Die Nachfrage nach Uhren schwächelt, doch Preissenkungen sind im Luxussegment tabu. Hersteller suchen deshalb nach neuen Wegen, um die Verkäufe anzukurbeln. Für Käuferinnen und Käufer ist es ratsam, diese Mechanismen zu durchschauen.
Was die Uhrenindustrie seit 2020 erlebt hat, beschreibt Karl-Friedrich Scheufele als Achterbahnfahrt. Der Co-Präsident der Uhren- und Schmuckmarke Chopard spricht von Rekordumsätzen in den Jahren 2022 und 2023 – und von einem jähen Einbruch im Jahr darauf. Das Auf und Ab sei nichts Neues, sagt Scheufele. Entscheidend sei jedoch, «dass man auch in Hochkonjunkturphasen nicht euphorisch wird, sondern auf dem Boden bleibt».
Die Branche im Rally-Modus
Auf dem Boden geblieben ist die Uhrenbranche nicht. Damit war sie in guter Gesellschaft. Laut einer aktuellen Studie von McKinsey beruhte über 80 Prozent des Wachstums der Luxusgüterbranche – Mode, Handtaschen, Schmuck und Uhren – zwischen 2019 und 2023 auf Preiserhöhungen. Die Nachfrage wurde zusätzlich von pandemiebedingt hoher Konsumbereitschaft befeuert. So wuchs das Luxussegment schneller als die Gesamtwirtschaft.
Nicht Uhren, sondern Lederwaren und Mode verzeichneten laut McKinsey die deutlichsten Anstiege. «Einige Marken erhöhten die Preise ausgewählter Modelle um 50 bis 100 Prozent», heisst es in der Studie. Aber auch die Uhrenindustrie hat ihre Preise erhöht – allerdings mit besseren Argumenten als etwa Mode- oder Lederwarenmarken. Branchenvertreter verweisen auf höhere Materialkosten; vor allem der Goldpreis sei stark gestiegen.
Teures Gold, starker Schweizerfranken
Tatsächlich hat sich der Goldpreis seit 2019 nahezu verdoppelt. Doch das allein erklärt den Preisanstieg nicht.
Auch Edelstahluhren wurden deutlich teurer. Eine Analyse von zehn bekannten Modellen zeigt: Seit 2019 stiegen deren Preise in Franken im Durchschnitt um 20 Prozent. Die Royal Oak von Audemars Piguet beispielsweise wurde in Schweizerfranken 29 Prozent teurer, die Omega Seamaster 12 Prozent (vgl. Grafik). Der Preis für Edelstahl erhöhte sich in diesem Zeitraum um etwa 13 Prozent. Die allgemeine Teuerung in der Schweiz betrug seit 2019 gut 7 Prozent.
In Deutschland und generell ausserhalb der Schweiz sind die Uhrenpreise deutlich stärker gestiegen als in der Schweiz. In der Euro-Zone sind die Uhrenpreise bei der Stichprobe um durchschnittlich 35 Prozent, je nach Modell sogar um über 50 Prozent geklettert.
Das wiederum liegt daran, dass die Uhrenindustrie grösstenteils in der Schweiz angesiedelt ist, in einem Land, dessen Währung Jahr für Jahr stärker wird. Anfang 2019 war der Franken noch weniger wert als ein Euro (zirka 0,93 Euro), Ende 2024 waren es 1,05 Euro. Diese Aufwertung um 13 Prozent spiegelt sich auch in den Euro-Preisen der Schweizer Uhren.
Preiszerfall im Markt für gebrauchte Uhren
Laut McKinsey hat die Branche die Preise in den vergangenen Jahren so stark erhöht, dass selbst treue Uhrenliebhaber den Gegenwert mancher Modelle infrage stellen – zumal dahinter selten technische Innovationen standen. Der Wert bemisst sich zunehmend am Marketing, weniger an der Uhrmacherkunst.
Diese Entkopplung des Preises vom Produktwert, kombiniert mit der konjunkturellen Abschwächung in China, der global spürbaren Konsumzurückhaltung und fallenden Uhrenpreisen im Gebrauchtmarkt, liess die Verkäufe 2024 einbrechen. Damit verlor der Markt deutlich an Schwung – und rückt die Frage in den Fokus, wie tragfähig die Strategien der vergangenen Jahre tatsächlich sind. McKinsey sieht die Branche an einem kritischen Punkt. Mit der üblichen Zifferblatt- und Gehäusekosmetik dürfte es nicht mehr getan sein.
Preissenkungen sind tabu
Was also tun? Die Lage ist heikel. Eine simple Antwort gibt es nicht. Wer etwa die Produktion der Bestseller erhöht, gefährdet zentrale Markenversprechen: Exklusivität, Qualität und Werthaltigkeit.
Auch eine Preissenkung, so naheliegend sie zur Belebung der Nachfrage wäre, gilt als Tabubruch – mit potenziell fatalen Folgen. Das zeigte sich 2015, als Patek Philippe nach der Freigabe der Wechselkursgrenze wegen der starken Frankenaufwertung die Preise senkte.
Sammler reagierten empört. Einige hatten nur Tage zuvor 20 Prozent mehr bezahlt. «Wir waren zu der Preisharmonisierung gezwungen und wollten fair sein», erklärte Thierry Stern, der Patron von Patek Philippe. So heftige Reaktionen möchte er seinen Mitarbeitenden jedoch nicht nochmals zumuten. Und sich selber auch nicht.
Audemars Piguet führte einst ebenfalls Preissenkungen durch. Als der Goldkurs 2013 um rund 30 Prozent sank, senkte die Marke die Preise ihrer Goldmodelle. Ob es heute eine ähnliche Reaktion gibt, ist offen. Eine entsprechende Anfrage wurde nicht beantwortet. Immerhin: Die Manufaktur hat die Preise ihrer Golduhren in den vergangenen zwei Jahre nicht erhöht.
Lukrative Gold- und Platinuhren
Andernorts gehen die Preissteigerungen weiter. Rolex hat die Preise für Goldmodelle im laufenden Jahr um bis zu 7 Prozent erhöht, andere zogen nach. Offiziell verweist man auf die Entwicklung der Rohstoffpreise: Der Goldkurs legte 2024 in Schweizerfranken um fast 30 Prozent zu.
Die Begründung stimmt jedoch insofern nicht ganz, als die Edelmetalle meist 12 bis 18 Monate vor Produktionsbeginn eingekauft werden. Die 2025er Modelle werden also mit Gold gefertigt, das Anfang 2024 eingekauft wurde und damit deutlich günstiger war. Entsprechend höher fällt die Marge aus. Kein Zufall, dass Vollgoldmodelle Konjunktur haben.
Doch neben dem Materialwert spielt auch die Verarbeitung eine erhebliche Rolle. Diese ist – unabhängig vom Goldkurs – kostenintensiv. Ein Uhrengehäuse aus Gold wiege bei Chopard etwa 50 Gramm, erklärt Karl-Friedrich Scheufele: «Aber der Goldeinsatz beträgt 180 Gramm, da wir unsere Gehäuse aus einem Monoblock fräsen, dann schleifen und polieren.» Etliche Arbeitsschritte werden von Fachkräften manuell ausgeführt, obendrein ist ein teures Warenlager nötig. Die Goldreste müssen sorgfältig gesammelt und gereinigt werden, um sie wiederaufzubereiten. Ein Aufwand, der sich im Uhrenpreis widerspiegelt.
Der wahre Coup aber bleibt Platin. Seit Generationen als kostbarstes Uhrenmetall vermarktet, ist es inzwischen über 60 Prozent günstiger als Gold. Dennoch kosten Platinmodelle typischerweise 30 bis 50 Prozent mehr als ihre Pendants aus Gold. Die Verarbeitung ist zwar noch aufwendiger als bei Gold, doch das Missverhältnis beim Preis ist augenfällig.
Sparen an der Qualität
Manche Uhrenmarken nutzen die Marktschwäche für Konsolidierung und Effizienzgewinne. Andere versuchen, durch mehr Direktvertrieb die eigene Marge zu retten – meist rund 30 Prozent. Wieder andere sparen. Und das wird sichtbar. Kunden berichten von zu engen Metallarmbändern, bei denen für zusätzliche Glieder Aufpreise im dreistelligen Bereich fällig werden – bei Gold noch mehr. Entspiegelte Gläser sind plötzlich nicht mehr entspiegelt, Uhren werden statt mit Leder- mit Textilband ausgeliefert, oder sie werden nicht mehr als Chronometer zertifiziert.
Mitunter wird sogar die Grenze zur Täuschung überschritten. Ein Beispiel dafür lieferte vor kurzem ein Hersteller, der ein neues Manufakturkaliber mit sogenanntem Sekundenstopp bewarb – einem Mechanismus, der es erlaubt, eine mechanische Uhr beim Ziehen der Krone auf die Sekunde genau anzuhalten und somit präzise einzustellen.
Eher zufällig entdeckten Uhrenfans, dass der Sekundenstopp nicht funktionierte. Wie sich herausstellte, existierte die Funktion im Werk gar nicht. Die Marke hatte ihr propagiertes Manufakturkaliber mit einem zugelieferten Standardwerk der Herstellerin ETA ausgetauscht, das über den Mechanismus nicht verfügte. Leider habe man vergessen, dies zu kommunizieren, hiess es vonseiten der Marke. Auch eine Preiskorrektur nach unten – da ja nun kein teures Manufakturwerk mehr in der Uhr war – wurde «vergessen».
Appetitanreger und Goodies für Preisbewusste
Es geht auch anders. Mit einer cleveren Modellpolitik sprechen manche Marken heute gezielt eine breitere Käufergruppe an. Sie setzen etwa auf populäre Zifferblattfarben oder lancieren Modelle in kleineren Grössen. Das spart Material, liegt im Trend und hilft, vermehrt auch Frauen anzusprechen.
Parallel dazu floriert das Geschäft mit extravaganten Talking-Pieces und Komplikationen zu exorbitanten Preisen: Minutenrepetitionen, kunstvoll gearbeitete Unikate, streng limitierte Editionen. Stückzahlen unter zehn Exemplaren gelten als ideal, unter hundert als akzeptabel. Wer ein Unikat ergattert, erlebt einen «Jagdmoment», wie es der Hirnforscher Hans-Georg Häusel nennt – eine archaische Mischung aus Besitztrieb und Anerkennungssuche.
McKinsey nennt diese Kundschaft Ultra-High-Spenders: Sie geben jährlich über 70 000 Euro für Luxus aus und tragen rund 30 Prozent zum globalen Umsatz bei. Die Gruppe darunter – die High-Spenders – investieren zwischen 10 000 und 70 000 Euro jährlich und verantworten weitere 20 Prozent. Zusammengenommen generieren diese Käufer rund die Hälfte des Umsatzes, obwohl sie weniger als fünf Prozent aller Kunden ausmachen. Ihr Anteil dürfte weiter steigen.
Diese Kundschaft sorgt auch dafür, dass es den sehr teuren Marken eher besser geht als den normal teuren. Bei Richard Mille etwa, wo zahlreiche Kooperationen mit dem Automobilrennsport und Rappern für Aufmerksamkeit sorgen, floriert der Absatz – trotz den Durchschnittspreisen von etwa 250 000 Franken pro Uhr. Ähnlich bei Ferdinand Berthoud, der exklusiven Haute-Horlogerie-Schwestermarke von Chopard, deren Preise bei 150 000 Franken beginnen. Obwohl die Marke eher diskret auftritt, sind laut Scheufele alle Modelle für die nächsten zwei Jahre ausverkauft.
Verwöhnte Konsumenten
Die Konsumenten verlangen heute von den Manufakturen mehr als ein Produkt. Egal ob sie Neukunden mit schmalem Budget oder Top-Spenders sind, sie erwarten Erlebnisse, und sie wollen begeistert werden. Marken reagieren mit eigenen Boutiquen samt Kaffee- und Sofa-Lounges oder gar ganzen Gebäuden mit eigenem Restaurant, mit Bar und Dachterrasse, wo DJ live auflegen und man nur mit Voranmeldung reinkommt.
Exklusive Manufakturbesuche, Preisverleihungen oder Vernissagen mit Spitzensportlern, Musikstars und Hollywood-Grössen gehörten längst zum guten Ton. Cartier lud Top-Kunden zum Maskenball ins Schloss Belvedere in Wien ein, Omega zu den Olympischen Spielen und James-Bond-Premieren, TAG Heuer zu Porsche- und IWC zu Mercedes-AMG-Events, Rolex und Panerai zu Regatten der Top-Liga.
All das kostet. Und treibt die Uhrenpreise weiter nach oben.