Hohe Preise und eine starke Nachfrage haben den Export von Medikamenten aus der Schweiz in die USA jahrelang kräftig steigen lassen. Zölle drohen diesem Wachstum ein jähes Ende zu setzen.
Die Schweiz hat bis anhin prächtig von der Pharmabranche gelebt. Der hochprofitable Sektor beschäftigt hierzulande fast 50 000 Personen, die meist überdurchschnittlich gut verdienen.
USA treiben das Geschäft an
Der Wert der Pharmaexporte liegt bei über 100 Milliarden Franken und erreicht damit einen Anteil von rund 40 Prozent an den gesamten jährlichen Warenausfuhren der Schweiz. Schweizer Uhren und Schweizer Schokolade sind weltberühmt, aber die mit Abstand grössten Geschäfte macht die Schweiz im Ausland mit Medikamenten.
Der beste Kunde der Schweizer Pharmaindustrie sind die USA. Die stark steigende Nachfrage amerikanischer Patienten nach innovativen Therapien hat zusammen mit hohen Preisen die Ausfuhren in immer neue Höhen getrieben. Allein im vergangenen Jahr stiegen die Exporte pharmazeutischer Produkte, einschliesslich Vitamine und Diagnostika, von der Schweiz in die USA um 13 Prozent auf 31,7 Milliarden Franken.
Angesichts dieses riesigen Volumens herrschte am Mittwoch vergangener Woche eine gewisse Erleichterung, als der US-Präsident Donald Trump am «Liberation Day» Pharmazeutika von den «reziproken» Zöllen ausnahm. Allerdings währte die Ruhe nicht lange. Am Freitag wiederholte Trump seine Drohung, die er bereits im Februar ausgestossen hatte: nämlich, dass er Medikamente mit einem branchenspezifischen Zoll belegen werde – und zwar auf einem Niveau, das man noch nie gesehen habe. Laut früheren Medienberichten schweben Trump 25 Prozent oder mehr vor.
Am Dienstag dieser Woche doppelte Trump bei einem Nachtessen nach: Man werde sehr bald einen «erheblichen» Zoll auf Pharmazeutika einführen. Und dies werde dazu führen, dass Medikamentenhersteller nicht nur in China, sondern auch anderswo ihre Zelte abbrechen und Produktionswerke stattdessen überall in Amerika errichten würden.
Pharmaaktien auf Achterbahnfahrt
Beide Äusserungen bekamen den Aktien von international aufgestellten Medikamentenherstellern nicht gut. Auch die Valoren von Schweizer Branchenvertretern erlitten am vergangenen Freitag sowie diesen Mittwoch hohe Kursverluste. Die Beschränkung der «reziproken» Zölle auf den universellen Satz von 10 Prozent, die Trump am Mittwochabend (Schweizer Zeit) für den Zeitraum von drei Monaten verkündete, führte am Donnerstag dann auch bei Roche und Novartis zu einer Gegenbewegung.
Doch auch diese Verschnaufpause könnte sich als kurzlebig erweisen. Die meisten Branchenbeobachter sind sich einig, dass es die neue US-Administration mit branchenspezifischen Zöllen ernst meint.
Die Vereinigten Staaten weisen im Handel mit Medikamenten ein besonders hohes Defizit aus. So wurden 2024 pharmazeutische Erzeugnisse im Gesamtwert von 210 Milliarden Dollar importiert, während sich die Exporte der amerikanischen Pharmaindustrie auf lediglich 95 Milliarden Dollar beliefen.
«Es ist nicht eine Frage des Ob, sondern eine Frage des Wann», hält der amerikanische Branchennewsletter «Fierce Pharma» fest. Die Publikation gilt gemeinhin als besonders gut informiert über Neuerungen in Washington, die das Gesundheitswesen betreffen.
Lonza sucht das Gespräch mit Investoren
Die Aussicht, bei Exporten nach Amerika bald happige Zölle berappen zu müssen, hat im Schweizer Pharmasektor vor allem die Aktien von sogenannten Lohnherstellern hart getroffen. Die Schweiz verfügt mit Lonza, Siegfried, Bachem, Dottikon ES und Polypeptide gleich über fünf kotierte Anbieter, die im Auftrag anderer Pharma- und Biotechfirmen Medikamente produzieren.
Der Finanzchef von Lonza, Philippe Deecke, stellte sich am Montag an einer kurzfristig anberaumten Telefonkonferenz den Fragen von Finanzanalytikern. Er versicherte, dass der Konzern in seinem Hauptgeschäft, der Herstellung von Biotech-Präparaten, amerikanische Kunden fast ausschliesslich aus den Vereinigten Staaten beliefere. Auch sei Lonza der einzige gewichtige Produzent von Kapseln in den Vereinigten Staaten.
Weniger gut ist der weltgrösste Lohnhersteller von Medikamenten bei der Wirkstoffproduktion für Tabletten in den USA aufgestellt. Diese ist, wie Analytiker der UBS erwähnen, mehrheitlich in der Schweiz beziehungsweise im Stammwerk in Visp angesiedelt.
Trumpf in Kalifornien?
Offen ist, welche Vorteile das Unternehmen aus seinem neuen grossen Werk im kalifornischen Vacaville ziehen kann. Lonza hat die Fabrik, die laut der UBS zurzeit nur zu ungefähr 30 Prozent ausgelastet ist, vom Basler Pharmakonzern Roche erworben. Viele Analytiker betrachten sie mit Blick auf die Einführung von US-Zöllen als Trumpf. Pharmafirmen, die ihre Medikamente ausserhalb der Vereinigten Staaten für den amerikanischen Markt produzieren lassen, könnten versucht sein, Lonza zu beauftragen.
Nicht alle Schweizer Medikamentenhersteller besitzen wie Lonza überschüssige Kapazitäten in den USA. Dottikon ES, die Firma von Markus Blocher, hat bis anhin alles auf eine Karte gesetzt und beliefert ihre europäischen und amerikanischen Kunden ausschliesslich von ihrem Schweizer Stammwerk aus. Bachem forcierte das Wachstum jüngst ebenfalls am Hauptsitz in der Baselbieter Gemeinde Bad Bubendorf.
Aufbau von Fabriken in den USA ist zeitaufwendig und teuer
Viele Berater im Pharmasektor legen ihren Kunden nun nahe, den Bau von Fabriken in den Vereinigten Staaten zu prüfen. Allerdings nimmt die Errichtung einer Produktionsstätte auf der grünen Wiese viel Zeit in Anspruch. Es müsse mit fünf bis zehn Jahren gerechnet werden, sagt der Branchenverband Pharmaceutical Research and Manufacturers of America. Die Investitionskosten beziffert der Verband auf bis zu 2 Milliarden Dollar.
Angesichts der preistreibenden Wirkung der amerikanischen Zollpolitik dürften neue Werke eher noch teurer werden. Die USA sind kein Land der Maschinenbauer. Die meisten Produktionsanlagen müssen aus Europa oder Japan eingeführt werden.
Harter Wettbewerb um Fachkräfte
Eine weitere Hürde ist das knappe Angebot an Fachkräften. Die Arbeitslosenrate betrug im vergangenen Februar in den Vereinigten Staaten lediglich 4,1 Prozent. Es ist auch nicht so, dass es in Amerika noch kaum Pharmafabriken gäbe. Laut «Fierce Pharma» stieg ihre Zahl allein seit 2018 um mehr als die Hälfte auf fast 1600. Sie alle stehen in einem intensiven Wettbewerb um qualifizierte Arbeitskräfte.
Roche, der grösste Schweizer Pharmakonzern, beschäftigt in den USA allein mehr als 25 000 Mitarbeitende, viele von ihnen bei der kalifornischen Tochterfirma Genentech. Das Unternehmen sieht sich mit seinen insgesamt elf amerikanischen Produktionswerken für Medikamente und Diagnostika gut gerüstet, um mit den angedrohten Zöllen fertigzuwerden.
Auf Anfrage erklärt Roche, weitere Investitionen in den Vereinigten Staaten zu erwägen. Sie könnten, so befürchten indes Personalvertreter in der Schweiz und Deutschland, auf Kosten der grossen europäischen Produktionsstätten in Kaiseraugst, Mannheim und Penzberg gehen.
Novartis startet US-Investitionsoffensive
In einer ungünstigeren Ausgangslage befindet sich Novartis in den USA. Das Produktionsnetz des Konzerns sei stark europalastig, bemängelten Analytiker der UBS. Am Donnerstagabend gab Novartis allerdings bekannt, 23 Milliarden Dollar in den Ausbau der US-Präsenz zu investieren. Das Unternehmen verspricht sich davon, seine umsatzstärksten Medikamente künftig vollständig in den Vereinigten Staaten fertigen zu können.
Unter welchem Handlungsdruck der Konzern steht, zeigte sich in den letzten Tagen auch im Zusammenhang mit Sonderflügen. «Wir können bestätigen, dass Novartis Medikamente kürzlich in zwei Frachtflugzeugen von Basel in die USA transportiert hat, um den Versand zu optimieren», teilte die Medienstelle in Anspielung auf einen entsprechenden Bericht der Gratiszeitung «20 Minuten» mit. Mit erhöhten Lagerbeständen kann der Konzern wenigstens in einem ersten Schritt die Entrichtung von Zöllen umgehen.
Sorge um längerfristige Anziehungskraft der Schweiz
Der Branchenverband Interpharma hat derweil noch keine Kenntnis von Produktionsverlagerungen aus der Schweiz in die Vereinigten Staaten. Die Verbandsspitze treibt aber die Sorge um, dass der Pharmastandort Schweiz schleichend an Bedeutung einbüssen könnte.
«Die Pharmafirmen dürften ihre bestehenden Anlagen hierzulande weiterlaufen lassen», sagt René Buholzer, der Direktor von Interpharma. Eine andere Frage sei, was passiere, wenn es um Investitionen in die Herstellung neuer Medikamente gehe.
Solche Erneuerungsvorhaben stehen alle paar Jahre an, weil ältere Präparate den Patentschutz verlieren. Manche Pharmaunternehmen könnten sich dann, so befürchtet Buholzer, entschliessen, Neuheiten gar nicht mehr erst in der Schweiz, sondern primär in den USA zu produzieren. «In Amerika lockt ohnehin der grösste Markt.»