Die 33-Jährige dominiert im vergangenen Winter den Ski-Weltcup. Danach sagt sie, mehr als eine Saison werde es für sie wohl nicht mehr geben. Doch ein erzwungener Trainerwechsel bringt diese Überzeugung in Wanken. Wo steht sie vor dem Saisonstart in Sölden?
Sie ist wieder da. Allein das ist bei Lara Gut-Behrami schon fast ein Ereignis, denn kaum eine Sportlerin macht sich so rar wie sie. Am Ende der vergangenen Saison nahm sie die grosse Kristallkugel für den Sieg im Gesamtweltcup in Empfang, dazu noch die Trophäen für die Disziplinensiege im Riesenslalom und im Super-G. Sie sagte, eine Saison werde es noch geben, mehr wohl nicht. Dann war sie weg.
Weg heisst: bei ihrem Mann Valon Behrami in Udine, irgendwann mutmasslich in den Ferien, später auch an diversen Orten im Training. Aber weg von der Bildfläche. Ihr letztes grosses Interview gab sie 2021, aus den sozialen Netzwerken hatte sie sich schon 2018 verabschiedet, einzig auf Facebook gibt es hin und wieder einen Post für die Sponsoren.
Der letzte stammt vom April dieses Jahres, und die Nachrichten dürften nun noch seltener werden, denn in Sölden wurde bekannt, dass der Vertrag zwischen ihr und der Schokolade-Herstellerin Camille Bloch aufgelöst worden ist. Die Firma kämpft mit rekordhohen Kakaopreisen. Zwölf Jahre lang trug Gut-Behrami das Ragusa-Logo auf Helm, Mütze oder Stirnband, jetzt bleibt diese Fläche leer. Warum es zur Trennung kam, wird nicht kommuniziert.
Der Verlust des Kopfsponsors kostet Gut-Behrami viel Geld
Dass ausgerechnet die Gesamtsiegerin des letzten Jahres ohne Kopfsponsor in die Saison startet, ist bemerkenswert. Sollte Camille Bloch aus wirtschaftlichen Gründen kurzfristig aus dem Vertrag ausgestiegen sein, ist die heutige Situation aber erklärbar. Eine Athletin wie Gut-Behrami dürfte von einem Kopfsponsor einen mittleren sechsstelligen Betrag verlangen. Firmen, die so viel Geld auf den Tisch legen, gibt es nicht zuhauf.
Hinzu kommt, dass es riskant wäre, in einem Moment einzusteigen, in dem offen ist, ob Gut-Behrami nach dieser Saison überhaupt weitermacht. Sie selbst dürfte auch deshalb zwischen Aufwand und Ertrag abwägen. Ihr Privatteam kostet sie deutlich weniger als zu Beginn, denn ihr Konditionstrainer ist bei Swiss Ski angestellt, und auf der Piste ist sie nun häufig mit Gruppen des Verbandes unterwegs. Ausserdem verdient sie auch ohne Kopfsponsor gut. Im vergangenen Winter fuhr sie fast 600 000 Franken an Preisgeld ein, und auch ihr Skiausrüster dürfte sie im sechsstelligen Bereich vergüten.
Warum sie sich immer weniger in der Öffentlichkeit zeigt und für PR-Auftritt hergibt, sagte sie 2021 in einem Gespräch mit der NZZ. «Dass man das Drumherum einfach akzeptieren muss – das ist ein Satz, den ein Sportler nie sagen würde. Das heisst ja, dass man nicht über sein Leben entscheiden kann, weil alles schon bestimmt ist.»
Es stehe in keinem Reglement, dass sie an jedem Rennen teilnehmen müsse, sagt sie. «Aber wenn ich starte, soll ich nebenbei automatisch noch ungezählte Verpflichtungen eingehen. Es geht doch darum, dass ich das Beste dafür tue, im Rennen erfolgreich zu sein.» Am Abend vor dem Start an einer öffentlichen Auslosung der Startnummer teilnehmen, nach jedem Rennen einen Interview-Marathon absolvieren, an dieser und jener Pressekonferenz auftreten: Es sei respektlos, dass all das als selbstverständlich vorausgesetzt werde.
Das haben auch schon andere Sportlerinnen so oder ähnlich gesagt. Für Aussenstehende ist nicht vorstellbar, wie viel Energie es kostet, in den Rennmodus zu kommen und dann Meter für Meter ans Limit zu gehen. Danach im Zielraum noch hundertmal die gleichen Fragen zu beantworten und auch noch zu lächeln? Geschenkt.
Im Film «Aiming High» über den letztlich gescheiterten Versuch, am Matterhorn Abfahrten durchzuführen, sagt Gut-Behrami: «Ich war nie ruhig, ich musste immer liefern.» Und sie wollte das auch: in Interviews, vor den Medien, bei den Sponsoren. «Ich wollte allen beweisen: Ich bin jetzt die Nummer 1.» Am Ende sei sie dennoch nicht zufrieden gewesen. Der Erfolg habe sie so viel von ihrem Leben gekostet, dass sie gespürt habe: «So geht das nicht.»
Nun hat sie sich Ruhezonen geschaffen, und wenn sie aus diesen herauskommt, kann sie dort liefern, wo es am meisten zählt: Nie fuhr Lara Gut-Behrami so stark und konstant wie im vergangenen Winter. Das ist erstaunlich, denn sie hatte da bereits 16 Weltcup-Saisons in den Beinen, alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt, und sich von zwei schweren Verletzungen zurückgekämpft. Sie ist nun 33-jährig und spürt, dass die Karriere dem Ende entgegengeht.
Im Frühling sprach sie noch von einer wohl letzten Saison, nun scheint das weniger klar. Das hat indirekt auch mit einer Umstellung in ihrem Privatteam zu tun. Am Weltcup-Finale 2024 musste Gut-Behrami hintenrum erfahren, dass ihr Coach Alejo Hervas sie hängen lässt und Konditionstrainer von Marco Odermatt wird. Sie stellte Hervas zur Rede und schickte ihn nach Hause. Danach musste sie einen neuen Betreuer suchen. Dieser heisst Flavio Di Giorgio, lebt in Italien nicht weit von Gut-Behramis Zuhause und betreute einst Sofia Goggia.
Der Italiener hat das Konditionstraining nicht neu erfunden, aber er bringt neue Impulse. Das habe ihr gezeigt, dass man auch mit über 30 Jahren versuchen könne, die Grenzen noch weiter auszuloten. «Veränderungen tun immer gut», sagt die Athletin, «und das hat in mir die Lust geweckt, vielleicht noch eine Saison anzuhängen.»
Zuerst das Knie lädiert, dann eine Grippe eingefangen
Wenn es um den Sport ging, sagte Gut-Behrami stets es sei das Grösste für sie, auf einer abgesperrten Piste perfekte Kurven zu ziehen, und das könne sie nur im Rennsport. Inzwischen hat sich das relativiert. Im vergangenen Winter sei sie erstmals seit 15 Jahren allein frei Ski fahren gegangen, sagte sie in Sölden. Sie müsse sich wohl an diese Art des Sporttreibens herantasten und spüren, dass es gar nicht so schlecht sei.
Vorläufig geht es aber allein um den Rennmodus, am Samstag wird auf dem Rettenbachgletscher hoch über Sölden die Saison eröffnet. Gut-Behrami sieht dem Rennen mit gemischten Gefühlen entgegen. Einerseits weiss sie, dass sie skifahrerisch parat ist. Anders als in anderen Jahren sei nach der Sommerpause gleich bei der ersten Fahrt das gute Gefühl des Vorwinters wieder da gewesen. Doch danach häuften sich die Probleme.
Zuerst erhielt sie im Training in Südamerika einen Schlag auf das linke Knie, das seit einem Kreuzbandriss 2017 besonders empfindlich ist. Danach gab es Tage, an denen die Schmerzen so gross waren, dass sie das Knie nicht beugen konnte. Ein MRI zeigte zwar, dass nichts kaputt war, aber eine Pause war unumgänglich.
Die Athletin wollte danach mit einem Block im Kraftraum die Muskulatur wieder aufbauen, doch erwischte sie eine Grippe. Vier Tage lange habe sie nicht essen und nicht trinken können, eine Woche lang sei sie im Bett gelegen. Und dabei verlor sie noch einmal Kraft. Zuletzt konnte sie gut trainieren, aber weil die Muskulatur nicht genügend stark ist, um das Knie zu stützen, fehlt ein wenig das Selbstvertrauen. Was das bedeutet, wird auch sie selbst er erfahren, wenn sie sich aus dem Starthaus stösst.