Zwei Monate nach Beginn des Waffenstillstands zwischen Israel und dem Hizbullah liegen weite Teile Südlibanons immer noch in Trümmern, überall fehlt das Geld. Bei den Libanesen wächst die Unzufriedenheit mit der Schiitenmiliz.
«Wir Schiiten lieben unser Land», sagt Abbas Tleiji. Der Bäckermeister steht in seiner einigermassen intakt gebliebenen Backstube im südlibanesischen Grenzdorf Khiam, schiebt Brotfladen mit Käse und Salami in den Ofen und gibt sich kämpferisch: «Wir hatten nicht mehr geglaubt, dass wir jemals wieder hierher zurückkehren können. Dass wir da sind, zeigt, dass wir gewonnen haben.»
Doch von dem Sieg, den der 55-Jährige beschwört, ist auf der Strasse vor seinem Haus wenig zu sehen. Khiam liegt komplett in Trümmern. Wo einst Gebäude standen, ragen verformte Betonskelette in den fahlen Winterhimmel. Regen geht auf Schlammlöcher und zerbombte Autowracks nieder. Auf Bergen aus Geröll und verbogenem Metall liegen grosse Plakate mit den Porträts junger Männer – gefallene Hizbullah-Kämpfer, die sich den anrückenden Israeli entgegengestellt hatten.
Eine empfindliche Niederlage
Ihr Versuch, den Ort zu verteidigen, scheiterte. Nach harten Kämpfen eroberten die Israeli Khiam Ende Oktober. Wochenlang hielten sie das Dorf besetzt – selbst nachdem ein Waffenstillstand ausgehandelt worden war. Erst Mitte Dezember zogen Israels Soldaten schliesslich ab. Jetzt sind die einst geflohenen Bewohner zurück und trauen ihren Augen kaum: «Wir müssen den Ort komplett neu aufbauen. Alles ist kaputt», sagt ein junger Mann, der wie fast alle hier vor dem Nichts seht.
Noch ein Jahr zuvor hatten Hizbullah-Vertreter in Khiam stolz verkündet, dass die Tage Israels gezählt seien – und die Miliz bald in Galiläa einmarschieren würde. Doch von dem Selbstbewusstsein der mit Iran verbündeten Truppe ist nur wenig übriggeblieben. Der Hizbullah, einst die am besten bewaffnete und stärkste Miliz des Nahen Ostens, hat im letzten Herbst in den Vorstädten von Beirut und in den Hügeln Südlibanons eine empfindliche Niederlage erlitten.
In einer Blitzoffensive schalteten die Israeli nicht nur die gesamte Führungsriege der Truppe aus, inklusive ihres Chefs Hassan Nasrallah. Sie zerstörten auch Waffenlager und Raketenstellungen und liessen die Miliz – die den Krieg im Oktober 2023 zur Unterstützung der Hamas in Gaza begonnen hatte – regelrecht ausbluten. Schätzungsweise 4000 Hizbullah-Kämpfer kamen ums Leben. Israel hingegen gibt seine eigenen Verluste mit 72 getöteten Soldaten an.
Die Hilfe reicht nicht aus
Der Hizbullah hat aber nicht nur militärisch an Macht eingebüsst. Auch politisch musste er Federn lassen. In Beirut sind mit Ministerpräsident Nawaf Salam und seiner neu geformten Regierung jetzt reformorientierte Kräfte an der Macht, die die Truppe am liebsten entwaffnen wollen. Im benachbarten Syrien, dem einstigen Rückzugsort der Schiitenmiliz, haben islamistische Rebellen den Diktator Bashar al-Asad gestürzt und die libanesischen Kämpfer damit von ihren Nachschublinien und ihren Finanzquellen abgeschnitten.
Selbst in seinem südlibanesischen Stammland rund um Khiam steht der Hizbullah unter Druck. Er hat den Anspruch, seiner ausgebombten Klientel möglichst schnell und unkompliziert Hilfe zukommen zu lassen. Gelingt dies nicht, könnte die Nibelungentreue, die die Menschen hier dem «Widerstand» – wie sie den Hizbullah nennen – entgegenbringen, schnell in Wut und Frustration umschlagen.
Zwar hat die Führung um den neuen Generalsekretär Naim Kassem jeder Familie, die ihr Haus verloren hat, sofort 12 000 Dollar in bar auszahlen lassen. Aber das Geld reicht angesichts der massiven Zerstörung bei weitem nicht aus. «Die Schäden sind so gewaltig, dass der Hizbullah sie unmöglich allein beheben kann», sagt Saleh Sabraoui, der Vizebürgermeister der Stadt Tyros. In der südlibanesischen Küstenmetropole sind ebenfalls etliche Wohnblocks dem Erdboden gleichgemacht worden.
Die Israeli sind immer noch da
Die Leute seien nun auf Hilfe vom Staat angewiesen – und damit auf die internationale Gemeinschaft, sagt Sabraoui, der hauptberuflich ein Möbelgeschäft betreibt. Doch im Vergleich zum letzten Krieg von 2006, als das Geld sofort in rauen Mengen floss, stellen die Geberländer jetzt Bedingungen. «Die Europäer und die Golfstaaten wollen den Hizbullah von der Macht entfernt sehen. Wenn das nicht geschieht, werden sie nicht bezahlen.»
Der Hizbullah ist somit erpressbar geworden. Auch deshalb reagiert er kaum auf die Luftangriffe Israels, die trotz dem Abkommen über einen Waffenstillstand anhalten. Als sich Israel Ende Januar trotz anderslautender Verpflichtung immer noch nicht aus Südlibanon zurückgezogen hatte, rief die Miliz ihre Anhänger zwar dazu auf, die feindlichen Stellungen zu überrennen. Tausende Zivilisten strömten in die besetzten Grenzdörfer. In dem Chaos töteten israelische Soldaten über 20 Zivilisten. Doch nach einem Tag war der Spuk vorbei. Die Frist für Israels Abzug wurde bis zum 18. Februar verlängert.
So stehen noch immer israelische Truppen auf libanesischem Territorium. Erst am Vortag hätten diese hier in Yaroun Häuser gesprengt, erzählen polnische Uno-Soldaten, die in den Trümmern des Grenzortes im äussersten Süden Libanons Stellung bezogen haben. Das Dorf ist zweigeteilt. Auf der einen Seite steht die libanesische Armee, auf der anderen die israelische. Hassan, ein Exil-Libanese, der extra aus Michigan gekommen ist, um nach seinem Haus zu sehen, blickt über einen Erdwall nach drüben. «Neben diesen Leuten kann man nicht leben», sagt er über die Israeli.
«Unterschwellig herrscht grosse Wut»
Aus Israel heisst es, der Abzug der Armee hänge davon ab, ob auch die Libanesen ihren Teil des Waffenstillstandsabkommens umsetzen würden. Dazu gehört, dass sich der Hizbullah aus Südlibanon hinter den Litani-Fluss zurückziehen soll, während die libanesische Armee die Kontrolle im Süden übernimmt. Aber das ist nicht einfach, denn die Miliz ist im Süden tief verwurzelt. «Die Kämpfer stammen aus den Dörfern», sagt Tleiji, der Bäcker aus Khiam. «Sie sind Söhne des Landes.»
Tatsächlich geniesst der zu Beginn der achtziger Jahre gegründete Hizbullah in Südlibanon immer noch grosse Unterstützung. Überall sind die gelben Fahnen der Truppe zu sehen. Doch angesichts der Verheerungen, die der letzte Waffengang angerichtet hat, wachsen auch unter den treuen Anhängern Zweifel. «Die Leute haben die Nase voll. Sie sind müde», sagt ein Bewohner von Maarakeh, einem Schiitendorf in den Bergen oberhalb von Tyros.
Wie überall in Südlibanon liegen auch in Maarakeh Monate nach Kriegsende Trümmerberge in den Strassen. Und wie in Tyros oder Khiam müssen auch hier viele Bewohner immer noch zur Miete wohnen, weil ihre Häuser zerstört sind. Schon während des Krieges hätten sich viele geweigert, den Hizbullah-Kämpfern Rückzugsorte zur Verfügung zu stellen, sagt der Mann, der anonym bleiben will. Inzwischen sei die Stimmung gegenüber der Miliz teilweise noch feindseliger. «Unterschwellig herrscht grosse Wut. Das wird bestimmt Konsequenzen haben.»