Die linken Parteien akzeptieren diese Niederlage zähneknirschend – sie konzentrieren sich auf einen anderen verkehrspolitischen Kampf.
In der Regel ist die Zürcher Politik hoffnungslos verliebt in ihren öffentlichen Verkehr. Das kam an diesem Montag wieder zum Ausdruck, als das Kantonsparlament dem Zürcher Verkehrsverbund (ZVV) ohne eine einzige Gegenstimme 872 Millionen Franken für die Jahre 2025 und 2026 überwies.
Einer Prüfung unterzogen wird diese Liebe nur, wenn der öV mit anderen Interessen kollidiert. Wenn etwa Busse und Trams von Tempo-30-Vorschriften abgebremst werden, wie sie besonders in rot-grün regierten Gemeinwesen grosszügig verhängt werden. Wer muss dann die Mehrkosten bezahlen? In dieser umstrittenen Frage hat das Parlament nun entschieden – mit einem Kompromiss, der nicht alle glücklich macht.
Eine bürgerliche Allianz aus SVP, FDP und Mitte hatte vor dreieinhalb Jahren eine parlamentarische Initiative eingereicht, mit der sie namentlich die Städte Zürich und Winterthur für die Folgen ihrer Politik zur Kasse bitten wollte. Diese sollten zahlen, wenn die Transportunternehmen mehr Fahrzeuge und Personal beschaffen müssen, um trotz flächendeckender Verkehrsberuhigung den Taktfahrplan einzuhalten. Alleine in der Stadt Zürich werden die jährlichen Mehrkosten auf rund 15 Millionen Franken geschätzt.
Bis jetzt bleibt die Rechnung am Verkehrsverbund hängen, der je zur Hälfte vom Kanton und von sämtlichen Zürcher Gemeinden finanziert wird. Laut dem SVP-Kantonsrat Ulrich Pfister (Egg) ist das unfair. Es gelte, die verkehrspolitischen «Auswüchse» einiger weniger zu verhindern.
Die Zürcher Volkswirtschaftsdirektorin Carmen Walker Späh (FDP) teilte die Stossrichtung der Initiative grundsätzlich. Auch sie mache sich Sorgen, sagte sie, als das Anliegen kürzlich im Parlament behandelt wurde. «In den letzten Jahren wurden immer mehr politische Entscheide gefällt, die sich negativ auf den öV auswirken.»
Allerdings machte die Kantonsregierung einen Gegenvorschlag zur Initiative. Dieser ist am Montag vom Kantonsparlament in leicht angepasster Form angenommen worden. Mit 113 zu 59 Stimmen, gegen den Widerstand von SP, Grünen und der Alternativen Liste.
SVP, FDP und Mitte haben daraufhin ihre Initiative zurückgezogen. «Der Gegenvorschlag bringt schneller, was der Kanton Zürich braucht», begründete die FDP-Kantonsrätin Barbara Franzen (Niederweningen) den Schritt.
Die Rechnung wird nur gestellt, wenn alles andere nicht wirkt
Der Gegenvorschlag sieht ein Kaskadenmodell vor, bei dem die Gemeinden nur dann zahlen müssen, wenn andere Massnahmen nicht greifen.
In erster Linie sollen Temporeduktionen so umgesetzt werden, dass der öffentliche Verkehr gar nicht tangiert ist. Falls dies nicht gelingt, sollen die verantwortlichen Gemeinwesen mit den betroffenen Transportunternehmen Kompensationsmassnahmen ergreifen: zum Beispiel Signalanlagen aufstellen, die die Busse bevorzugen, oder Fahrspuren optimieren. Nur wenn dies auch nicht geht, müssen die Gemeinden die Folgekosten bezahlen.
Die linken Parteien waren nicht zufrieden mit diesem Vorschlag. Als er vor zwei Wochen im Parlament diskutiert wurde, sprach die SP-Kantonsrätin Rosmarie Joss (Dietikon) sogar von einer «Frechheit gegenüber den Gemeinden». Es gebe keine seriöse Schätzung, was dies für sie finanziell bedeute.
Betroffen seien nicht nur Gemeinden wie die Stadt Zürich, die schon sehr viel zur Bevorzugung des öV getan hätten und denen kaum mehr Spielraum bleibe. Betroffen seien auch autofreundliche Landgemeinden, die Tempo 30 «verschlafen» hätten und nun nachziehen müssten.
Der grüne Kantonsrat John David Galeuchet (Bülach) mahnte, dass auch mit dem Gegenvorschlag eine «Bürokratiemaschine» in Gang gesetzt würde. Letztlich, davon sind die meisten Linken überzeugt, gehe es nur darum, Tempo 30 zu verhindern, zugunsten der Autofahrer.
Im Vorfeld hatten nicht nur die Städte Zürich und Winterthur darauf hingewiesen, dass sie aufgrund von Bundesrecht zu Temporeduktionen verpflichtet seien, um die Bevölkerung vor Lärm zu schützen. Auch der Zürcher Gemeindepräsidentenverband, der vom FDP-Kantonsrat Jörg Kündig aus Gossau geführt wird, warnte davor, verschiedene Interessen gegeneinander auszuspielen.
Die SP wollte den Gegenvorschlag um eine Bestimmung ergänzen, dass die Mehrkosten aus dem kantonalen Strassenfonds bezahlt werden sollten. Damit blieb sie aber chancenlos.
Anders als die linken Parteien finden die Grünliberalen den Gegenvorschlag gelungen, wie Daniel Rensch (Zürich) im Parlament sagte. Er gebe den Gemeinden und dem Verkehrsverbund die Möglichkeit, Interessenkonflikte zu lösen. Die Mitte-Kantonsrätin Ruth Ackermann (Zürich) sprach sogar von einer «optimalen Lösung».
Konträr beurteilt die Stadt Zürich den Entscheid des Kantonsparlaments. Sie bleibt bei ihrer ablehnenden Haltung, wie das Departement der Industriellen Betriebe von FDP-Stadtrat Michael Baumer auf Anfrage klarstellt. Damit halte man Gemeinden von bundesrechtlich vorgeschriebenen Lärmsanierungsmassnahmen ab. Zudem könnte eine Gemeinde auch dann ersatzpflichtig werden, wenn sie etwa aus Gründen der Schulwegsicherung von Tempo 50 abweiche.
Trotzdem wird der Gegenvorschlag wohl in absehbarer Zeit Gesetz werden, denn die Stadt Zürich verzichtet «aller Voraussicht nach» auf ein Referendum. Auch die linken Parteien sehen davon ab.
Beide politischen Lager konzentrieren ihre Kräfte nun auf ein thematisch verwandtes Anliegen: auf die Mobilitätsinitiative von SVP und FDP, über die es eine Volksabstimmung geben wird. Sie verlangt, dass für Geschwindigkeitslimiten auf Staatsstrassen und Strassen mit überkommunaler Bedeutung nur noch der Kanton zuständig ist. Eine Übertragung auf die Städte soll ausgeschlossen werden.
Die Ausgangslage verspricht Spannung: Im Kantonsrat wurde die Volksinitiative vor zwei Wochen mit einer einzigen Stimme Unterschied gutgeheissen. Und auch das nur, weil zwei EVP-Kantonsräte der Schlussabstimmung fernblieben.