Bei Herrn Grünfels geht nichts mehr. Die Frau betrügt ihn, die Tochter ist ungewollt schwanger. Er wird verrückt.
Herr Grünfels sieht aus wie ein deutscher Bürger aus dem Bilderbuch: Alles sitzt korrekt, Haare, Anzug, Brille, das Ganze etwas altmodisch. Im praktischen Alltag ist Grünfels ein Träumer. Er stellt sich vor, dass seine schöne blonde Frau (Patrycia Ziolkowska) ihn nach der Arbeit sehnsuchtsvoll empfängt und dass seine Kinder ihre Teenagerjahre mit Leichtigkeit und Eleganz durchgleiten. Manchmal wähnt er sich selbst auf einer intensiv grünen Blumenwiese und bildet sich ein, über den Dingen zu schweben.
In Wirklichkeit schwebt er allerdings nicht. In seinem Alltag knirscht es gewaltig. Die Frau betrügt ihn, der Sohn (Niko Jungmann) ist dauernd bekifft, die Tochter (Maja Bons) ungewollt schwanger. In seiner Familie fühlt er sich fremd und beginnt, Selbstgespräche mit einem teuflischen Alter Ego zu führen. «Grünfels’ Leben funktionierte nicht mehr so recht», fasst eine sanfte Männerstimme aus dem Off zusammen. Irgendwann habe er eine Linie bei sich überschritten, und jetzt sei er verrückt.
Matthias Brand brilliert
Der «Tatort» «Es grünt so grün, wenn Frankfurts Berge blüh’n» ist auch verrückt, aber auf die beste Art. Das Drehbuch schrieben Michael Proehl und Dirk Morgenstern; Proehl war auch für den fulminanten Murot-Fall «Im Schmerz geboren» und für die erste Folge des Frankfurter Ermittlerteams Janneke (Margarita Broich) und Brix (Wolfram Koch) verantwortlich. Tristan Grünfels wird wunderbar von Matthias Brandt gespielt.
Eigentlich geht es in der neuen Folge um den Absturz eines Mannes, der dabei Menschen seines direkten und indirekten Umfelds mit in die Tiefe reisst. Was so tragisch klingt, siedelt Till Endemann (Regie) stilistisch zwischen einem ironischen Traumspiel und einem bösen Märchen an.
Wenn Grünfels, von Beruf Psychologe und Opferbetreuer für die Frankfurter Polizei, mit sich selbst spricht, erscheint Matthias Brandt zweimal auf dem Fernsehschirm. Die Erzählerstimme, die zusätzlich sein trauriges Tun begleitet, klingt gut gelaunt. Um seinen porösen Seelenzustand anzudeuten, zuckt es ihm um Augen und Mundwinkel – gerade so viel, dass es nicht völlig übertrieben aussieht, aber genug, um die Parodie erkennen zu lassen. Irgendwann sitzt ihm seine Brille schief auf der Nase und eines der Gläser ist so angeknackst wie bei Michael Douglas in «Falling Down» (1993), einer anderen Zerfallsgeschichte eines amoklaufenden Normalbürgers, die hier diskret zitiert wird.
Grünfels wird zur Kunst
Zitiert wird überhaupt einiges, die Bilder der deutschen Romantik etwa, denen Tristan Grünfels so verfallen ist, dass er sich darüber mit einer Polizistin anlegt – eine Begegnung mit fatalen Folgen. Einmal betritt Grünfels eine Kunstinstallation, die einen dreidimensionalem Nachbau des Felsens in Caspar David Friedrichs Gemälde «Wanderer über dem Nebelmeer» (1818) enthält. Der Betrachter wird Teil des Kunstwerks, wenn er ihn erklimmt.
Was Grünfels natürlich tut, nur um dann zu sehen, dass er in der künstlichen Landschaft eine «Besorgnis erregende Asymmetrie» wahrnehmen muss, die auf «Störungen in der deutschen Seele» hinweisen. So erklärt die Stimme aus dem Off. Wobei es im «Tatort» auf die eine oder andere Weise ja immer um Störungen der deutschen Seele geht. Damit sich das anspielungsreiche Ganze akustisch rundet, wurde die Filmmusik von Richard Wagner, einem weiteren Vertreter der Romantik, inspiriert.
Mit dieser 19. und letzten gemeinsamen Folge verabschieden sich Janneke und Brix, die seit 2014 für den Frankfurt-«Tatort» vor der Kamera standen. Sie gehen im grossem Stil, passend zu diesem «Tatort», der die grosse Geste und den gespielten Ernst liebt.
«Tatort» aus Frankfurt: «Es grünt so grün, wenn Frankfurts Berge blüh’n». Am Sonntag, 29. September, um 20.05 Uhr bei SRF 1 und um 20.15 Uhr bei der ARD.