Menschenrechte, sagen die Befürworter des Etiketts, müssten auch lokal gelebt werden. Sie meinen damit zum Beispiel den Genderstern.
Nicht nur Menschen betreiben «virtue signalling», auch Städte rücken sich gerne ins richtige Licht.
Die Stadt Zürich kann das besonders gut. Sie ist Trägerin des Labels «Energiestadt Gold», sie ist zertifiziert als «Grünstadt» (ebenfalls in Gold), und sie ist im Tourismus sogar «earth check certified», allerdings erst in Silber.
Nun soll Zürich einen weiteren Titel anstreben: Sie soll zur ersten Menschenrechtsstadt der Schweiz werden. Das fordern die Fraktionen von SP und Grünen im Zürcher Stadtparlament.
Zürich ist noch nicht ganz bereit
Eine Menschenrechtsstadt, der Name deutet es an, berücksichtigt im Lokalen die unverrückbaren universellen Rechtsansprüche ihrer Einwohner besonders vorbildlich.
Nun ist Zürich, wie überhaupt die Schweiz, nicht bekannt für ihren Aufholbedarf bei den Menschenrechten. Nur selten kommt es zu Kritik. In Zürich ruht der Gründer des Roten Kreuzes, Henry Dunant, in einem Prachtsgrab, die Änderung des Geschlechtseintrags im Pass ist für 75 Franken möglich, und Tausende von Verfolgten aus Unrechtsstaaten haben hier Schutz gefunden.
Braucht es da wirklich noch ein Etikett, um der Welt zu zeigen, wie menschenrechtsfreundlich man ist?
Zürich, schreiben SP und Grüne in ihrem Vorstoss, sei tatsächlich schon sehr weit. Die Stadt habe bereits einen grossen Teil des Wegs zu einer Menschenrechtsstadt zurückgelegt. Sie biete viele städtische Angebote mit einer «menschenrechtlichen Dimension». Diese sei den Beteiligten aber nicht immer bewusst. Erwähnt wird etwa der verbilligte Wohnraum, der barrierefreie öV – oder der Genderstern in der städtischen Kommunikation.
Es bedürfe nun des politischen Willens, noch den letzten Schritt zu tun und Zürich als Menschenrechtsstadt zu betrachten. Zürich soll dazu einen städtischen Menschenrechtsausschuss einsetzen, dieser soll eine Menschenrechtserklärung aufsetzen, und diese soll dann vom Stadtrat und schliesslich vom Parlament verabschiedet werden.
Kommunisten? Halb so wild
Bis jetzt gibt es nur eine Handvoll Menschenrechtsstädte. Dazu gehören etwa Wien und Graz in Österreich, Barcelona in Spanien, Utrecht in den Niederlanden, Lund in Schweden oder York in Grossbritannien. In Deutschland haben sich Nürnberg und Köln zu Menschenrechtsstädten erklärt.
Insbesondere Graz gilt als Vorbild für Zürich. Die Zürcher Ombudsstelle hat die Idee der Menschenrechtsstadt in ihrem Jahresbericht 2023 anhand des Grazer Beispiels beleuchtet und dabei über die Erfahrungen der zweitgrössten Stadt Österreichs berichtet. Diese trägt das Label seit 2001.
Menschenrechtsstadt zu sein, bedeutet für Graz unter anderem, dass sich «möglichst viele öffentliche und private Einrichtungen der Stadt von den international anerkannten Menschenrechten leiten lassen», heisst es im Bericht der Zürcher Ombudsstelle. Weiter seien Beschlüsse der Stadt an den Menschenrechten auszurichten.
Die Grazer Menschenrechtserklärung formuliert es so: «Defizite sind im Bereich der Menschenrechte auf allen Ebenen der Gesellschaft aufzufinden, um darauf entsprechend zu reagieren.»
Aufgefunden werden Defizite etwa im Grazer Wahlkampf. Ein Menschenrechtsrat beobachtet und beurteilt seit 2007 Parteien und Politiker mit einem Ampelsystem. Gelb gab es bei den letzten Wahlen 2021 etwa für die rechtspopulistische FPÖ, weil sie eine geschlechtergerechte Sprache ablehnte. Mit Grün bewertet wurde hingegen der «Diskurs zum Recht auf angemessenes Wohnen», der von mehreren Parteien geführt wurde.
Bemerkenswert ist, wie der Beirat mit dem Parteiprogramm der Kommunisten umging – die Partei stellt in Graz immerhin die Bürgermeisterin. Der Menschenrechtsbeirat hielt 2021 fest, dass eine kommunistische Partei zwar kapitalismuskritisch sei und die Forderung von Enteignungen privaten Kapitals sogar ein Eingriff in die Menschenrechte wäre. Dennoch gab es dafür keine rote Ampel. Die Begründung: Enteignungen seien auf lokaler Ebene gar nicht möglich.
Applaus von links, Kritik von rechts
In Zürich wurde der Bericht der Stadtzürcher Ombudsstelle Ende September im Stadtparlament diskutiert. Dabei ging es auch um die Idee der Menschenrechtsstadt. Während SP und Grüne das Anliegen aufnahmen und in der Folge den oben erwähnten Vorstoss einreichten, fiel die Reaktion bei den Bürgerlichen verhalten aus.
Die Mitte störte sich daran, dass die Ombudsstelle überhaupt den Vorschlag der Menschenrechtsstadt in ihrem Jahresbericht eingebracht hatte. Es sei nicht Aufgabe der Ombudsstelle, politische Meinungen zu äussern.
Die FDP kritisierte, dass eine Stadt sich eine Menschenrechtserklärung geben solle. Menschenrechte hätten einen universellen Anspruch, sagte der Freisinnige Michael Schmid. «Es wäre falsch, den Eindruck zu erwecken, sie nähmen an der Stadtgrenze einen anderen Charakter ein.»
Einen anerkannten Test, ob eine Gemeinde sich Menschenrechtsstadt nennen darf, gibt es übrigens nicht. Es bestehen weder Audits noch Zertifizierungsstellen. Zur Menschenrechtsstadt wird man per Selbstdeklaration. So wie vielleicht bald auch Zürich.