Wände aus Industrieglas, ein ästhetisches Reinheitsideal und ein Lärmproblem – ein Musterfall für falsche Prioritätensetzung.
Es ist nicht so, dass diese Entlarvung der Zürcher Eitelkeit unvermeidlich gewesen wäre. Denn es gab rund um den Bau des Zürcher Schulhauses Leutschenbach von Anfang an auch kritische, praktisch veranlagte Beobachter.
Solche, die sich nicht blenden liessen vom virtuos in die Höhe getürmten Glas, Stahl und Beton, die aus einem Schulhaus am Stadtrand eine architektonische Ikone von weltweiter Strahlkraft machten. Und die instinktiv erkannten, dass dem geballten Willen zur Baukultur etwas Entscheidendes zum Opfer gefallen sein könnte: Alltagstauglichkeit.
Diese Kritiker dürfen sich nun bestätigt fühlen.
15 Jahre nachdem das 64 Millionen Franken teure Zürcher Schulhaus mit viel Aufhebens eröffnet worden war, musste es nun aufwendig nachgebessert werden. Wie die Tamedia-Zeitungen berichten, wurde es in den grossen Gemeinschaftszonen, die sich über drei Stockwerke rund ums offene Treppenhaus erstrecken, regelmässig viel zu laut.
Wenn kaum mehr an einen geordneten Schulbetrieb zu denken ist, helfen alle Architekturauszeichnungen nichts. Ebenso wenig wie die aufregende Konstruktion, die an den Brückenbau angelehnt ist, oder die spektakulär auf dem Dach platzierte Turnhalle.
Um für Ruhe in der Schule zu sorgen, liess die Stadt letztes Jahr das gesamte Treppenhaus mit Sicherheitsglas einfassen. Ohne Mitwirken des Architekten Christian Kerez und in bewusster Übersteuerung seines ästhetischen Programms.
Kerez wollte sein Schulhaus rein, roh und einfach haben. Nicht einmal Vorhänge waren deshalb erlaubt. Manche verglichen den Innenausbau mit einem Industriegebäude oder einer Autogarage. Er selbst räumte einmal ein: «Das Gebäude ist nicht sinnlich.»
Die pragmatische Abwendung vom Ideal des Architekten 15 Jahre danach zeigt offenbar Wirkung. «Es ist deutlich ruhiger geworden», teilt die Schulleitung in einem Rundschreiben mit. Dies komme allen Schülerinnen und Schülern zugute, die in den Gemeinschaftszonen arbeiteten.
Wegweisende Idee, fragwürdig umgesetzt
Gekostet hat der Umbau laut dem Hochbauamt der Stadt rund eine Million Franken. Das mag angesichts der Gesamtkosten überschaubar wirken. Aber es nährt doch Zweifel, ob die Stadt Zürich im Schulhausbau, für den sie mittlerweile auch dreistellige Millionenbeträge aufwirft, die richtigen Prioritäten setzt.
Das Hochbauamt weist zwar darauf hin, dass das Lärmproblem erst durch die in den letzten Jahren stark gestiegenen Schülerzahlen entstanden sei. Und dass der Bau vor der Eröffnung von einem Akustiker als unproblematisch taxiert worden sei. Der Blick zurück zeigt aber etwas anderes.
Schon wenige Monate nach der Eröffnung sagte der Schulleiter zur Fachzeitschrift «Hochparterre», dass die Arbeit in den offenen Gemeinschaftszonen wegen des regen Verkehrs im Treppenhaus eine Herausforderung sei. Man habe deshalb die Regel einführen müssen, dass die Kinder in der gesamten Zone – die doch dem Austausch dienen sollte – während der Unterrichtszeit nur flüstern dürfen.
Dass die baukünstlerischen Ambitionen des Architekten in einer gewissen Spannung zu den pädagogischen Anforderungen standen, hatte sich schon bei der Planung gezeigt. Christian Kerez musste das Projekt aufgrund kritischer Einwände aus Lehrerkreisen überarbeiten, wie er einst in einem Interview mit der NZZ sagte.
Die zentralen Begegnungszonen ums Treppenhaus hatten damals Pioniercharakter: 200 Quadratmeter grosse Hallen, die sich die vier rundum angeordneten Klassenzimmer teilen – kein anderes Schulhaus in der Stadt setzte diese Idee damals so grosszügig um.
Laut der Schulraumexpertin Katharina Lenggenhager war dies wegweisend. Heute seien solche Zonen in Schulbauten verbreitet, weil sie im Gegensatz zu herkömmlichen Korridoren einen pädagogischen Mehrwert hätten. Aber die materielle Umsetzung im Leutschenbach habe ein Manko gehabt, das von Anfang an offensichtlich gewesen sei: «Harte Decken, harte Böden und Wände aus Industrieglas rundum – das konnte akustisch nicht funktionieren», sagt sie. Auch atmosphärisch sei es für ein Schulhaus keine gute Wahl. «Das hätte man damals schon überarbeiten sollen.»
Eklatant ist der Gegensatz zum jüngst eröffneten Neubau des Zürcher Kinderspitals. Dort setzte das Architekturbüro Herzog & de Meuron bewusst auf viel Holz und viel Grün, auf Nischen und verwinkelte Flure, damit sich die jungen Patienten geborgen fühlen.
Für architektonischen Selbstzweck ist der Preis zu hoch
Lenggenhager, die bei der Planung von Schulbauten von den Bedürfnissen der künftigen Nutzer ausgeht – auch der Kinder –, sah das Schulhaus Leutschenbach als teures Experiment. Dort sei viel Geld in eine hochkomplexe Statik investiert worden. Für Architekten ist das aufregend, aber die Nutzerinnen und Nutzer profitieren wenig davon.
Auch die «Hochparterre»-Redaktorin Rahel Marti war nach einer Besichtigung vor der Eröffnung skeptisch, ob die Reinheit der architektonischen Idee den Anforderungen des Schulalltags Rechnung trägt. Sie fragte sich, wie Lehrer im offenen Gebäude die Kinder am Herumrennen hindern wollen. Ihr fielen zudem die wenig robust wirkenden Garderobenhaken auf, die aus Plastik sein mussten, damit die Lichtdurchlässigkeit der Glaswände nicht beeinträchtigt wurde.
Martis Fazit: Sollte sich das Schulhaus nicht bewähren, sei all das nur architektonischer Selbstzweck – und dafür wäre der Preis zu hoch.
Die Mehrheit der Fachleute hatte aber kein Auge für solche praktischen Details. Sie verloren sich in den Geheimnissen der Konstruktion. Oder lobten das politische Signal, am unterprivilegierten Stadtrand ein repräsentatives Bildungsgebäude zu errichten statt einen Zweckbau.
Im besten Fall schärft die nun nötig gewordene Nachbesserung den Blick fürs Wesentliche im Schulhausbau.