Beim Blättern in diesen Büchern kann man sich getrost ein wenig verlieren: sei es an der New Yorker Fifth Avenue, im Berlin von Helmut Newton oder auf dem Laufsteg von Simone Rocha.
Manchmal vergisst man, dass Simone Rocha erst 201o ihre Debütkollektion zeigte, so etabliert ist die irische Modedesignerin mittlerweile. Die Tochter des Designers John Rocha fand schnell ihre eigene Ästhetik: üppige Volumen und viele Schichten, zuckersüsse Details und manchmal harte Kontraste, alles im modischen Spielraum zwischen Weiblichkeit und Mädchenhaftem. Deswegen – und dank berühmten Trägerinnen wie Chloë Sevigny und einer gehypten H&M-Kooperation – ist sie heute eine der grössten Namen der britischen Modeszene.
Was macht Simone Rochas Mode aus? Woher nimmt sie ihre Inspiration, und warum verbindet die Modelegende Lynn Jaeger Rochas Kleidung mit Protest? Mittels Collagen, Catwalk-Fotos, Interviews mit Chloë Sevigny oder den Gohar-Schwestern und kurzen Essays erforscht die im Oktober erschienene Monografie «Simone Rocha» genau das. Mit seinem rosa Umschlag passt das Buch etwa so in eine Bibliothek wie ein Kleid von Rocha in die Garderobe: Es sticht heraus, auf die beste Art.
Buch-Tipp von Jana Schibli
«Simone Rocha»
Erschienen im Rizzoli-Verlag auf Englisch, 105 Franken, etwa über Orell Füssli.
Helmut Newton (1920–2004) floh zwar Ende der 1930er Jahre aus Berlin, kehrte aber immer wieder heim. Hier entstanden neben zahlreichen Porträt- und Aktfotografien auch Modegeschichten. Als 1979 die deutsche «Vogue» erstmals erschien, lieferte Newton eine Bildserie aus der Stadt mit dem Fokus Mode. Entstanden ist dann mehr ein fotografischer Essay als eine typische Modestrecke – und das macht wohl das Visionäre seiner Fotografie aus. Wo andere auf die Mode an einem Model fokussierten, investierte Newton alle Aufmerksamkeit in die Charaktere, die Umgebung, die Perspektiven. Mode wurde so zur Requisite umfunktioniert, um Spannung zu erzeugen und eine Geschichte zu erzählen.
Newton, der bei der berühmten Berliner Modefotografin Yva als 16-Jähriger seine Ausbildung begann, fokussiert auf starke Frauen mit Chuzpe und ausserordentlicher Präsenz. Gerade die Berlinerinnen waren, wie man dort so schön sagt, ganz nach seiner Façon. Offen, witzig, unverkrampft – keine niedlichen Huschelis oder Kulleraugendamen, sondern aufgeweckte Charaktere, die mehr laut als leise waren. Nicht selten geht von ihnen eine erotische Kraft aus, die nichts mit weiblicher Unterwürfigkeit zu tun hat. Das macht das provokante seiner Arbeit aus.
Durch den neu erschienenen Bildband «Berlin, Berlin» zu blättern, ist eine modische und städtische Entdeckungsreise. Sie macht wehmütig, denn die authentische (Berliner) Lebendigkeit, Rauheit, Unmittelbarkeit und Unerschrockenheit findet sich heute nur noch selten.
Buch-Tipp von Ulrike Hug
«Helmut Newton: Berlin, Berlin»
Die beim Taschen-Verlag erschienene Publikation mit Texten von Matthias Harder ist für etwa 69 Franken erhältlich, zum Beispiel über Orell Füssli.
Zu oft geht es beim Diskurs um Make-up schlicht um den neuesten Blush-Trend oder die widerstandsfähigste Mascara. «Warum tragen wir Masken?», fragt sich hingegen die aktuelle Multimedia-Ausstellung im Modemuseum Antwerpen. Bei der Beantwortung der Frage beziehen sich die Kuratorinnen auf die Kunst von James Ensor, einem 1860 geborenen belgischen Maler, der die glamourösen und gleichwohl grässlichen Fratzen der Bourgeoisie porträtierte.
Dazu gesellen sich die Puppengesichter von Pat McGrath und die bemalten Antlitze der jahrelangen Margiela-Kollaborateurin Inge Grognard, Selbstporträts von Issy Wood und Collagen von Tschabalala Self. Sie blicken auch von den Seiten des bildhübschen Buchs zur Ausstellung, in dem die Bilder mit Interviews und Texten ergänzt werden und man damit bis tief unter die Hautoberfläche dringt. Es ist Make-up, das Schönheitsideale mal herausfordert, sie mal lächerlich aussehen und mal links liegen lässt. Wie es die Künstlerin Genieve Figgis im Buch sagt: «The breaking down of perfection can be beautiful».
Buch-Tipp von Jana Schibli
«Masquerade, Make-up & Ensor»
Erschienen im Lannoo-Verlag auf Englisch, erhältlich für Fr. 96.60, etwa über Orell Füssli.
Es gibt Strassen, die wie Laufstege sind. In ihnen spiegelt sich der modische und gesellschaftliche Zeitgeist auf unmittelbare Art und Weise. Die Fifth Avenue in New York ist eine dieser ikonischen Strassen, die die halbe oder ganze Welt kennt. Sie ist Kulisse und Passantensteig in einem, eingerahmt von schicken Boutiquen, die horrende Mieten zahlen, und bevölkert von Menschen, die hier ihre Freizeit verbringen oder in einem der Geschäfte, Unternehmen, Hotels oder Restaurants arbeiten.
Die über zehn Kilometer lange Strasse in New York führt vom Washington Square Park bis nach Harlem, wo sie an der 152. Strasse endet. Hier wurden Filme wie «Breakfast at Tiffany’s» gedreht, der Streetstyle-Fotograf Bill Cunningham radelte die Strasse entlang, um nach gut oder interessant gekleideten Passanten Ausschau zu halten, und Paparazzi traten sich vor den angesagten Hotels und Restaurants die Beine in den Bauch, um bekannte Persönlichkeiten ungefragt abzulichten.
Vielleicht gleicht die Fifth Avenue deshalb einem Laufsteg, weil die Passanten längst verinnerlicht haben, dass diese Strasse auch Bühne ist, und dementsprechend auftreten.
Buch-Tipp von Ulrike Hug
«Fifth Avenue – 200 years of Stories and Legends»
Die Publikation ist bei Assouline erschienen und kostet 135 Franken.
Es gibt nicht viele Menschen, die eine grössere Vorliebe für Kleider mit Blumenprint haben als Anna Wintour. Der amerikanische Fotograf Eric Madigan Heck könnte einer davon sein. Zumindest ist das der Eindruck, den man von seinem neuesten Bildband erhält. Mode ist darin purer Eskapismus: Üppige Kleider – seien sie von Erdem oder Molly Goddard – wirken mit ihren leuchtenden Stoffen wie Ölfarben auf einer Leinwand. Ihre Blüten erwachen zum Leben.
Die Fotografien und Bilder stammen aus der letzten Schaffensdekade von Madigan Heck. Zusammengestellt, neu bearbeitet und abstrahiert hat er sie während der letzten zwei Jahre. Er beschreibt sich als «Maler, der Fotografie nutzt», und diese Idee wird in den Seiten von «The Tapestry» klarer denn je. Seine Arbeiten sind verträumt und weitläufig, übernatürlich, aber nie weit weg von der Natur. Ein Buch wie ein Portal, in dem man sich verlieren kann.
Buch-Tipp von Jana Schibli
«The Tapestry» von Eric Madigan Heck
Erschienen im Verlag Thames & Hudson auf Englisch, erhältlich für 127 Franken, etwa bei Buch am Platz.