Ein unscheinbares Lokal dient als Drehscheibe für das organisierte Verbrechen.
Der Laden von Edris Ahmadi (Name geändert) ist unscheinbar. Der 25-jährige Afghane betreibt einen kleinen Kiosk in Zürich-Nord, in dem er Kaugummis, Süssigkeiten, Zigaretten, Schnaps, Lottoscheine und Dinge des täglichen Gebrauchs verkauft.
Doch Ahmadi hat parallel ein zweites Geschäft betrieben: als Geldwäscher für das organisierte Verbrechen. Sein Lokal ist eine wichtige Drehscheibe für kriminelle Netzwerke, die die Schweiz mit Telefonterror überziehen. Mindestens 750 000 Franken sollen die Betrügerclans über seinen Kiosk geschleust haben.
Ahmadis Geschichte handelt von einer schwierigen Flucht, seinem Kampf um Anerkennung und den Verlockungen des schnellen Reichtums mit dubiosen Mitteln.
Eine verworrene Fluchtgeschichte und Finanzgeschäfte
2016 kommt Ahmadi als Flüchtling in die Schweiz. Der damals noch Minderjährige hat eine beschwerliche Flucht hinter sich – ein Jahr lang war er unterwegs. Den Schweizer Migrationsbehörden gibt er bei seiner Ankunft zu Protokoll, er sei geflüchtet, weil ein korrupter Unternehmer mit Verbindungen in afghanische Regierungskreise Rache an seiner Familie geschworen habe. Mehrere Familienmitglieder seien deshalb getötet worden.
Vor dem Bezirksgericht in Zürich erzählt er noch eine zweite Version. Sein Vater sei als Staatsangestellter für die frühere afghanische Regierung tätig gewesen. Er und seine Familie hätten bei den Taliban deshalb als Verräter gegolten.
Es sind verworrene Geschichten. Ob sie stimmen, bleibt unklar. Ahmadi jedenfalls beteuert, beide seien wahr.
Der junge Afghane arbeitet viel. Anfangs sei es schwer gewesen, alleine in einem fremden Land. «Aber ich habe begonnen, mir etwas aufzubauen, um mich unabhängig zu machen. Ich wollte ein friedliches Leben in der Schweiz.»
Schliesslich übernimmt er den kleinen Laden in Zürich. Ziemlich gut sei der Kiosk gelaufen, sagt der junge Mann. Doch dann sei es zu diesem Vorfall gekommen.
Ahmadi gerät ins Visier von Kriminellen. Denn Firmen wie seine sind für kriminelle Organisationen ideal. Sie haben einen seriösen Anstrich und operieren auch legal mit grösseren Geldbeträgen. Und genau darum fällt es nicht auf, wenn in dieser Masse auch Einkünfte aus illegalen Quellen verschoben werden.
Vor allem, weil Ahmadi neben seinem Kiosk auch noch ein Geldtransfer-Büro für Überweisungen nach Afghanistan und Iran betreibt. Zum Teil laufen die Gelder über seine eigenen und die Konten seines Kiosks sowie über ein Krypto-Konto. Transferiert wird das Geld per Hawala-System. Die Ermittlungen der Zürcher Staatsanwaltschaft zeigen, dass Ahmadi innerhalb von vier Jahren rund 2,5 Millionen US-Dollar, 850 000 Franken sowie 275 000 Euro an Partner-Hawaladare in Afghanistan und Iran transferierte. 2 Prozent der Beträge zweigt er für sich selbst ab.
Ein Grossteil des Geldes stammt aus legalen Quellen. Es sind Landsleute von Ahmadi, die sein Transfer-Büro nutzen. Bloss: Ahmadi verfügt über keinen Anschluss an eine Selbstregulierungsorganisation. Das wäre jedoch gesetzlich vorgeschrieben.
Ein Typ namens Bassir
Auf die schmutzigen Geschäfte mit dem organisierten Verbrechen lässt sich Edris Ahmadi im Dezember 2023 ein. Das zeigen die Ermittlungen der Zürcher Staatsanwaltschaft. Der junge Afghane beginnt, im grossen Stil Bargeld entgegenzunehmen. Er versteckt es in seinem Kiosk und übergibt es später bar an Kuriere der kriminellen Netzwerke. Für einen Teil nutzt er auch das von ihm betriebene Hawala-System.
Ahmadi sagt, er sei ungewollt hineingerutscht. Ein Mann, der sich Bassir genannt habe, sei eines Tages bei ihm aufgetaucht. «Er hat mir Versprechungen für Nebeneinkünfte gemacht und mich damit in diese Sache hineingelockt.»
Ahmadi nimmt seinen Anteil, versteckt und transferiert das Geld. Geld, das die Betrüger ihren Opfern zuvor mit perfiden Mitteln abgeluchst haben.
Die Masche läuft immer ähnlich ab: Ein angeblicher Polizist oder Staatsanwalt meldet sich beim Opfer. Doch statt mit Polizisten sind die meist betagten Opfer mit Callcenter-Mitarbeitern der Kriminellen verbunden. Diese tischen ihnen eine abenteuerliche Geschichte auf: Das Geld auf ihrem Bankkonto sei nicht mehr sicher. Sie seien Opfer eines Betrugs, in den auch Angestellte der Bank verwickelt seien. Der einzige Ausweg: Sie sollen ihr Geld abheben und es einem Polizisten übergeben. Die Anrufer üben so lange Druck aus, bis die Opfer dazu bereit sind.
Die vermeintlichen Polizisten, die das Bargeld entgegennehmen, wissen, wohin sie es bringen müssen: zum Kiosk von Edris Ahmadi.
In den folgenden fünf Monaten liefern die Kuriere regelmässig grosse Beträge bei ihm ab. Ende Dezember 2023 übergeben ihm die Kriminellen 214 000 Euro. Wem das Geld gehörte, können die Ermittler später nicht mehr eruieren. Ahmadi lagert das Geld in den Ablagefächern des Fahrer- und des Beifahrersitzes seines Toyotas. Dann holt ein Fahrer in Ahmadis Auftrag dreckiges Geld aus Frankreich in die Schweiz. Und ein anderes Mal bringt ein Kurier 65 000 Franken zu seinem Kiosk.
Insgesamt dreizehn solcher Übergaben listet die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage auf.
Die Staatsanwaltschaft wirft dem jungen Kioskbetreiber vor, er habe gewusst, dass die Gelder aus dem Betrug mit falschen Polizisten stammten. Durch die Entgegennahme, Aufbewahrung und Weitergabe der Gelder habe er ihre verbrecherische Herkunft verschleiert und die Einziehung erschwert.
Riesige Mengen Bargeld gehortet
Die Polizei kommt dem Kioskbetreiber dank einem Geldkurier auf die Spur. Eines der Opfer der Telefonbetrüger wird misstrauisch und informiert die Polizei. Als ein Mitglied des Betrügernetzwerks die Couverts mit Bargeld abholt, folgen die Ermittler dem Mann. Und dieser führt sie zu einem Kiosk in Zürich-Nord. Es ist der Laden von Edris Ahmadi.
Im April 2024 schlagen die Ermittler zu und verhaften den jungen Mann. Bei der Razzia stossen die Ermittler auf riesige Mengen Bargeld – fast 500 000 Euro, 200 000 Franken, 20 Millionen iranische Rial – derzeitiger Wert: rund 400 Franken – und ein paar tausend US-Dollar.
Ahmadi sitzt daraufhin rund sechs Monate in Untersuchungshaft. Schliesslich gesteht er seine Verwicklungen in die kriminellen Geschäfte. Deshalb erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage im abgekürzten Verfahren gegen ihn – wegen gewerbsmässiger Hehlerei, schwerer Geldwäscherei, Ausübung einer Tätigkeit ohne Bewilligung sowie mangelnder Sorgfalt bei Finanzgeschäften.
Am Dienstag hat das Bezirksgericht Zürich über den Urteilsvorschlag der Staatsanwaltschaft befunden.
Ahmadi beteuert gegenüber der Richterin, es sei nie seine Absicht gewesen, gegen Gesetze zu verstossen. «Ich wurde in eine Falle gelockt. Ich habe nicht gut aufgepasst, obwohl immer das Risiko besteht, dass das Geld aus unsicherer Quelle stammt.» Nun wisse er, dass er Leuten nicht einfach vertrauen könne.
Das Bezirksgericht stimmt dem Deal zwischen der Staatsanwaltschaft und Ahmadi schliesslich zu. Es verurteilt den 25-jährigen Afghanen zu einer Freiheitsstrafe von 34 Monaten. Ein Jahr muss er absitzen, die restlichen 22 Monate spricht das Gericht bedingt aus.
Einen Teil des Geldes, das die Ermittler bei Ahmadi beschlagnahmen, erhalten die Opfer des Telefonbetrugs zurück. Rund 250 000 Franken fliessen an acht Geschädigte, die den Behörden bekannt sind.
Bei der Urteilseröffnung sagt die Richterin, die Strafe sei eher tief ausgefallen. Ahmadi habe sich an einem äusserst perfiden Plan beteiligt. Dieser habe das Ziel gehabt, vor allem ältere Menschen zu betrügen. «Weiter weg von einem ehrenhaften Geschäft kann man sich fast nicht bewegen.» Ahmadi habe damit rechnen müssen, dass das Geld aus illegalen Quellen stamme. «Welcher legale Grund sollte bestehen, derartige Summen zu verstecken?»
Ahmadi muss die Schweiz für fünf Jahre verlassen. Wohin er gehen will, weiss er nicht. «Ich kenne nur zwei Länder – die Schweiz und Afghanistan. In mein Herkunftsland kann ich unmöglich zurück, deshalb stehe ich nun unter Druck.» Er habe aber noch Hoffnung, einst ein besseres Leben führen zu können. Er müsse sich nur von Typen wie Bassir fernhalten.
Urteil DH 240 154 vom 11. 3. 25.