Die Kritik an der Konzeptförderung für Tanz und Theater reisst nicht ab. Rebekka Fässler erklärt im Gespräch, warum die Stadt nicht nur an einzelne Theater denken kann.
Das neue Fördersystem der Stadt Zürich für Tanz und Theater hätte frischen Wind in die hiesige Szene bringen sollen. Bislang hat es aber vor allem für etwas gesorgt: anhaltende Kritik. Das jüngste Beispiel ist der Fall einer Theatergruppe, deren Fördergesuch abgelehnt wurde, weil die beurteilende Kommission nicht damit einverstanden war, dass die Rolle des Erzählers von einem «white passing Cis-Mann» gespielt würde.
Allein darüber, wie die Gelder verteilt wurden, wird fast zwei Jahre nach der Jurierung noch munter gestritten – auch juristisch, wobei die Gerichte bislang die Entscheide der Stadt stützen. Die beiden Kleinbühnen Keller 62 und Theater Stok müssen ohne Subventionen auskommen. Die Theater, die Geld bekommen, erhalten weniger als beantragt.
Rebekka Fässler ist Co-Kulturdirektorin in Zürich. Im Gespräch mit der NZZ nimmt Fässler Stellung zur nicht enden wollenden Kritik an der Konzeptförderung für Tanz und Theater.
Weil ein «white passing Cis-Mann» eine bestimmte Rolle spielen sollte, bekommt eine Theatergruppe keine Subventionen. Kann das wirklich ein entscheidendes Kriterium sein?
Das hat eine gute Schlagzeile gegeben, die mich in ihrer Zuspitzung irritiert hat. Weil das Gesuch abgelehnt wurde, kann ich nicht konkret darauf eingehen. Was ich sagen kann, ist, dass die Absage auf mehreren inhaltlichen Gründen beruhte. Die Stadt würde ein Gesuch sicher nicht einzig aufgrund einer Rollenbesetzung oder eines Kriteriums «Diversity» ablehnen. Entscheidend ist, ob ein Gesuch künstlerisch und inhaltlich überzeugt.
Was stört denn daran, dass ein weisser Cis-Mann den Erzähler in Thomas Manns «Mario und der Zauberer» hätte spielen sollen?
Wie gesagt, kann ich mich zu konkreten Gesuchen nicht äussern. Allgemein kann ich sagen, dass die Kommission sich nicht per se an einem weissen Cis-Mann stört. Für die Beurteilung eines Fördergesuchs muss aber der Kontext des Vorhabens nachvollziehbar sein. Zum Beispiel: Sagen wir, eine 80-Jährige spielt eine 12-Jährige. Darf sie das? Ja, selbstverständlich. Auch ein Cis-Mann darf spielen, was er will. Wichtig ist, dass das Projekt in sich stimmig ist – also ob Inhalt, Ausdrucksform und Beteiligte gut zusammenpassen.
Aber es kann doch nicht die Aufgabe der Jury oder Kommission sein, sich mit einzelnen Rollenbesetzungen auseinanderzusetzen?
Wenn man 80 Gesuche hat und vielleicht 30 davon unterstützen kann, kann eine Rollenbesetzung ein Aspekt sein. Das Gesuch muss überzeugend darlegen, warum die 80-Jährige eine 12-Jährige spielt – vielleicht will man irritieren oder eine andere Ebene in das Stück bringen. Dann kann das durchaus Sinn ergeben.
Auch bei den Kleintheatern Stok und Keller 62 sollen Diversity-Kriterien, namentlich das Fehlen von gendergerechter Sprache, dazu geführt haben, dass die Gesuche abgelehnt wurden. Der Schwulenaktivist Ernst Ostertag sagt, das entbehre jeder Vernunft.
Richtig ist, dass die Diversität in einer ersten Auslegeordnung thematisiert wurde. Es war aber kein Argument, das zur Absage geführt hat. Ich verstehe Herrn Ostertag und welche Bedeutung der Keller 62 und das Theater Stok für seine Generation hatten. Heute würde man sagen, es war ein «safe space». Heute haben wir in Zürich ganz viele Bühnen, die sich mit verschiedenen sexuellen Ausrichtungen beschäftigen. Einen «safe space» in dem Sinn, wie es die beiden Kleintheater damals waren, braucht es eigentlich gar nicht mehr.
Das Theater Stok und der Keller 62 müssen sich gemäss Stadtrat neu erfinden. Kann man Innovation verordnen?
Eine Frage zurück: Kann man erwarten, dass man bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag öffentliche Mittel bekommt? Ich bedaure es, wenn die Stadt sich dazu entscheidet, etwas nicht mehr zu unterstützen. Aber wenn wir nie etwas streichen, dann bleibt immer alles beim Alten – und es fehlen die Mittel für neue Projekte.
Daniel Rohr vom Theater Rigiblick sagt, je mehr Publikum man anziehe, desto weniger Subventionen erhalte man. Subventioniert die Theaterförderung schlicht Sachen, die niemanden interessieren?
Die öffentliche Hand wird oft dort tätig, wo Kunst nicht selbsttragend sein kann. Wenn wir nur noch auf das Publikum schauen würden, müssten wir Netflix fördern. Man kann nicht einfach Publikumszahlen vergleichen.
Es geht ja nicht um Publikumszahlen, sondern um die Auslastung . . .
Ein Auftrag der öffentlichen Hand ist die Förderung von kultureller Vielfalt. Ein Theater Winkelwiese kann nicht gleich viel Publikum anziehen wie das Rigiblick, rein von den Räumlichkeiten her. Aber es hat beispielsweise den Auftrag, junge Dramatikerinnen und Dramatiker zu fördern oder neue Stücke auf die Bühne zu bringen.
Vonseiten der Kulturschaffenden heisst es, das neue System sei zu bürokratisch und nicht für etwas so Dynamisches wie Kultur geeignet.
Das ist die grosse Crux der Kulturförderung. Einerseits müssen wir den Erwartungen von Verwaltung und Politik gerecht werden – und dazu gehört auch bürokratisches, wie eine saubere Buchhaltung oder Reporting. Dem gegenüber steht die Kultur, die sich stetig wandelt. Wir hinken immer etwas hinterher.
Wie meinen Sie das?
Wir müssen uns immer neu die Frage stellen, welche Bereiche wir fördern können. Wir fangen jetzt damit an, ein Fördergefäss für neue Medien zu entwickeln – dabei gibt es Kunstschaffende, die schon lange mit Technologien wie virtuellen Realitäten oder Software arbeiten. Gleichzeitig muss man bedenken, dass die neue Konzeptförderung auf den politischen Wunsch zurückgeht, dass nicht immer noch mehr Gelder gesprochen werden sollen.
Die Konzeptförderung unterstützt Institutionen, Gruppen und einzelne Kunstschaffende
fpr. Die Tanz- und Theaterförderung der Stadt Zürich ist in befristete und unbefristete Förderung unterteilt. Für befristete Gelder können sich sowohl Institutionen (6-jährige Förderung) als auch Gruppen und Einzelpersonen (2- oder 4-jährige Förderung) bewerben. Eine Jury beurteilt die Gesuche der Institutionen, eine Kommission die Bewerbungen für einmalige Projektunterstützung, und beide machen dann Vorschläge zuhanden des Stadtrats.
Insgesamt stehen 6,5 Millionen Franken zur Verfügung, davon sind 3,9 Millionen Franken für die 6-jährige Förderung gedacht.
2023 wurde bekannt, welche Häuser sich erfolgreich für Gelder beworben hatten. Unterstützt werden im Wesentlichen die gleichen kleinen Institutionen wie bisher. Neu hinzu kam das Zirkusquartier. Nicht mehr berücksichtigt werden der Keller 62 und das Theater Stok.
Genau das zeichnet sich nun aber ab. Der Gemeinderat hat den Stadtrat aufgefordert, substanziell mehr Geld zur Verfügung zu stellen. Wie stehen Sie dazu?
Als Kulturdirektorin bin ich natürlich immer dafür, dass man gute Rahmenbedingungen für die Kultur schafft und genug Mittel zur Verfügung stellt. Kultur ist in einer Stadt wie Zürich sehr wichtig. Wir profitieren alle davon, wenn wir eine pulsierende, vielfältige Kulturszene haben. Da kann ich nicht dagegen sein.
Wie sähe das ideale Modell aus?
Perfekt wäre ein Modell, bei dem man den Theatern einfach hätte sagen können: «Bewerbt euch». Die Jury würde dann die Gesuche begutachten und beim Stadtrat die nötigen Gelder beantragen. Ohne einen finanziellen Deckel.
Es wäre aber auch ein Fass ohne Boden . . .
Meine Rolle als Kulturdirektorin ist, mich für die Kultur und die Kulturschaffenden einzusetzen. Wenn Stadt und Gemeinderat den Betrag erhöhen können und möchten, würden wir uns natürlich freuen. Denn viele Konzepte können jetzt nicht so umgesetzt werden, wie es gewünscht war. Aber es stimmt natürlich, dass es tendenziell immer mehr würde. Deshalb braucht es diese Mechanismen und Limiten, die das Ergebnis eines politischen Aushandelns sind. Die Mittel, die hier einfliessen, sind schliesslich Steuergelder. Man muss genau hinschauen.
Sie haben Kultur einmal als «permanente Baustelle» bezeichnet. Gilt das auch für die Tanz- und Theaterförderung?
Wir sammeln Erfahrungen, Lob und Kritik. Vor der nächsten 6-Jahres-Vergaberunde gibt es einen Bericht, den der Stadtrat dem Gemeinderat unterbreiten muss. Darin sollen dann die Learnings stehen und Vorschläge für allfällige Veränderungen. Ich hoffe, dass wir eine gute Form finden werden, die sich mit den Bedürfnissen der Kulturschaffenden weiterentwickeln kann. Wichtig ist, dass man nicht in Institutionen denkt, sondern in Landschaften.
Das heisst?
Das heisst, dass man nicht nur an einzelne Theater denkt, sondern die ganze Tanz- und Theaterlandschaft im Blick hat – auch neue Ideen und Projekte sollen dabei eine faire Chance bekommen. Wir haben bei den Musik-Institutionen eine ähnliche Situation. Auch hier ist historisch gewachsen, wer gefördert wird. Beispielsweise die Tonhalle oder das Zürcher Kammerorchester. Zudem gibt es spannende neue Initiativen. Dazu kommen auch Erwartungen beispielsweise von den Musikklubs.
Es ist doch nicht Aufgabe der Kulturförderung, Klubs zu unterstützen . . .
Man müsste genau schauen, was der künstlerische Part, der künstlerische Auftrag ist. Wenn es allein darum geht, den Gastrobereich zu fördern, dann sind wir als Kulturförderung die falsche Adresse.