Die Attacke verschärft die Spannungen im israelisch-libanesischen Grenzgebiet massiv. Israel hat bereits angekündigt, mit aller Härte zu reagieren.
Am frühen Samstagabend ist eine mutmasslich von der Hizbullah-Miliz abgefeuerte Rakete auf einem Fussballplatz in der Kleinstadt Majdal Shams auf den Golanhöhen eingeschlagen. Zwölf Kinder und Jugendliche zwischen zehn und zwanzig Jahren wurden getötet. Fotos zeigen zerfetzte Kinderleiber, auf Videos sind schreiende Angehörige zu sehen, die zum Ort des Geschehens rennen. Seit dem 7. Oktober hat kein anderer Angriff auf Israel so viele zivile Todesopfer gefordert. Die Attacke ist nicht nur für Majdal Shams eine Zäsur – sie könnte zu einem Wendepunkt für ganz Israel werden.
Herzi Halevi, Israels Generalstabschef, kam noch in der Nacht nach Majdal Shams. Er versprach eine «sehr, sehr deutliche Reaktion» auf die Attacke. Der Hizbullah dementierte derweil jegliche Verantwortung. Zwei Stunden nach dem Einschlag teilte die Schiitenmiliz mit, dass eine israelische Abfangrakete auf dem Fussballplatz eingeschlagen sei, nicht eine ihrer Raketen.
Laut der israelischen Armee zeigen forensische Beweise eindeutig, dass es sich um eine Falaq-1-Rakete iranischer Herkunft handelt. Über solche Raketen verfüge nur der Hizbullah. Laut Israel wurde das Geschoss nördlich des südlibanesischen Dorfes Chebaa abgefeuert. Bisher lassen sich die Angaben nicht unabhängig überprüfen, doch es deutet viel darauf hin, dass der Hizbullah für den Tod der Kinder in Majdal Shams verantwortlich ist.
Einen Tag nach dem Hamas-Massaker hatte die libanesische Schiitenmiliz begonnen, den Norden Israels mit Drohnen und Raketen zu beschiessen. Israel reagierte mit Luftangriffen und gezielten Tötungen von hochrangigen Kommandanten der Iran-hörigen Miliz. Obwohl beide Seiten ihre Angriffe stetig intensivierten, versuchten bisher weder Israel noch der Hizbullah den Grenzkrieg eskalieren zu lassen. Damit könnte nun Schluss sein.
Viele israelische Politiker, darunter auch Aussenminister Israel Katz, verlautbarten, das Mass sei voll und Israel müsse mit voller Kraft gegen den Hizbullah vorgehen. Das Blutbad von Majdal Shams könnte der Funken sein, der den grossen Krieg in Israels Norden entflammt. Ein Waffengang mit der hochgerüsteten Schiiten-Miliz würde nicht nur auf beiden Seiten der Grenze zu einer hohen Zahl an Opfern führen – er hätte auch das Potenzial, den gesamten Nahen Osten zu entflammen.
«Der Hizbullah wird einen hohen Preis bezahlen»
Die Stadt Majdal Shams liegt am Fusse des Hermon, des höchsten Bergs in den Golanhöhen, die Israel seit 1967 besetzt und 1981 annektiert hat. Die 11 000 Einwohner sind nahezu ausschliesslich Drusen. Die meisten Angehörigen dieser arabischen Minderheit sind gut integriert und äussert loyal gegenüber dem israelischen Staat. Das gilt allerdings nicht unbedingt für die Drusen des Golan. Hier weigern sich bis heute viele, die israelische Staatsbürgerschaft anzunehmen, weil sie sich als Syrer verstehen und zu Präsident Bashar al-Asad halten.
Die Drusen, die rund 1,6 Prozent der israelischen Bevölkerung ausmachen, forderten nach dem Angriff besseren Schutz von der israelischen Regierung. «Ein ordentlicher Staat kann nicht zulassen, dass seinen Bürgern und Einwohnern ständig Schaden zugefügt wird», teilte Scheich Muwafak Tarif, das geistliche Oberhaupt der Drusen, am späten Samstagabend mit.
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu, der sich zum Zeitpunkt des Angriffes noch in den USA befand, telefonierte noch in der Nacht mit Muwafak Tarif und versprach dem Drusenführer, dass der Hizbullah einen hohen Preis für den Angriff bezahlen werde. Wegen des Angriffes reist Netanyahu früher als geplant nach Israel zurück. Er wird gegen Sonntagmittag in Israel erwartet. Sein Büro teilte mit, dass er nach seiner Rückkehr sofort das Sicherheitskabinett einberufen werde.
Kommt der grosse Krieg?
Es scheint ausgemacht, dass die israelische Armee ihr Vorgehen gegen den Hizbullah nun deutlich intensivieren wird. Der Sicherheitsexperte Eitan Shamir geht jedoch nicht davon aus, dass Israel momentan einen grossen Krieg gegen den Hizbullah führen will. «Die Armee muss für einen Krieg genug Munition und Personal haben, das im Norden stationiert ist. Und dazu braucht Israel auch noch die Unterstützung der USA – ohne geht es nicht», sagt der Leiter des israelischen Begin-Sadat-Zentrums für strategische Studien im Gespräch.
In der Vergangenheit haben die USA immer wieder versucht, eine Eskalation an der libanesisch-israelischen Grenze zu vermeiden. Washingtons versucht, die Spannungen durch ein diplomatisches Abkommen zu beenden. Trotz dem tragischen Angriff von Samstag wird sich an dem grundlegenden Interesse der USA nichts geändert haben.
Laut Eitan Shamir ist unklar, ob Israel momentan über ausreichend Munition und genügend einsatzbereite Soldaten im Norden verfügt, während immer noch knapp die Hälfte der israelischen Divisionen im Gazastreifen im Einsatz ist. «Israel wird deswegen versuchen, strategische Waffenlager und führende Kommandanten des Hizbullah ins Visier zu nehmen,» sagt Shamir. «Voraussichtlich wird der Angriff an einem symbolischen Ort erfolgen». Dahiya, ein schiitischer Vorort der libanesischen Hauptstadt Beirut und eine Hochburg des Hizbullah, sei ein wahrscheinliches Ziel.
Wie der Hizbullah auf einen solchen Angriff reagieren würde ist eine andere Frage. Selbst wenn beide Seiten momentan keinen Krieg wollen, wächst die Gefahr weiter, dass sie in eine grosse Konfrontation schlafwandeln.







