Das Volk lehnt die «Kostenbremse» deutlich ab. Der Parteichef rechnet die Niederlage schön. Und will weiterkämpfen.
Volksinitiativen sind für Parteistrategen eine zweischneidige Sache. Der Aufwand ist enorm, zuerst bei der Unterschriftensammlung und später im Abstimmungskampf. Wenn es aber gut läuft, können Initiativen einer Partei viel Aufwind geben. Die SVP hat das mehrmals vorgeführt, vor allem mit ihren ausländerpolitischen Initiativen. Zwar hat sie damals die meisten Abstimmungen verloren, dafür aber bei den nächsten Wahlen oft gewonnen. Seither versucht die Konkurrenz immer wieder, das Beispiel zu kopieren.
Zwei Parteien sind dabei krachend gescheitert. Der FDP ist es 2010 nicht einmal gelungen, für ihre «Bürokratie-Stopp-Initiative» genug Unterschriften zu sammeln. Die GLP hat ihre Initiative für eine Energiesteuer zwar zustande gebracht, konnte sich aber nicht darüber freuen: Ausgerechnet im Wahljahr 2015 ist sie mit 92 Prozent Nein-Stimmen derart kläglich gescheitert, dass der Profilierungsversuch zur Peinlichkeit verkam.
Und die Mitte-Partei? Ihre Initiative für eine «Kostenbremse» im Gesundheitswesen ist am Sonntag deutlich verworfen worden. Die Partei bejubelte zwar in ihrer Stellungnahme die «hohe Zustimmung», doch das ist mathematisch reichlich gewagt bei einem Ja-Stimmen-Anteil von 37 Prozent. Vom Ständemehr ganz zu schweigen, lediglich in fünf Kantonen mit relativ hohen Krankenkassenprämien hat die Mitte eine Volksmehrheit überzeugt. Hingegen kann die Partei für sich in Anspruch nehmen, dass die Zustimmung weit über den eigenen Wähleranteil hinausgeht.
Ein Schlüsselthema
Von einem Sieg war die Mitte am Sonntag weit entfernt, von einem Absturz jedoch auch. Umso mehr zeigte sich Parteipräsident Gerhard Pfister unbeirrt. Kaum stand das Ergebnis fest, kündigte er bereits an, seine Partei werde sich weiterhin «mit Hochdruck» gegen die «Kostenexplosion» im Gesundheitswesen einsetzen.
Pfister ist fest entschlossen, das Dossier auch künftig zu beackern. Er sieht darin eine der wenigen Möglichkeiten, seiner Partei mehr Profil zu verschaffen, mit ihr ein populäres Thema zu besetzen, das für die Bevölkerung hohe Priorität hat (zumindest dann, wenn die Prämien so stark steigen wie in den letzten zwei Jahren).
Auf eine einfache Formel gebracht: Was für die SVP die Zuwanderung ist, sollen für die Mitte die Gesundheitskosten sein – ein Schlüsselthema für die interne und externe Mobilisierung. Wer sich über die Prämien ärgert, die Lösung aber nicht in zusätzlicher Umverteilung à la SP sieht, soll – so das Kalkül der Parteispitze – die Mitte wählen. Wird der Plan aufgehen?
Zumindest muss Pfister keine Angst haben, dass ihm das Thema abhandenkommen könnte. In der Gesundheitspolitik sind abschliessende Lösungen ebenso unrealistisch wie in Migrationsfragen, das Kostenwachstum wird nicht plötzlich aufhören. Will heissen: Die Mitte kann das Thema noch lange bewirtschaften. Doch Pfisters Plan ist nicht nur parteipolitisch relevant.
Mitte kann fast nicht mehr Nein sagen
Gewichtiger ist die Frage, wie sich der Kurs der Mitte-Partei ganz konkret in der künftigen Gesundheitspolitik niederschlagen wird, zum Beispiel in den anstehenden Diskussionen über die Finanzierungslücken der Spitäler oder die Förderung der Hausärzte. Im Vergleich mit der SVP hat die Mitte im Bundeshaus wesentlich bessere Chancen, Allianzen mit anderen Parteien einzugehen und Reformen zum Durchbruch zu verhelfen.
Eine erste Möglichkeit bietet sich unmittelbar in der laufenden Session des Parlaments. Der Ständerat diskutiert am Donnerstag ein Reformpaket, bei dem es unter anderem um Medikamentenpreise geht. Im Raum steht zudem ein Vorschlag, der eine Art Relikt aus dem Abstimmungskampf um die «Kostenbremse» darstellt: Die Gesundheitskommission will gegen echte oder vermeintliche Profiteure in der Ärzteschaft vorgehen, die über ihre Praxis verdächtig viele Leistungen pro Tag abrechnen.
Alles andere als eine Unterstützung des Antrags durch die Mitte-Ständeräte wäre erstaunlich. Die Partei hat sich mit ihrer «Kostenbremse» und vor allem mit der Kampagne der letzten Wochen selbst unter Druck gesetzt. Sie kann es sich kaum mehr leisten, kostendämpfende Massnahmen abzulehnen, ohne sich angreifbar zu machen. Das eröffnet auch der Gesundheitsministerin Elisabeth Baume-Schneider neue Chancen, nachdem ihr Vorgänger Alain Berset gesundheitspolitisch im Parlament gegen Ende seiner Amtszeit zunehmend glücklos agiert hat.
Mitte-Exponenten gehören selbst zum «Kartell»
Denkbar ist aber auch, dass die Mitte gesundheitspolitisch gelegentlich mit der SP zusammenspannt – dass also die beiden Parteien gemeinsam Vorlagen aufgleisen, die auf einen weiteren Ausbau der Subventionen hinauslaufen. Der Parteichef höchstselbst hatte sich in den Diskussionen über die Prämieninitiative der SP, die am Sonntag ebenfalls gescheitert ist, für einen deutlich umfangreicheren Gegenvorschlag ausgesprochen. Damit wären die Prämienverbilligungen massiv erhöht worden. Pfister ist jedoch im Parlament gescheitert, nicht zuletzt am Widerstand seiner eigenen Ständeräte.
Das ist kein Einzelfall. Gerhard Pfister hat einen relativ scharfen Ton angeschlagen, gerade im Abstimmungskampf ist er insbesondere den Ärzten, aber auch den Krankenkassen an den Karren gefahren. Trotzdem ist nicht sicher, ob er seine Parteikollegen immer von allen Positionen überzeugen kann. Nach wie vor haben einzelne Mitte-Exponenten wichtige Mandate von Krankenkassen inne. Sie gehören damit zum «Gesundheitskartell», das ihr Parteichef so wortmächtig angreift.
Allerdings haben sie das Spiel bis anhin mitgemacht, ohne öffentlich auf Abstand zu gehen. Und wenn die letzten Wochen eines gezeigt haben, dann dies: Der Mitte-Chef hat eine beträchtliche Lust an der Gesundheitspolitik entwickelt, an der harten – und gelegentlich auch polemischen – Auseinandersetzung mit den vielen verschiedenen Akteuren von der Pharmabranche bis zu den Hausärzten. Dass er damit so rasch aufhört, ist nicht anzunehmen. Was soll er auch sonst machen? Populäre Themen zu finden, mit denen sich eine Partei wie die Mitte profilieren kann, ist nicht einfach. Der Kampf gegen die «Heiratsstrafe» allein wird nicht reichen.