zur Homöopathie: Sie habe keinen medizinisch nachweisbaren Nutzen. Deshalb ist der deutsche Gesundheitsminister und Arzt der Meinung, dass die Krankenkassen die Globuli nicht mehr bezahlen sollten. «Das können wir uns nicht leisten», betonte der Sozialdemokrat kürzlich. Sollten die Deutschen diese Leistungen wünschen, müssten sie selbst dafür aufkommen oder Zusatzversicherungen abschliessen.
Die deutschen Krankenkassen dürfen ihren Kunden einen Teil der Kosten für alternativmedizinische Behandlungen erstatten, sie müssen aber nicht: Homöopathie ist nicht Teil des Leistungskatalogs. Viele Kassen geben sich heute kulant und finanzieren die Globuli mit. Das will Lauterbach verbieten.
In der Schweiz ist die Situation eine andere: Die Homöopathie ist wie vier andere alternative Heilmethoden fester Bestandteil des Leistungskatalogs der Krankenkassen. Dies als Folge eines Volksentscheids von 2009: Zwei Drittel der Stimmenden sagten damals Ja zu einer entsprechenden Initiative. 2012 nahm der Bundesrat die Homöopathie und die anderen Spielarten der Komplementärmedizin provisorisch in die Grundversicherung auf, 2017 dann definitiv.
Wirksamkeit nicht nachzuweisen
Das Ganze hat allerdings, Volkswillen hin oder her, einen Schönheitsfehler. Alle medizinischen Leistungen in der Grundversicherung sollten eigentlich den sogenannten WZW-Kriterien entsprechen: Sie müssen wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sein. Ein Beweis der Wirksamkeit, über den Placebo-Effekt hinaus, ist bei der Homöopathie nicht gelungen – was auch schwierig ist angesichts des Umstandes, dass die Wirkstoffe in den Globuli so stark verdünnt sind, dass sie nicht mehr nachweisbar sind.
Das Bundesamt für Gesundheit behilft sich mit einem Trick: «Es wird angenommen, dass homöopathische Leistungen, angewandt von Ärztinnen und Ärzten mit entsprechender Weiterbildung, Pflichtleistungscharakter haben, weil davon ausgegangen wird, dass die erbrachten Leistungen wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sind», sagte ein BAG-Sprecher 2018 gegenüber der NZZ. Dies gelte, solange nicht von dritter Seite eine detaillierte WZW-Prüfung verlangt werde – also quasi auf Widerruf.
Eine solche Prüfung hat in den seither vergangenen Jahren von den grossen gesundheitspolitischen Akteuren niemand verlangt. Patientenvertreter haben kaum ein Interesse an einer Einschränkung der vergüteten Leistungen, homöopathieskeptische Ärzte möchten sich nicht mit Kollegen anlegen, die Globuli verschreiben. Und auch die Krankenkassen, die sich gerne als Anwälte der Prämienzahler präsentieren, haben bisher nicht auf einen Nachweis der Wirksamkeit gepocht.
Allerdings hat eine Privatperson beim BAG ein so genanntes Umstrittenheitsverfahren angestossen, wie die «Sonntagszeitung» berichtet. Das bedeutet, dass nun die Homöopathen selbst, aber auch die Ärztevereinigung FMH oder die Krankenkassen Stellung beziehen müssen. Das Verfahren dürfte laut BAG bis Ende 2024 oder noch länger dauern. Am Schluss müsste die neue Gesundheitsministerin Elisabeth Baume-Schneider entscheiden, ob die Homöopathie aus der Grundversicherung fliegt.
Und auch im Parlament gibt es Widerstand gegen die Homöopathie. Besonders hervorgetan hat sich dabei der Walliser Freisinnige Philippe Nantermod, der gleich mehrere Vorstösse im Nationalrat eingereicht hat. Zwei davon sind versandet. So eine Motion, in der Nantermod gefordert hatte, dass Leistungen nicht mehr bezahlt werden sollen, deren Wirksamkeit nicht belegt ist. Doch ein Vorstoss ist noch hängig. Und Nantermod glaubt, dass die Chancen seines Anliegens dadurch gestiegen sind, dass in den Nachbarländern homöopathiekritische Stimmen lauter werden.
Homöopathie ausschliessen
Nantermod verlangt eine Opting-out-Möglichkeit für die Grundversicherten: Sie sollen auf komplementärmedizinische Leistungen verzichten können und dafür eine etwas tiefere Prämienrechnung erhalten. Der FDP-Mann geht davon aus, dass eine solche Wahlmöglichkeit relativ einfach zu implementieren wäre – ebenso wie die Unfalldeckung der Krankenkassen, welche die Versicherten ausschliessen können, die bereits über den Arbeitgeber unfallversichert sind. Der Bundesrat hingegen mahnt, die Schaffung einer Wahlleistung wäre technisch «äusserst komplex».
Zudem weist der Bundesrat darauf hin, dass eine solche Übung bei Kosten von lediglich 18 Millionen Franken für die ganze Komplementärmedizin, davon rund 10 Millionen für die Homöopathie, nicht verhältnismässig sei. Tatsächlich ist dieser Betrag im Vergleich zu den rund 40 Milliarden Franken, die die Grundversicherung pro Jahr ausgibt, sehr klein. Und entsprechend winzig wäre auch das Sparpotenzial für jene, welche auf homöopathische Leistungen verzichten würden: Bei jährlichen Prämien von 4000 Franken gäbe es gerade einmal einen Franken zurück.
Doch Nantermod geht es ums Prinzip. «Viele glauben an die Wirksamkeit dieser Behandlungen, aber längst nicht die gesamte Bevölkerung», hält er in seinem Vorstoss fest. Es lasse sich deshalb «schwer rechtfertigen, dass alle Versicherten gezwungen werden, Leistungen mitzufinanzieren, die im Wesentlichen auf der inneren Überzeugung einiger Ärztinnen und Ärzte und einiger Versicherter beruhen, nicht aber auf objektiven wissenschaftlichen Daten».
Gisela Etter, Präsidentin des Schweizerischen Vereins homöopathischer Ärztinnen und Ärzte, sieht das naturgemäss anders. Die Motion Nantermod verletze das Solidaritätsprinzip der Grundversicherung, sagt sie. Zudem sei eine Streichung der Homöopathie nicht prämienwirksam.
«Homöopathie ist in der Bevölkerung deshalb so beliebt, weil sie zuverlässig und gut wirkt», sagt Etter. Moderne Medizin brauche eine Methodenvielfalt, um der Individualität der Menschen gerecht zu werden. Ein Beispiel aus der täglichen Praxis, das Etter anführt: Homöopathie biete eine gute Möglichkeit, Antibiotika sparsam und trotzdem sachgerecht einzusetzen – und damit die Antibiotikaresistenzen und deren immense Kostenfolgen zu senken.