Die Schützenvereine haben Nachwuchsprobleme. Doch moderne Schiesskeller ziehen neue Kunden an.
Gianluca Vögeli und Simone Fröhlich wollen den Schiesssport von seinem verstaubten Image befreien. Während viele Schützenvereine mit Nachwuchsproblemen kämpfen, eröffnen die beiden Jungunternehmer in Wädenswil eine eigene Schiessanlage. Ihren Indoor-Schiesskeller bewerben die beiden auch auf Instagram. «Wir haben das Gefühl, dass ein modernes Konzept, bei dem man individuell den Schiesssport trainieren kann, auch junge Leute anspricht», sagt Vögeli. Ein vergleichbares Angebot wie ihr Lakeside Shooting gebe es in ihrer Region noch nicht, und das Einzugsgebiet sei gross.
Interessenten müsste es eigentlich geben: Nach dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs war allenthalben zu lesen, dass Waffen im Trend seien. «Private bewaffnen sich», berichtete SRF, «Die Schweizer rüsten auf», titelte der «Blick». Beide stützten sich dabei auch auf Zahlen aus den Städten Winterthur und Zürich. Um 50 beziehungsweise gar um 100 Prozent sei die Zahl der Gesuche für Waffenerwerbsscheine Anfang 2022 gestiegen.
Auf eine Anfrage der Zürcher SP-Nationalrätin Priska Seiler-Graf machte auch das Bundesamt für Polizei eine Umfrage bei 19 kantonalen Waffenbüros und stellte eine Steigerung von 30 Prozent bei den Gesuchen fest.
Daraus wurde aber wohl vorschnell ein Trend abgeleitet. Schaut man sich zumindest einmal die Zahlen aus Zürich und Winterthur über eine längere Periode an, dann gibt es immer wieder Schwankungen bei den Gesuchen. Eine klare Zunahme ist nicht ersichtlich. Einzig das Jahr 2019 sticht deutlich heraus. Mitte August 2019 wurde das Waffengesetz verschärft. Vorher hatten noch viele einen Waffenerwerbsschein beantragt.
Per Crowdfunding zum Schiesskeller
Im Schiesskeller in Wädenswil laufen die letzten Vorbereitungen, am Samstag steht die grosse Eröffnung an. Beim Eingang zeichnet die Cousine von Simone Fröhlich ein Wandbild an die weisse Backsteinmauer. Daneben sind an der Wand die Namen der vielen Sponsoren aufgelistet, Firmen genauso wie Private. «Ohne Crowdfunding und ohne die Hilfe von Familien und Freunden hätten wir das alles nicht geschafft», sagt Fröhlich.
Noch vor zweieinhalb Jahren war der eigene Schiessstand nicht mehr als eine surreale Vorstellung für die beiden. Die Polizisten liebäugelten schon länger mit der Selbständigkeit. «Also begannen wir, Ideen zu wälzen.» Weil sie beruflich mit Waffen zu tun gehabt hätten und auch privat gerne einmal schiessen gingen, sei das mit dem Schiessstand aufgekommen.
Sie begannen zu recherchieren. Und mit jedem Schritt wurde die Sache realer. Sie stellten fest, dass solche Schiesskeller noch gar nicht so verbreitet waren. «Wir trafen in einer Indoor-Anlage im Aargau Leute, die eigens aus dem Kanton Graubünden anreisten», sagt Vögeli. Sie machten sich auf die Suche nach geeigneten Gebäuden am linken Zürichseeufer und fanden ein Inserat für einen grossen Kellerraum in Wädenswil.
Der Inhaber des Gebäudes, selbst ein Unternehmer, habe sie von Anfang an bei ihrem Vorhaben unterstützt, sagt Vögeli. Zudem sei die Lage ideal gewesen: Es hat eine Bushaltestelle direkt vor der Tür und einen grossen, öffentlichen Parkplatz ganz in der Nähe. Zudem liegt das Gebäude neben einer Kläranlage, allfälliger Lärm würde damit keine Nachbarn stören. Der Schiesskeller sei nun aber so gut schallisoliert, dass man draussen die Schüsse kaum mehr höre. «Vorbeifahrende Autos machen eindeutig mehr Lärm», sagt Fröhlich.
Die jungen Männer begannen mit dem Bau. Zentral sei ihnen die Sicherheit gewesen, aber auch Umweltaspekte. So besteht ihr Kugelfang aus einem rezyklierten und wiederverwendbarem Hartgummi-Granulat. Und die starke Lüftung habe eine Wärmerückgewinnung. «Darauf sind wir stolz», sagt Fröhlich.
Entstanden sind zwei separate Schiessräume in Wädenswil. Eine «dynamic range», wo die Schützen sich im Raum bewegen und aus verschiedenen Distanzen auf fixe Ziele schiessen können. Sowie eine «static range» mit einzelnen Boxen. Hier können die Zielscheiben per Eingabegerät an einer Schiene in verschiedene Entfernungen gefahren werden. So liessen sich auch komplexe Schiessprogramme speichern und Schiessprüfungen trainieren. «Das ist zum Beispiel für Sicherheitsfirmen interessant», sagt Vögeli. Sie hätten tatsächlich auch schon einen Vertrag mit einer grösseren Sicherheitsfirma abschliessen können, die ihre Mitarbeitenden in Wädenswil trainieren wolle.
Auch mit Polizeikorps stünden sie in Kontakt. Im Vordergrund solle aber der Sport stehen. «Wir wollen in Zukunft Kurse anbieten, auch für Laien, die bisher noch nichts mit dem Schiessen zu tun hatten.» Sie hoffen, dass sie mit diesem Konzept nach und nach in die schwarzen Zahlen kommen.
«Frauen haben oft mehr Spass am Schiessen»
Einer, der das schon geschafft hat, ist Martin Eerhard, der CEO der Swiss Shooting Group AG. 2015 hat auch er klein angefangen. Damals konnte er einen kleinen Schiesskeller in Schinznach übernehmen, modernisierte ihn und baute ihn aus. Das Geschäft lief so gut, dass er 2019 in Spreitenbach eine grosse Anlage aufbaute mit zwölf statischen Bahnen und einer dynamischen. Seine Firma beschäftigt inzwischen zwanzig Leute und zählt 42 000 registrierte Kunden. «Pro Monat kommen 600 bis 800 neue dazu», sagt Eerhard.
Er beobachte durchaus einen gewissen Boom, sagt Eerhard. «Ich glaube, die Konflikte im Nahen Osten und in der Ukraine haben die Leute zum Nachdenken gebracht. Das Sicherheitsthema ist wichtiger geworden.» Er selbst hält es für eine schlechte Idee, Waffen zum Selbstschutz zu kaufen. Das versuche man auch den Kunden zu vermitteln. Der sportliche Aspekt solle im Vordergrund stehen.
In Spreitenbach trainieren auch Sicherheitskräfte, die meisten seien aber Privatkunden. Auffällig ist dabei: Etwa 70 Prozent ihrer Kunden seien zwischen 21 und 40 Jahre alt. Und über 30 Prozent seien Frauen. «Wir haben früh damit begonnen, uns um weibliche Kundschaft zu bemühen.» Sie hätten entsprechende Gutscheine auf Geschenkplattformen lanciert. «Es kamen sehr viele Pärchen, und oft hatten die Frauen mehr Spass als die Männer.»
Und gerade die junge Kundschaft schätze ihr Modell. «Man muss sich bei uns nicht in einem Verein engagieren. Man bucht, schiesst, zahlt und geht wieder. So oft oder selten, wie man will.»
Familienmitglieder müssen aushelfen
Vielleicht wird nicht mehr, aber an anderen Orten geschossen in der Schweiz. Diese These stützt auch eine Beobachtung von Jens Haasper. Er ist eidgenössischer Schiessoffizier und zusammen mit einem Kollegen für den Kanton Zürich zuständig. Es gebe nicht mehr Schiessanlagen als früher, Eröffnungen und Schliessungen hielten sich die Waage. Aber es finde eine Verschiebung statt: «Bei den Eröffnungen handelt es sich tendenziell eher um Kurzdistanz-Anlagen im Kleinkaliberbereich beziehungsweise um unterirdische Anlagen. Schliessungen sind vor allem auf Vereinsauflösungen oder Fusionen zurückzuführen.»
Eine unterirdische Anlage steht den Schützen ab Samstag nun auch in Wädenswil zur Verfügung. Gianluca Vögeli und Simone Fröhlich wollen noch nicht voll aufs Unternehmertum setzen, «wir werden weiterhin in unserem Beruf arbeiten.» Vorläufig werden auch noch Familienmitglieder in der Anlage aushelfen und zum Beispiel am Empfang arbeiten, bis sie irgendwann auch Personal anstellen können. Zuerst gilt es nun aber, noch alles für die Eröffnung parat zu machen.