Die mathematische Formel a² + b² = c² mit den Mitteln der Trigonometrie zu beweisen, galt lange als ziemlich schwierig. Schülerinnen in den USA haben das «Unmögliche» gleich mehrfach vollbracht.
ela. Der 2000 Jahre alte Satz des Pythagoras (a² + b² = c²) ist vielen noch aus dem Mathematikunterricht bekannt. Die wenigsten jedoch würden sich damit über den Unterricht hinaus beschäftigen wollen.
Anders war dies bei Calcea Johnson und Ne’Kiya Jackson aus dem amerikanischen Gliedstaat Louisiana. Die jungen Frauen haben neue Beweise für den Satz des Pythagoras entwickelt. Das Besondere: sie bewiesen ihn mit den Mitteln der Trigonometrie, einem Teilgebiet der Geometrie. Unter Mathematikern galt das lange als fast unmöglich. Denn der Satz des Pythagoras ist grundlegend für die Trigonometrie, die annimmt, dass die Formel wahr ist. Es droht also ein logischer Trugschluss, wenn man versucht, eine Idee mit der Idee selbst zu beweisen.
Ihre Ergebnisse haben Johnson und Jackson nun im «American Mathematical Monthly» veröffentlicht.
Ein Mathematik-Wettbewerb inspirierte sie
Begonnen hatte alles im Jahr 2022. Damals nahmen die Schülerinnen der katholischen St. Mary’s Academy in New Orleans an einem Mathematik-Wettbewerb teil. Eine Zusatzaufgabe lautete, einen neuen Beweis für den Satz des Pythagoras zu finden. Als Preisgeld winkten 500 Dollar. Dies motivierte die Teenager, wie sie selbst sagten. Fortan widmeten sie ihre Freizeit dem Vorhaben, arbeiteten Nächte durch und opferten ihre Ferien. Mehrere Male wollten sie das Projekt bereits aufgeben, doch sie bissen sich durch.
Ein Mitarbeiter der Schule ermutigte sie, ihre Arbeit der Fachwelt vorzustellen. Im März 2023 präsentierten sie ihre Ergebnisse in Atlanta an der Konferenz der renommierten American Mathematical Society – als jüngste Teilnehmerinnen. Ihr Auftritt erzeugte Begeisterung, Medien berichteten darüber. Die ehemalige First Lady Michelle Obama pries die Leistungen der Schülerinnen.
An der Konferenz wurden Jackson und Johnson auch ermutigt, ihre Arbeit bei einer Fachzeitschrift einzureichen. Dieses Paper wurde nun veröffentlicht. Die jungen Frauen, die inzwischen studieren – Jackson Pharmazie, Johnson Umwelttechnik – legen darin nicht nur ihren ersten Beweis aus der Highschool vor, sondern gleich noch weitere.
Mit dem Satz des Pythagoras lassen sich die Seitenlängen eines rechtwinkligen Dreiecks berechnen. Die kurzen Seiten a und b, Katheten genannt, liegen am 90-Grad-Winkel. C ist die längste Seite (Hypotenuse) und liegt dem 90-Grad-Winkel gegenüber. Die Summe der Quadrate der Katheten (a und b) ist gleich dem Quadrat der Hypotenuse (c). Wenn man also die Länge von zwei Seiten des rechtwinkligen Dreiecks kennt, kann man die Länge der anderen Seite berechnen.
Der Satz ist im Laufe der Jahrhunderte hundertfach bewiesen worden, allerdings ausschliesslich mit algebraischen und geometrischen Beweisen. Mit den Mitteln der Trigonometrie hielten viele das für unmöglich, weil eben ein Zirkelschluss drohte. Der Mathematiker Elisha Loomis schrieb 1927, dass kein trigonometrischer Beweis des Satzes korrekt sein könne. Johnson und Jackson zeigen nun fünf Möglichkeiten auf, den Satz mithilfe der Trigonometrie zu beweisen. Zudem entwickelten sie eine Methode, die fünf weitere Beweise ermöglicht. «Keines der Theoreme, die wir in unseren Beweisen verwenden, hat den Satz des Pythagoras bereits als wahr vorausgesetzt», schreiben die Autorinnen in dem Paper.
Erst zweimal sei professionellen Mathematikern ein trigonometrischer Beweis ohne Zirkelschluss geglückt, teilte der Verlag des Papers mit. Diese hatten die Mathematiker Jason Zimba und Nuno Luzia 2009 und 2015 vorgelegt. Die Arbeit an diesen ersten Beweisen habe «den kreativen Prozess ausgelöst», sagte Jackson laut Medienberichten. «Und von dort aus haben wir weitere Beweise entwickelt.»
Für den Mathematiker Álvaro Lozano-Robledo von der University of Connecticut sticht ein Beweis hervor, wie er gegenüber «Science News» erklärte. So etwas habe er noch nie gesehen. Die Schülerinnen füllten ein grösseres Dreieck mit einer unendlichen Folge kleinerer Dreiecke und verwendeten die Infinitesimalrechnung, um die Seitenlänge des grösseren Dreiecks zu bestimmen.
Neue Ansätze für den Mathematikunterricht
Mathematikerinnen und Mathematiker sind entzückt über die neuen Erkenntnisse der Nachwuchswissenschafterinnen. Dass der Satz des Pythagoras aus unterschiedlichen Richtungen beleuchtet wurde, sei eine Fundgrube für jeden Mathematiker, sagte Mario Gerwig, Autor des Buchs «Der Satz des Pythagoras in 365 Beweisen» gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Für den heutigen Mathematikunterricht biete sich eine «echte Chance, das Beweisen so zu thematisieren, dass nicht nur ein einzelnes Beweisprodukt, sondern vielmehr der Beweisprozess und damit das, was es mit dem Beweisen in der Mathematik eigentlich auf sich hat, deutlich werden kann.»
Auch die beiden Autorinnen freuen sich. In einer Mitteilung schreibt Calcea Johnson: «Ich bin sehr stolz darauf, dass wir beide einen so positiven Einfluss ausüben können, indem wir zeigen, dass junge Frauen und farbige Frauen diese Dinge machen können und andere junge Frauen wissen lassen, dass sie alles tun können, was sie tun wollen.»