Auf einer Linie übernimmt ab dem Sommer ein neuartiges Zugsystem gewisse Aufgaben des Lokführers. Die Südostbahn verspricht sich davon viel.
Thomas Küchler, der langjährige Direktor der Südostbahn (SOB), war gegenüber Innovationen offener als andere. Wenige Monate nach seinem Abgang hat die SOB nun doch noch die Bewilligung für einen Test mit Zügen erhalten, die teilautomatisiert fahren – im regulären Betrieb mit Passagieren.
Als erstes Bahnunternehmen der Schweiz werde die SOB die Technologie ab dem Sommer auf der Linie zwischen Biberbrugg und Arth-Goldau einsetzen, während eines einjährigen Praxistests, teilte sie am Montag mit. Die gewählte Nebenstrecke ist meist eher schwach frequentiert und für Schweizer Verhältnisse wenig befahren.
Es handle sich um ein automatisiertes Fahrassistenzsystem, das das Lokpersonal beim Einhalten des Tempos, beim Beschleunigen und Bremsen unterstütze – ähnlich wie bei Assistenzsystemen im Auto. Die Verantwortung bleibt gemäss der SOB jederzeit beim Menschen. Der Lokführer überwacht das System.
Die Südostbahn hat dieses mit Partnern in den vergangenen Jahren entwickelt. Ziel des Praxisversuchs ist es, Erfahrungen zu sammeln, wie die Automatisierung den Betrieb effizienter machen kann. Das Fahrassistenzsystem kann helfen, die ideale Geschwindigkeit zu erreichen. Das erleichtert es, auf dem bestehenden Netz mehr Züge verkehren zu lassen. Die SOB spricht von einem bedeutenden Schritt, um den Bahnverkehr weiterzuentwickeln. Bis anhin hat sie das automatisierte Fahren nur in nächtlichen Betriebspausen ohne Passagiere getestet, unter anderem im Toggenburg. Nun will sie das System stufenweise im Alltag einsetzen.
Skeptische Gewerkschaft
Die Südostbahn wollte mit dem Betriebsversuch schon im vergangenen Herbst loslegen. Doch das Bundesamt für Verkehr (BAV) pfiff sie zurück und verweigerte die Bewilligung, wie der «Blick» berichtete. Dabei spielten offensichtlich Bedenken der Lokführergewerkschaft (VSLF) eine Rolle. Sie hatte kritisiert, die Monotonie werde noch grösser, weil die Lokführer nur das System beobachten müssten. Dies führe zwangsläufig zu einer verminderten Aufmerksamkeit. Die SOB sei mitverantwortlich, falls es zu fahrdienstlichen Zwischenfällen kommen sollte. Zudem mahnte die Gewerkschaft, die Personalsuche werde künftig noch schwieriger. Manch eine Bahn tut sich ohnehin schwer damit, genügend Lokführer zu finden und zu halten.
Nun hat die Aufsichtsbehörde die Bewilligung erteilt. Das BAV unterstütze die Digitalisierung im öffentlichen Verkehr und teilautomatisierte Züge, sagt ein Sprecher. Solche aktiven Fahrassistenzsysteme müssten aber ausreichend sicher sein, bevor sie die Zulassung erhielten. Ein entsprechender Nachweis sei die Voraussetzung, um einen kommerziellen Regelbetrieb zu bewilligen. Das BAV prüfte insbesondere die Rolle und Verantwortung des Lokführers eingehend. Diesen Sicherheitsnachweis hat die SOB nun vorlegen können.
Grosse Hoffnungen
Die SOB verspricht sich vom Betriebsversuch viel. Sie arbeite seit längerer Zeit intensiv am Thema, liess sich der neue Direktor Armin Weber in einer Mitteilung zitieren. «Die gewonnenen Erkenntnisse werden die Zukunft des Schweizer Bahnsystems nachhaltig prägen.» Die Erkenntnisse will die Südostbahn der Branche zur Verfügung stellen, um die Nutzung automatisierter Technologien auch anderswo zu fördern.
Das entspricht einer Vorgabe des BAV. Es verlangt, dass die ÖV-Unternehmen die geplanten Versuche untereinander absprechen, um Doppelspurigkeiten zu vermeiden und Erfahrungen auszutauschen. Auch die SBB haben schon einen Test mit einer ferngesteuerten Lokomotive durchgeführt, im Rangierbahnhof Zürich Mülligen, im Rahmen des Forschungsprogramms Horizon Europe der EU.
Vollautomatisch gesteuerte Fahrzeuge kommen in der Schweiz bis anhin bei geschlossenen ÖV-Systemen wie der Metro M 2 in Lausanne oder der Skymetro im Flughafen Zürich zum Einsatz.