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Zürich stimmt am 3. März über einen «Central Park» am Wasser ab. Ein schwieriges Unterfangen, wie die Geschichte zeigt.
Im Mai 1873 marschieren in Zürich Demonstranten mit Hut und Anzug auf. Es sind Liberale, und sie wittern eine historische Chance: Zürich soll endlich zur Stadt am See werden. Eben erst sind die alten Befestigungsanlagen geschleift worden und haben den Weg frei gemacht für die neue, verlängerte Bahnhofstrasse. Sie soll zu den neu geplanten, repräsentativen Quaianlagen am Seeufer führen. Die Pläne dafür liegen in der Schublade des Stadtingenieurs Arnold Bürkli bereit. Doch die Nordostbahn hat etwas ganz anderes mit dem Ufer im Sinn.
Die Bahngesellschaft plant ihre Strecke unmittelbar entlang des Zürichsees, mit einer Eisenbahnbrücke anstelle der heutigen Quaibrücke. «Eisernen Ring» nennen die liberalen Demonstranten dieses Schreckgespenst.
2000 Teilnehmer folgen dem Aufruf des Liberalen Conrad Escher-Ziegler – zu jener Zeit ist dies jeder zehnte Stadtbewohner. Die gemäss NZZ «imposante Demonstration» hat Erfolg. Die Planer wählen eine andere Linienführung durch Tunnel auf der rechten See- und Limmatseite zum Hauptbahnhof. Zürich kann seine Quai-Ideen realisieren.
Was die Demonstranten nicht wissen: Sie haben eine Schlacht gewonnen. Aber nicht den Krieg.
Schleichend verwandelt sich nämlich der Verkehrsweg über die Quaibrücke. Die Kutsche wird durch das Auto abgelöst. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts wird die Strasse zur vierspurigen Hauptverkehrsachse. Sie trennt Stadt und See.
Auswärtige wundern sich
Heute rollen dort, wo die Demonstranten einst einen «eisernen Ring» fürchteten, über 20 000 Fahrzeuge täglich. Und ausländische Besucher fragen immer wieder verwundert, warum denn Zürich seine beste Lage dem Verkehr opfere.
Viele halten die Strasse für einen Konstruktionsfehler und schreien nach Reparatur. Der Ruf erklingt bald von rechts, bald von links. Christoph Blocher, SVP-Doyen, setzte sich ebenso dafür ein wie der Marxist Bruno Kammerer.
Beide scheiterten.
Nun kommt am 3. März ein neuer Versuch zur Abstimmung. Er läuft unter dem Titel «Mythenpark». Die Initiative fordert einen «Central Park» am Seeufer. Doch die Chancen auf Annahme stehen schlecht. Zürich bringt den Verkehr an diesem Ort einfach nicht weg.
Wie kann das sein?
Ideen für Alternativen gab es schon viele. Seit den 1960er Jahren geistert der Vorschlag für einen Seetunnel herum.
Stadtbild und Aufenthaltsqualität sind damals nicht die zentralen Gedanken. Es geht vor allem um das rasche Vorwärtskommen mit dem Auto.
Im Oktober 1970 stellt die «Schweizerische Bauzeitung» einen geplanten 1200 Meter langen Seetunnel zwischen Zürichhorn und Saffa-Insel vor. Tunnelröhren sollen an Land vorfabriziert und versenkt werden. Der Tunnel soll zum Teil frei schwebend sein – von einer «Unterwassertunnelbrücke» ist im Beitrag die Rede. Das Stadtzürcher Tiefbauamt sei seit 1969 daran, ein konkretes Bauprojekt auszuarbeiten, heisst es weiter.
Wie aufwendig der Bau werden könnte, zeigt das Ansinnen, die Tunnelteile in einem Trockendock am Obersee zu fabrizieren. «Wobei aber für den über 30 Kilometer langen Transportweg zur vorgesehenen Absenkstelle zuerst noch eine genügend tiefe und breite Wasserrinne im Obersee und durch den Strassen- und Bahndamm zwischen Pfäffikon und Rapperswil vorbereitet werden müsste», wie der Autor schreibt.
Er sieht darin offensichtlich kein unlösbares Problem. Den Baubeginn innert dreier Jahre hält er für möglich, die Kosten schätzt er auf 100 Millionen Franken.
Es sind Überlegungen, die sich längst als nicht realisierbar entpuppt haben.
Die Seetunnel-Idee hält sich aber hartnäckig. In den neunziger Jahren formiert sich ein Komitee Pro Seetunnel. Nicht nur Christoph Blocher figuriert darin, sondern auch Walter Frey (SVP), Ulrich Bremi (FDP) und Vreni Spoerry (FDP).
Doch der Regierungsrat beerdigt das Projekt um die Jahrtausendwende. Es ist schlicht zu teuer. Der Seetunnel ist noch immer im kantonalen Richtplan eingetragen, als «zu prüfende Linienführung» und Teil der nie realisierten Südumfahrung Zürichs. Doch er gilt als Planungsleiche.
2012 probiert es Bruno Kammerer, ehemaliger SP-Stadtparlamentarier, mit einer neuen Idee. Sein Tunnel wäre kürzer und verliefe entlang des Seeufers unmittelbar unter der Quaibrücke, quasi ein Seebecken-Tunnel. In der Bevölkerung kommt die Idee sehr gut an.
Doch seine eigenen Genossen versenken Kammerers Einzelinitiative im Stadtparlament. Erneut wegen der Kosten.
30 Meter unter dem Seeboden
Ein Ingenieursgutachten im Auftrag des Stadtrats zeigt: Ein Tunnel unter der Quaibrücke müsste mindestens 30 Meter unter den Boden gelegt werden. Es brauchte lange Rampen. Und weil Ampeln in Tunneln nicht erlaubt sind, müssten unter dem Bürkli- und dem Sechseläutenplatz zwei unterirdische Kreisel mit je 40 Metern Durchmesser gebaut werden. 700 Millionen Franken würde das Projekt verschlingen.
Wie der Seetunnel figuriert auch Kammerers Idee noch immer im kantonalen Richtplan, ohne Chance auf Realisierung.
Der Traum von der Stadt aber, die direkt an die Grünanlagen am See anschliesst – er lässt Zürich nicht los.
Sieben Jahre nach Bruno Kammerer präsentiert der Architekt Walter Wäschle im Dezember 2019 eine «Vision», ja ein «Jahrhundertprojekt», wie er anlässlich der Präsentation sagt.
Ihm und seinen Mitstreitern von der IG Seepärke schwebt nicht weniger vor als eine durchgehende Parklandschaft von Tiefenbrunnen bis Wollishofen rund um das Zürcher Seebecken: der Mythenpark. Mit Schmetterlingshaus, Musikpavillon und Teehaus.
Die Initianten – unter ihnen der ehemalige «Sonntags-Zeitung»-Chefredaktor Andreas Durisch, der ehemalige Zoo-Direktor Alex Rübel oder die Alt-FDP-Nationalrätin Doris Fiala – treten in grosse Fussstapfen. Aber verkehrstechnisch gesehen ist ihr Anliegen bescheiden. Es ist eine Miniversion der grossen Verlagerungspläne von einst.
Die Initianten gehen quasi einen Kompromiss ein: Die Quaibrücke und der Bürkliplatz bleiben unverändert. Dafür wird der Mythenquai vom Verkehr befreit. Dies gelingt, indem man diesen hinter die Bürogebäude von Swiss Re und Zurich-Versicherung in die Alfred-Escher-Strasse verlagert.
Doch auch die Kompromissversion hat einen Haken. Sie funktioniert gemäss Einschätzung des städtischen Tiefbauamts nicht.
Der Knotenpunkt in der Alfred-Escher-Strasse könne die Verkehrsmenge bei weitem nicht schlucken. Hinzu kommt, dass durch die Verlagerung viel mehr Anwohnerinnen und Anwohner vom Verkehr belastet würden.
Die Initianten sehen es anders. Sie sagen, es liessen sich Lösungen für die Verlagerung finden, wenn die Stadt dies wirklich wolle.
Einschränken darf die Stadt die Kapazität der Kantonsstrasse nicht. Dies verbietet seit 2017 die Kantonsverfassung. Der Verkehr ist eine Realität, mit der sich auch die Initianten arrangieren.
Was sie aber ärgert: Dass der Stadtrat einen Tunnel vorschlägt, der den Mythenquai ersetzen soll. 700 Meter lang soll er sein, mit langen Rampen sowie Portalen. Mit 250 Millionen Franken hat das Projekt einen stolzen Preis. Aus Sicht der Initianten ist er unnötig.
Schon wieder ein Tunnel also.
Die Initianten wissen, dass dieser zur Hypothek werden könnte. Zwar stimmen die Stimmberechtigten am 3. März nicht über den Tunnel ab, sondern über die grundsätzliche Mythenpark-Idee. Aber der Stadtrat sieht den Tunnel als einzige Möglichkeit, die Initiative umzusetzen. Und Tunnel sind bei den Stadtzürcher Stimmberechtigten nicht besonders beliebt. Das hat jüngst die Abstimmung über den Rosengartentunnel gezeigt.
Abgesehen von den Alternativen hat sich denn auch keine einzige Partei hinter die Mythenquai-Initiative gestellt.
Wäre es wirklich ein Unglück, wenn das Seeufer bliebe, wie es ist? Darüber kann man streiten. Das linke Seeufer lebt jedenfalls. Vor allem zwischen Rentenwiese und Seebad Enge ist es im Sommer stark frequentiert, bis spät in die Nacht hinein. Viele Zürcherinnen und Zürcher haben sich, so scheint es, mit der vierspurigen Schneise längst arrangiert.
Und der Stadtrat stellt sich auf den Standpunkt, dass das Ufer so oder so aufgewertet werde. In den nächsten Jahren sollen grosse Parkfelder verschwinden und durch Wiesen und Bäume ersetzt werden. Von punktueller Aufwertung sprechen die Fachleute.
Aus Sicht der Initianten ist das aber alles zu klein gedacht. Sie träumen vom grossen Wurf.
Wie so viele vor ihnen.