Auf den Spuren einer Substanz, die als Stoff der Hollywood-Stars zweifelhafte Bekanntheit erlangt hat.
Mirko nimmt Ketamin. Nicht zu medizinischen Zwecken, sondern zum Spass. Um neue körperliche und psychische Erfahrungen zu machen. Der Zürcher, Anfang vierzig, konsumiert die Substanz regelmässig. Bei Raves in Klubs, bei Treffen mit Freunden, beim Musikhören oder bei Ausflügen in die Natur.
Portioniert in kleinen Linien mit einer Karte aus Plastik auf einem Tellerchen. Geschnupft mit einem Metallröhrchen durch die Nase. Ein paar wenige Minuten, und der Stoff beginnt zu wirken.
Mirko sagt: «Ketamin führt mich relativ schnell in einen anderen Bewusstseinszustand. Ich erlebe durch die Substanz Musik und Natur anders, fragmentierter und viel intensiver. Sie verstärkt einzelne Teile, die körperliche Wahrnehmung oder die Verortung im Raum.» Ketamin fasziniere ihn, weil er sich in Gedankengängen verlieren könne. «Ich mag den Kontrollverlust durch den Flash. Das führt manchmal zu wunderbar wirren Gespräche mit meinen Freunden.»
Mirko, der eigentlich anders heisst, ist einer von vielen. Ketamin ist laut einer neuen Studie bei jungen Zürcher Partygängerinnen und Partygängern so verbreitet wie noch nie. Enthemmend, entspannend und kurzlebig, passt die Substanz offenbar perfekt zum Bedürfnis der Konsumenten. Zur Beliebtheit trägt auch bei, dass das Narkotikum als Droge der Filmstars in Hollywood gilt.
Die Frage, die sich Experten und Strafverfolger in der Schweiz deshalb zunehmend stellen: Wie gefährlich ist der Rausch mit dem Narkosemittel? Wo müssen Aufklärung und Prävention ansetzen? Und: Wie hart soll man jene bestrafen, die illegal damit handeln?
Als Hollywood-Drogen in die Schlagzeilen geraten
Der 28. Oktober 2023 ist der Tag, an dem Ketamin schlagartig ins Bewusstsein einer weltweiten Öffentlichkeit rückt. An diesem Tag ertrinkt in seinem Haus in Hollywood ein Mann in seinem eigenen Whirlpool. Der Fall sorgt weltweit für Schlagzeilen, weil es sich beim Todesopfer um Matthew Perry handelt, einst bekannt geworden in der Rolle des lustigen WG-Kumpels Chandler Bing in der Serie «Friends».
Perry wurde 54 Jahre alt. In seinem Körper finden die Gerichtsmediziner eine grosse Menge Ketamin. Perry sei an den akuten Folgen einer überdosierten Einnahme des Narkosemittels gestorben, heisst es später im rechtsmedizinischen Bericht. Eine Rolle spielten aber auch eine koronare Herzerkrankung und ein starkes Schmerzmittel.
Perry soll Ketamin als Medikament gegen seine Depressionen verschrieben bekommen haben, dann begann er es missbräuchlich zu verwenden. Später sprechen die Ermittler von einem weitverzweigten Untergrundnetzwerk, das Perrys Suchtprobleme ausgenutzt habe.
Für viele der prominenten Konsumenten in der Filmbranche gilt die Droge als sicherer als Kokain, das in den USA oft mit Fentanyl verunreinigt ist. Anders Ketamin: Die Substanz wird wegen des komplexen Herstellungsprozesses nicht in Untergrundlabors hergestellt, sondern aus der legalen Produktion abgezweigt. In Hollywood stösst die Droge zunehmend auf Zuspruch. So sehr, dass Medien wie die BBC von einem «Wilden Westen» oder sogar einer Ketamin-Epidemie schreiben.
Aber wie schlimm ist die Situation wirklich?
«Ketamin ist keine Nischendroge mehr»
Mirko konsumiert seit mehr als zehn Jahren Ketamin. Er erinnert sich, dass er die Substanz am Anfang nicht als angenehm empfunden hatte. «Ich war kein grosser Fan. Es war ein eher schräges Erlebnis.» Doch das habe sich inzwischen geändert. Er könne die Substanz gut dosieren, der gewünschte Bewusstseinszustand lasse sich deshalb gut anpeilen.
Denn Ketamin wirkt je nach Dosis unterschiedlich. Enthemmend und euphorisierend in kleinen Dosen, bewusstseinsverändernd in höheren.
Doch die regelmässige Einnahme birgt Risiken: Sie reichen von Schwindel und Gedächtnislücken bis hin zu Lähmungserscheinungen oder Bewusstlosigkeit bei hohen Dosen. Und die Substanz kann bei langfristigem Konsum Schäden an der Blase verursachen.
Dessen ist sich auch Mirko bewusst. «Natürlich kenne ich die Risiken, aber verglichen mit Kokain, ist der Konsum sehr viel risikoärmer, sowohl bei der Suchtentwicklung als auch bei den gesundheitlichen Gefahren. Angst habe ich deshalb keine.» Er lege zwischendurch Konsumpausen ein. Diese Phasen dauerten einen Monat, manchmal auch länger. «Das hängt auch von meinem Umfeld ab.»
So wie Mirko denken viele. Wie verbreitet die Substanz inzwischen ist, zeigt eine Studie des Jacobs Center der Universität Zürich, die im November publiziert worden ist. In dieser haben die Forscher den Substanzkonsum bei 24-jährigen Zürcherinnen und Zürchern anhand von Haaranalysen untersucht.
Das Ergebnis: Von den 760 Teilnehmenden hatten 6,2 Prozent in den letzten drei Monaten mindestens einmal Ketamin konsumiert. Vier Jahre zuvor war es bei derselben, noch leicht grösseren Gruppe im Alter von 20 Jahren erst etwa ein Drittel gewesen (2,3 Prozent). Neben Kokain (22,8 Prozent), Ecstasy (12,1) und Opioiden (11,3) zählt Ketamin damit zu den am meisten registrierten Substanzen.
Der Pharmakopsychologe Boris Quednow von der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich ist einer von elf Autoren und Autorinnen der Studie. Er sagt: «Es hat in der Partyszene eine Popularisierung der Substanz gegeben. Ketamin ist keine Nischendroge mehr.»
Ecstasy, Kokain, aber eben auch Ketamin seien bei den Jungen heute viel weiter verbreitet als noch vor zehn oder zwanzig Jahren. Quednow sagt: «Für viele junge Menschen in der Schweiz ist Substanzkonsum zur Normalität geworden. Das war zwar früher mit Alkohol, Tabak und Cannabis auch schon der Fall, doch nun sind die Vielfalt der Substanzen, die konsumiert werden, und deren Verfügbarkeit erheblich grösser geworden.»
Es gebe bei den Untersuchungsresultaten zu Ketamin aber eine Einschränkung, sagt Quednow: «Manche haben Ketamin wohl unbewusst konsumiert, weil die Substanz beispielsweise als Verunreinigung in Ecstasy-Pillen vorkommt oder absichtlich mit Kokain gemischt wird.»
Schwer abzuschätzen ist laut Quednow, welche Auswirkungen der verbreitetere Konsum hat. Das Problem: Es gibt kaum Daten. Der Suchtforscher sagt, eigentlich brauche es ein neues Suchtmonitoring, um Trends und Entwicklungen beim Drogenkonsum besser verfolgen zu können.
Er sagt: «Ich schliesse nicht aus, dass die heutige Generation eine grosse Konsumkompetenz besitzt und diese Konsummuster gar nicht so problematisch sind, wie wir es uns vielleicht ausmalen.» Aber vielleicht sei es eben auch anders, das könne man heute noch nicht sagen.
Ein einheitlicher Umgang fehlt
Sicher ist: Die Justiz beschäftigt sich vermehrt mit dem illegalen Handel der Substanz. Die Zahl der Sicherstellungen ist in ganz Europa markant gestiegen. Auch in der Schweiz floriert der Handel.
Das zeigt das Beispiel eines jungen Niederländers. Im Frühling 2024 bringt er in der Stadt Zürich ein Paket auf die Post. Der Inhalt: rund 10 Kilogramm Ketamin. Das Ziel: eine Adresse in North Hollywood.
Doch für ihn endet das Geschäft mit dem weissen Pulver abrupt. Mitte Dezember sitzt der Mann vor dem Bezirksgericht Dielsdorf. Dreitagebart, sorgsam gepflegte Gel-Frisur, Anzug, weisse Turnschuhe. Er kommt direkt aus der Untersuchungshaft im Gefängnis Zürich-West im Stadtzürcher Kreis 4, wo er seit seiner Festnahme fast sieben Monate sitzt. 27 Jahre alt ist er, er arbeite als «Salesman», sagt er.
Dass er in Zürich aktiv gewesen sei, habe mit «Bekannten» zu tun, sagt er. Er wurde gemeinsam mit zwei Frauen verhaftet, die beide noch auf ihren Prozess warten.
Der Richter will von dem Niederländer an diesem Wintermorgen wissen, wieso er die Drogen in einem Paket verschickt hat. «Das schien mir das Einfachste», antwortet der junge Mann. Nach dem Grund für sein Handeln fragt der Richter gar nicht erst. Er sagt: «Sie haben grosse Mengen Ketamin verschickt, um sich zu bereichern. Sie haben damit grosses Elend von den Abhängigen in Kauf genommen.»
Klar ist, dass der Mann zwei Pakete an die amerikanische Westküste geschickt hat. Bei einem davon schlagen die Drogenhunde an. Die Ermittler können es erst später über Umwege mit ihm in Verbindung bringen. Denn der Name des Absenders, den der junge Mann auf das Paket schreibt, ist erfunden.
Genau diese Masche wird ihm allerdings bei einem zweiten Paket zum Verhängnis. Die zehn Kilogramm Ketamin passieren zwar sämtliche Kontrollen, doch in Los Angeles klappt die Zustellung nicht. Das Paket wird nach Zürich zurückgeschickt. Der Mann will es zurück, doch da nicht sein Name als Absender angegeben ist, beisst er bei Fedex auf Granit.
Kurzerhand fälscht er einen Pass mit dem Phantasienamen des Absenders. Als er am 28. Mai 2024 im Industriegebiet von Dällikon vorfährt, fliegt er auf: Er wird verhaftet.
In den letzten Monaten sind allein am Flughafen Zürich mehrere Ketamin-Schmuggler ins Netz gegangen. Am 10. September kontrollieren die Behörden das Gepäck einer 27-jährigen amerikanischen Bürgerin, die von Hamburg via Zürich weiter nach New York reisen will. Im Koffer finden sie 15 Kilogramm Ketamin.
Einen Monat später erwischen die Behörden eine 23-jährige Amerikanerin mit rund 20 Kilogramm Ketamin im Gepäck. Die Frau, die nach Paris weiterreisen wollte, hat mehrere verschweisste Beutel mit der Substanz in ihren Koffer gelegt.
Doch bis jetzt geht die Justiz sehr unterschiedlich mit den Ketamin-Schmugglern um. Denn es fehlt an einem Leitentscheid, der den Umgang mit der Substanz regeln würde.
Im Fall der 27-Jährigen mit den 15 Kilogramm Ketamin im Gepäck erlässt die zuständige Staatsanwältin zwei Tage nach der Festnahme einen Strafbefehl gegen die junge Frau und verurteilt sie zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 6 Monaten. Der Straftatbestand: Vergehen gegen das Betäubungsmittelgesetz. Sie habe in Kauf genommen, dass es sich um ein rezeptpflichtiges, betäubungsmittelhaltiges Arzneimittel handle, heisst es im Strafbefehl.
Anders beim Niederländer, der im Dezember vor dem Bezirksgericht in Dielsdorf steht. Dort ist die Anklage ungleich härter, die Staatsanwaltschaft wirft dem jungen Mann nicht bloss ein Vergehen, sondern ein Verbrechen gegen das Betäubungsmittelgesetz vor.
Der Niederländer und sein Anwalt lassen sich nur wegen eines Deals auf ein abgekürztes Verfahren und den härteren Straftatbestand ein. Sie stimmen einer bedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren zu. Die Schweiz darf er fünf Jahre lang nicht mehr betreten, die Verfahrenskosten muss er übernehmen. Er wird sofort nach dem Urteil dem Migrationsamt überstellt, das seine Ausreise sicherstellt.
Die erratische Handhabe zeigt: Auch die Strafverfolgungsbehörden haben die Frage, ob Ketamin nun eine harte oder eine weiche Droge ist, noch nicht beantwortet.
Der Konsument Mirko findet das alles übertrieben. Er sagt: «Da wird gerade das Schreckensbild einer Substanz gezeichnet.» Vergleiche man sie mit dem Schaden- und Suchtpotenzial von Kokain oder Heroin, dann sei das Problem verschwindend klein. «Diese Substanzen sind in der Hand des organisierten Verbrechens.» Dort müssten die Strafverfolger hinschauen, nicht beim Ketamin. Das sei bloss unnötiger Aktionismus.
Für Mirko ist klar: Er kann den Konsum gut mit sich vereinbaren, also nimmt er es weiter.