Die lange Zeit extrem expansive Geldpolitik der EZB sowie die im Sommer 2022 eingeleitete Zinswende belasten das Ergebnis der Deutschen Bundesbank. Die Folgen werden über Jahre spürbar sein.
Auf eines konnte sich der deutsche Finanzminister in den letzten gut dreissig Jahren verlassen: eine Milliarden-Überweisung aus Frankfurt für den Bundeshaushalt. Zwischen 1980 und 2019 hat die Bundesbank eine jährliche Gewinnabführung von zwischen 0,5 und 6 Milliarden Euro geleistet, einzelne Ausreisser nach oben und unten bestätigten die Regel.
Damit ist es seit 2020 vorbei, und auch dieses Jahr wird die Bank kein Geld nach Berlin transferieren. Schlimmer noch: Das Nettozinsergebnis wird einen zweistelligen Milliardenverlust aufweisen, der (fast) die gesamten Rückstellungen von 19,2 Milliarden Euro aufzehren könnte, wie mehrere mit der Sache vertraute Personen berichten.
Rasanter Anstieg der Leitzinsen im Euro-Raum
Die derzeitigen und die kommenden Einschläge in der Bundesbank-Bilanz sind das Ergebnis der enorm expansiven Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) in den letzten Jahren, die zum Teil von den nationalen Notenbanken umgesetzt wurde. Die Politik war gekennzeichnet von extrem tiefen und teilweise sogar negativen Leitzinsen sowie durch die Wertpapierkaufprogramme, die zu einer hohen Überschussliquidität geführt haben. Diese Überschussliquidität hat wiederum den Anstieg der Einlagen der Geschäftsbanken bei der Bundesbank befeuert.
Ab Sommer 2022 hat die EZB aufgrund der hohen Inflationsraten dann jedoch in nur 15 Monaten die Leitzinsen um 4,5 Prozentpunkte erhöht. Dabei stieg der Einlagensatz, den Geschäftsbanken von der Zentralbank für ihre Einlagen bei ihr erhalten, von –0,5 auf derzeit 4 Prozent. Diese Einlagen der Geschäftsbanken kosten die Bundesbank und andere Zentralbanken des Euro-Systems sehr viel Geld.
Zugleich bleiben die Erträge aus den immensen Anleiheportfolios mit ihren langfristigen und oft sehr niedrig verzinsten Positionen relativ stabil. Dies führte dazu, dass die Zinsausgaben der Bundesbank die Zinseinnahmen im vergangenen Jahr massiv überstiegen. Das wird wohl auch in den kommenden Jahren so bleiben.
Rückstellungen für Risiken über 20 Milliarden Euro
Da die Entwicklung seit langem absehbar war, jedoch der Zeitpunkt und die Geschwindigkeit der Zinswende nicht feststanden, hatte die Bundesbank bereits im Geschäftsjahr 2010 damit begonnen, grössere allgemeine Wagnisrückstellungen zu bilden.
Im Jahr 2016 startete sie zudem damit, eine Vorsorge für Zinsänderungsrisiken aufzubauen. Diese zusätzliche Vorsorge war in den Jahren 2020 und 2021 der wesentliche Grund dafür, dass die Bundesbank keinen Gewinn an Berlin ausgeschüttet hat. Das Institut bildete insgesamt sogenannte Wagnisrückstellungen in Höhe von gut 20 Milliarden Euro.
Spätestens mit der Initialisierung des Pandemie-Kaufprogramms (PEPP) im Jahr 2020 ist die Bundesbank beim Aufbau der Rückstellungen jedoch nicht mehr hinterhergekommen. Der sehr starke Zinsanstieg in nur kurzer Zeit seit Sommer 2022 hat dann sein Übriges beigetragen.
Bereits im vergangenen Geschäftsjahr 2022 hatte der Bundesbank-Präsident Joachim Nagel mitteilen müssen, dass die Bundesbank auf die Rückstellungen in Höhe von rund 1 Milliarde Euro zurückgreife, damit die Gewinn- und Verlustrechnung bei null zu stehen komme. Die verbleibenden 19,2 Milliarden Euro an Rückstellungen könnten, wie eingangs erwähnt, im Jahr 2023 (fast) komplett aufgezehrt worden sein.
Als zusätzlicher Puffer steht allerdings noch die gesetzliche Rücklage in Höhe von 2,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Die genauen Zahlen dürfte die Bundesbank Ende kommender Woche veröffentlichen, wenn sie ihren Abschluss für das Geschäftsjahr 2023 publiziert.
Zinswende schlägt 2023 voll auf die Bilanz durch
Zu berücksichtigen ist, dass es weitere Positionen gibt, welche die Bilanz beeinflussen, beispielsweise die Entwicklung von Wertpapieren in fremder Währung. Diese waren im vergangenen Jahr ursächlich für Abschreibungen über 900 Millionen und für realisierte Verluste über 800 Millionen Euro. Auch das Ende der subventionierten Kredite für die Geschäftsbanken, der sogenannten TLTRO (Targeted Longer-Term Refinancing Operations), hat einen Einfluss auf die Bankbilanz.
Die grössten Auswirkungen hat derzeit aber das Zinsergebnis. Der frühere Bundesbank-Präsident Jens Weidmann hatte bereits 2017 auf den Einfluss dereinst steigender Zinsen hingewiesen. Damals hatte die Bank offene Zinspositionen von rund 300 Milliarden Euro. Bei dieser Grössenordnung hätte ein Anstieg der Leitzinsen um einen Prozentpunkt zu jährlichen Belastungen über etwa 3 Milliarden Euro geführt. Nun sind die Leitzinsen sogar um 4,5 Prozentpunkte gestiegen.
Da der Zinsanstieg jedoch erst im Juli 2022 schrittweise begann, waren die Folgen im Geschäftsjahr 2022 noch relativ begrenzt. Im vergangenen Jahr haben sie erheblich zugenommen, da die Zinserhöhungen um 4,5 Prozentpunkte inzwischen voll durchschlagen.
Weitere magere Jahre für die Bundesbank
Selbst wenn im Jahr 2023 die Risikovorsorge noch vollständig ausgereicht haben sollte, wird das in den kommenden Jahren voraussichtlich nicht mehr der Fall sein, weil die Belastungen aus dem Zinsergebnis die finanziellen Puffer deutlich übersteigen werden. Dann wird die Bundesbank einen Verlustvortrag ausweisen müssen.
Das hatte es bereits in den 1970er Jahren gegeben. Damals hatte die Bundesbank kumulierte Bilanzverluste von gut 20 Milliarden D-Mark ausgewiesen und in insgesamt neun Jahren keinen Gewinn an die Regierung in Bonn überwiesen. Die Verlustvorträge hatte die Bundesbank allerdings mit späteren Gewinnen über die Jahre wieder abgebaut. So dürfte es auch in diesem Jahrzehnt geschehen.
Das Institut kann mit der Entwicklung also durchaus umgehen. Im Gegensatz zu Geschäftsbanken können Zentralbanken ohnehin notfalls sogar längere Zeit mit negativem Eigenkapital operieren, bevor man sie staatlich gegebenenfalls rekapitalisieren müsste. Von beidem ist die Bundesbank dem Vernehmen nach jedoch noch weit entfernt.
Dennoch könnten die hohen Zinsverluste und die erneut ausbleibende Gewinnabführung sowohl in der Berliner Politik als auch in der Öffentlichkeit zu Diskussionen führen.
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