Die Linke will, dass das Leben in der Stadt «bezahlbar» bleibt. Mit dem schwammigen Kampfbegriff betreibt sie längst nicht mehr Politik für sozial Benachteiligte, sondern für viele, die es gar nicht nötig haben.
Ein junger Mann – Roman heisst er – spaziert an einem sonnigen Tag den Utoquai entlang. Er spricht frontal in seine Handykamera: «Der See, die tiefen Steuern . . . Ich kann schon verstehen, weshalb so viele Deutsche nach Zürich auswandern.» Selbst der Dialekt sei hier «ganz in Ordnung», nah dran am Hochdeutschen.
Roman ist ein deutscher Youtuber und richtet sich in seinen Videos an eine Community von über 10 000 Personen, die damit liebäugeln, in die Schweiz umzusiedeln, oder dies, wie Roman, bereits getan haben. Nur ein Problem gebe es mit dem Sehnsuchtsort: die hohen Lebenshaltungskosten. «Extrem krass», urteilt Roman. Nur schon als Tagestourist merke man das. Selbst mit einem «frugalen Mindset» lasse man locker 200 bis 300 Franken pro Tag liegen.
Wenn man fix hier wohnt, kommen hohe Ausgaben für Miete, Zahnarzt, ÖV-Abo, Kinderkrippe, Fitnesscenter und Coiffeur dazu. Zürich ist das teuerste Pflaster der Schweiz – und seit kurzem auch der Welt. So errechnete es der «Economist». Vergangenen November hat das britische Wirtschaftsmagazin eine internationale Rangliste veröffentlicht. Es hat Preise von über 200 Dienstleistungen und Produkten in 173 Städten verglichen. Zürich liegt zusammen mit Singapur an der Spitze des Rankings. Im Jahr zuvor belegte es Platz 6.
Die teuerste Stadt der Welt: Soll man als Zürcherin und Zürcher jubeln oder trauern ob dieser Auszeichnung?
Der Zwiespalt, den der Youtuber Roman schildert, ist real. Die Lebensqualität in Zürich ist sehr hoch; auch das belegen regelmässig internationale Bestenlisten. Doch das gute Leben hat seinen Preis. Je attraktiver die Stadt ist und je mehr Leute sich davon angezogen fühlen, desto teurer wird alles. Höhere Mieten und Löhne führen zu höheren Preisen. Der «Economist» erwähnt den starken Franken als weiteren Grund für den Spitzenplatz.
Was ist höher zu gewichten, die Vor- oder die Nachteile dieser Entwicklung, die in Zürich seit der Jahrtausendwende voranschreitet? Die bestimmende Linke in der Stadt betont die negativen Auswirkungen. Zürich werde zur Stadt der Superreichen; von einer «St.-Moritzisierung» ist die Rede. Die Durchmischung der Bevölkerung leide. Ärmere könnten sich das Leben nicht mehr leisten und würden verdrängt.
Solche Sorgen gilt es selbstverständlich ernst zu nehmen. Niemand hat das Interesse, dass aus Zürich ein langweiliges, überaltertes «Reichen-Ghetto» wird, wie es Vertreter der rot-grünen Parteien befürchten. Davon ist man aber weit entfernt.
Umsorgt von der Wiege bis zur Bahre
Die Stadt wächst und erneuert sich laufend. Ende 2023 lebten so viele Menschen in Zürich wie noch nie: 447 082. Die grösste Alterskohorte bildet jene der 30- bis 39-Jährigen. «Die Stadt wächst sich jung», so fasst es das statistische Amt zusammen.
Wie eine aktuelle Auswertung des Steueramts zeigt, sind seit der Jahrtausendwende tatsächlich mehr Grossverdiener in die Stadt gezogen (mit entsprechend positiven Auswirkungen auf die Steuererträge!). Der Anteil der Personen mit einem sehr tiefen steuerbaren Einkommen von unter 20 000 Franken – Working Poor zum Beispiel – ist in dieser Zeit ziemlich stabil geblieben. Jener von Personen der Mittelschicht, die ein Einkommen zwischen 20 000 und 150 000 Franken versteuern, ist um rund 3 Prozent gesunken. Also auch keine dramatische Abnahme. Von einem «Exodus der Armen» kann nicht die Rede sein.
Befragt nach den Gründen für ihren Wegzug aus Zürich, gab bei der letzten städtischen Umfrage die Mehrheit nicht die hohen Kosten – namentlich für die Miete – an. Für weniger als einen Viertel waren «Wohnungsgründe» ausschlaggebend. Damit kann die erfolglose Suche nach einer günstigen Wohnung in der Stadt gemeint sein, aber auch der Kauf eines schmucken Eigenheims auf dem Land.
Weitere Gründe, der Stadt den Rücken zu kehren, waren veränderte Familienkonstellationen, neue Jobs und Ausbildungen. Zu einem kleinen Teil gaben die Wegzüger die Unzufriedenheit mit der städtischen Politik oder die Steuerbelastung an. Es gibt also viele Motive, aus Zürich wegzuziehen. Die hohen Preise sind bei weitem nicht der einzige Treiber.
Trotzdem lässt sich damit vorzüglich Politik betreiben. Das beweisen die tonangebenden linken Parteien in der Stadt Woche für Woche. Kaum ein Votum im Stadtparlament wird nicht mit dem Wehklagen über die exorbitanten Lebenshaltungskosten eingeleitet – um dann zum nächsten Umverteilungsstoss anzusetzen.
Das Wirkungsfeld von Rot-Grün reicht von der Wiege bis zur Bahre. Im wahrsten Sinn des Wortes. Die Kosten für Kindertagesstätten seien für Eltern heutzutage kaum mehr zu stemmen, klagte kürzlich ein SP-Parlamentarier: «Steigende Mieten, Krankenkassenprämien und Lebenshaltungskosten drücken stark aufs Haushaltsbudget.» Darum brauche es dringend eine stärkere Subventionierung durch die öffentliche Hand bei den Krippenkosten.
Das gleiche Spiel am anderen Ende des Lebens: Die Tarife der städtischen Altersheime sollten nach bald zehn Jahren den heutigen Realitäten angepasst und erhöht werden. Die Linke und überraschenderweise auch die SVP sperrten sich dagegen. Wiederum mit dem Argument: «Viele Menschen machen sich Sorgen, wie sie sich das Leben in unserer Stadt zukünftig leisten können.»
Damit die privaten Heime, die heute schon deutlich höhere Tarife als die staatlichen kennen und von ihnen konkurrenziert werden, nicht vollends ins Hintertreffen geraten, warten die Linken mit einem abenteuerlichen Vorschlag auf: einem gänzlich neuen Sozialwerk. Ältere sollen finanziell unterstützt werden, unabhängig davon, ob sie in einem privaten oder einem städtischen Heim wohnen. Dass es schon heute ein solches Werk gibt und dieses von rund der Hälfte der Altersheimbewohner genutzt wird – es nennt sich Zusatzleistungen –, kümmert die Umverteiler wenig.
Die Linke auf Sinnsuche
Alles soll «bezahlbar» sein. Mit diesem schwammigen Kampfbegriff rechtfertigen die Linken jeden Griff in die Stadtkasse, jeden regulatorischen Übereifer. Wie die Beispiele zu den Kinderkrippen und Altersheimtaxen zeigen, betreiben sie dabei längst nicht mehr nur Politik für die wirklich Bedürftigen, sondern für breite Teile des Mittelstands, also für viele Leute, die es eigentlich gar nicht nötig haben. Es kommt zur Umverteilung von ganz oben nach oben. Das kann nicht die Zielsetzung eines vernunftbasierten Wohlfahrtsstaats sein – auch in einer teuren Stadt wie Zürich nicht.
Nirgends zeigt sich der Irrweg deutlicher als in der Wohnpolitik. Für Hunderte von Millionen Franken erwirbt die Stadt zurzeit Liegenschaften. Oder sie «entzieht sie dem freien Markt», wie es so schön heisst. Das freut die Bewohnerinnen und Bewohner, die nun mutmasslich ein Leben lang auf Kosten der Allgemeinheit günstig wohnen dürfen. Wer diese Personen genau sind und ob sie wirklich bedürftig sind, ist zweitrangig.
Erinnert sei an die frühere Präsidentin der Stadtzürcher SP, die allen Ernstes meinte, selbst ein Roger Federer solle das Recht haben, in einer städtischen Wohnung zu leben. Nur mit Ach und Krach einigten sich die Parteien 2017 auf Einkommenslimiten, die allerdings so hoch angesetzt sind, dass weiterhin Grossverdiener mit einem Jahreseinkommen von 200 000 Franken und mehr in staatlichen Wohnungen leben dürfen.
Für Irritationen – gerade auch bei linken Wählern – sorgte kürzlich die Diskussion um ähnliche Regeln für sogenannte «preisgünstige Wohnungen». Also solche, die bei Auf- oder Umzonungen durch private Bauträger entstehen müssen. Hier sperrten sich die linken Parteien zuerst gänzlich gegen Einkommensgrenzen. Denn: «Bezahlbare Wohnungen» seien ein Menschenrecht, das jedem – ob reich oder arm – zustehe. Selbst der grüne Finanzvorsteher befand zu solch absurder Logik: «Ich weiss nicht, was Rot-Grün hier geritten hat.»
Der vehemente Einsatz der linken Parteien für die Mittel- bis Oberschicht irritiert. Zu Recht müssen sie sich den Vorwurf der Klientelpolitik gefallen lassen. Sind es nicht sie, die sich eigentlich dem Kampf für sozial Benachteiligte verschrieben haben – einem hehren Ziel? Die Vermutung liegt nahe, dass sie sich in Zürich krampfhaft neue Betätigungsfelder suchen, um ihr Dasein zu rechtfertigen.
Porsches statt Trabis
In der Stadt sind die Preise seit der Jahrtausendwende zwar tatsächlich stark gestiegen, die Löhne haben aber noch stärker zugenommen. 8000 Franken beträgt der monatliche Medianlohn in der Stadt mittlerweile, das sind 20 Prozent mehr als im schweizerischen Mittel. Den Zürcherinnen und Zürchern geht es gut, auch dank dem heute schon bestens ausgebauten sozialen Sicherungsnetz. Dieses immer noch stärker auszuweiten und zu ergänzen wie jüngst zum Beispiel mit einer unnötigen, breit gestreuten Energiekostenzulage oder einer Halbierung der ÖV-Preise für alle, wie es die SP fordert, ist keine gute Idee. Im dümmsten Fall gefährden solche teuren Spielereien die finanzielle Stabilität der Stadt, die stark auf jährlich steigende Steuereinnahmen baut.
Zudem setzt die Stadt mit jeder neuen Subvention einen Anreiz, dass die Bewohner ihre Einkommenssituation so optimieren, dass sie möglichst nicht zu kurz kommen. Sprich: Man arbeitet weniger, um mehr staatliche Leistungen beziehen zu können. Ein falscher Mechanismus.
Es gibt Gründe, weshalb über 40 000 Zuzüger letztes Jahr nach Zürich gekommen sind. Die Stadt ist attraktiv. «Man hat eine extrem hohe Lebensqualität», schwärmt der Youtuber Roman in seinem Video. «Die Strassen und Wege wirken superreich, die Läden, Restaurants, alles ultrakrass.» Er zähle hier mehr Porsches auf den Strassen als Trabis in der alten DDR.
Für Linke mögen solche Eindrücke ein Graus sein. Liberale sollten sie heiter stimmen. Zürich lockt die besten Talente der Schweiz und der Welt an. Diese generieren Wertschöpfung, bringen Innovation – und zahlen kräftig Steuern und finanzieren damit unsere Sozialwerke. Davon profitieren am Ende alle. Hohe Löhne und Preise sind, auch wenn es negative Begleiterscheinungen gibt, letztlich immer Zeichen des Wohlstands.
Übrigens: Die billigsten Städte gemäss «Economist»-Ranking sind, in dieser Reihenfolge: Damaskus, Teheran und Tripolis.