Die wenig beachtete Rolle der Vereinigten Arabischen Emirate auf dem Kontinent zeigt, wie sich das geopolitische Gefüge verschoben hat. Und welche Herausforderungen daraus für den Westen entstehen.
Derzeit findet ein Buhlen um Afrika statt – um seine Ressourcen und geopolitischen Neigungen. So zumindest schien es in den vergangenen Jahren. China hat Milliarden von Dollar in Strassen und Eisenbahnen auf dem Kontinent investiert. Russland schickt Waffen und Kämpfer in fragile Staaten. Amerikanische Diplomaten touren so fleissig durch Afrika wie lange nicht. Ihre europäischen Kollegen ebenso, sie wünschen sich weniger irreguläre Migranten und mehr afrikanisches Erdgas als Ersatz für russisches.
Was in Diskussionen um die Rangeleien in Afrika meist untergeht: Einige der einflussreichsten Akteure sind keine Grossmächte. Es sind ehrgeizige Mittelmächte, die nach dem Ende der unipolaren amerikanischen Weltordnung neuen Spielraum vorfinden. Die Türkei zum Beispiel, Saudiarabien oder Indien.
Die vielleicht mächtigste Mittelmacht in diesem Gerangel ist ein Kleinstaat mit zehn Millionen Einwohnern, von denen neun Millionen Arbeitsmigranten sind: Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) – reich geworden mit Erdöl, dank der Glitzermetropole Dubai ein globales Finanzdrehkreuz, derart aufgerüstet, dass Militärexperten das Land «Little Sparta» nennen.
Die VAE investieren in Afrika viele Milliarden Dollar. Sie vermitteln in manchen regionalen Konflikten, sie schüren andere. Manchmal tun sie beides gleichzeitig. Sie sind weitaus wichtiger, als ihre Grösse vermuten liesse.
Und sie zeigen eine zentrale Herausforderung für den Westen: Die Weltordnung ist keine unipolare mehr. China und Russland sind gefährlicher geworden. Doch neben den beiden grossen Rivalen sind Mittelmächte unberechenbar geworden. Selbst wenn sie traditionelle Verbündete des Westens sind wie die VAE.
Wie damit umgehen? Es ist eine der grossen Herausforderungen in den nächsten Jahrzehnten.
Milliarden von Dollar für Häfen in Afrika
Die Emirate haben sich in den letzten eineinhalb Jahrzehnten zu einer Regionalmacht entwickelt, die immer weiter über die Arabische Halbinsel ausgreift. Die aktive Aussenpolitik war anfänglich stark von politischen Ängsten getrieben: Nach Beginn des Arabischen Frühlings 2011 fürchtete die Führung, dass in der arabischen Welt – und in den Emiraten – Demokraten oder Islamisten allzu mächtig würden. Die Emirate halfen unter anderem mit, die Demokratisierung in Ägypten zu stoppen, indem sie den Staatsstreich des damaligen Verteidigungsministers Abdelfatah al-Sisi mit orchestrierten.
Auch Subsahara-Afrika war aufgrund der geografischen Nähe ein frühes Ziel emiratischer Ambitionen. Vor allem das Horn von Afrika, gegenüber der Arabischen Halbinsel gelegen und mit einer langen Küstenlinie am für den globalen Güterverkehr enorm wichtigen Roten Meer. Die Emirate steckten Milliarden von Dollar in die Modernisierung und Erweiterung von Häfen in der Region. Sie errichteten eine Militärbasis in Eritrea und planten eine weitere in der abtrünnigen somalischen Region Somaliland.
Doch der Einfluss der Emirate geht längst über das Horn von Afrika hinaus. Sie sind auf dem afrikanischen Kontinent im vergangenen Jahrzehnt zum viertgrössten Investor aufgestiegen – nach China, den EU-Staaten und den USA. Sie investierten auch im südlichen und im westlichen Afrika in Häfen. Sie exportieren Bauxit aus Guinea und haben in verschiedenen Ländern riesige Landwirtschaftsflächen gekauft, um die Versorgung der auf Lebensmittelimporte angewiesenen Emirate sicherzustellen.
Ein destabilisierender Faktor
Afrikanische Länder können Investitionen gut gebrauchen. Afrikanische Länder könnten auch lernen von den Emiraten. Zum Beispiel, wie man Rohstoffreichtum dazu verwendet, einen effizient funktionierenden Staat aufzubauen: In den meisten rohstoffreichen afrikanischen Ländern haben Erdöl oder Gold nur eine schmale Elite reich gemacht.
Die Emirate haben sich auch politische Verdienste erworben. Sie vermittelten zum Beispiel 2018 einen Frieden zwischen Äthiopien und Eritrea, zwei Ländern, die sich zwei Jahrzehnte zuvor einen verheerenden Grenzkrieg geliefert hatten und sich seither belauerten.
Und doch sind die Emirate ein destabilisierender Faktor in Afrika. Ihr geopolitischer Ehrgeiz hat auch einige der brutalsten Konflikte auf dem Kontinent befeuert. Manchmal mit Methoden, die jenen Russlands ähneln.
Das beste Beispiel ist eine der grössten humanitären Krisen der Welt. Seit bald einem Jahr findet im Sudan, Afrikas drittgrösstem Land, ein Krieg statt, der wenig Beachtung findet. Die Armee des Landes kämpft mit den Rapid Support Forces (RSF), einer reichen und mächtigen Miliz, die ihren Ursprung im Genozid von Darfur Anfang der nuller Jahre hat. Die Kriegsparteien haben die Hauptstadt Khartum zerstört, Tausende Personen getötet. Über zehn Millionen Menschen sind vertrieben – mehr als in jedem anderen Land.
Im September 2023 berichtete die «New York Times» über eine verdeckte Aktion, mit der die Emirate den RSF im Sudan Drohnen und Waffen lieferten und verletzte RSF-Kämpfer evakuierten, um manche von ihnen in den Emiraten behandeln zu lassen. Die Aktion wurde von einem Flugfeld im Nachbarland Tschad aus koordiniert, wo emiratische Frachtflugzeuge fast täglich landeten. Die Regierung bestritt die Darstellung und sagte, es handle sich um humanitäre Hilfe für einen Teil der Hunderttausende von Sudanesinnen und Sudanesen, die in den Tschad geflohen sind. Aber Rechercheure der Uno beschrieben dieselben Vorgänge.
Waffen für den Warlord
Der Sudan-Krieg ist nicht das erste Mal, dass die Emirate in einen afrikanischen Konflikt eingreifen. In Libyen stellten sie sich auf die Seite des Warlords Khalifa Haftar, der die Regierung in Tripolis bekämpft. Sie belieferten auch ihn mit Waffen, unter Umgehung eines 2011 vom Uno-Sicherheitsrat verhängten Embargos. Sie handelten dabei im Tandem mit Russland, einem zweiten engen Verbündeten Haftars.
In Äthiopien unterstützten die VAE eine Regierung, die Krieg führte gegen die abtrünnige Region Tigray im Norden des Landes. Hunderttausende Menschen starben in der Region zwischen 2020 und 2022, viele von ihnen an Hunger. Die Emirate lieferten auch hier Drohnen und Waffen und halfen so, einen Krieg zu wenden, den die Zentralregierung von Ministerpräsident Abiy Ahmed zu verlieren drohte.
Was ist die Logik dieser Kriegshilfen? Manche Experten glauben, sie sei stark von geopolitischen Rivalitäten getrieben; gerade solchen mit anderen arabischen Ländern, die sich in den letzten Jahren akzentuiert haben. So unterstützt Ägypten im Sudan zum Beispiel die regulären Streitkräfte, die Gegenseite der RSF.
Doch letztlich ist die interessante Frage nicht, woher der Geltungsdrang der VAE kommt. Sondern was er über das globale geopolitische Gefüge aussagt. Denn man kann dabei einiges über die neue Rolle von Mittelmächten lernen. Viele von ihnen – die Türkei, zum Beispiel, oder Südafrika – wählen ihre Allianzen freizügig und fallweise. Sie verbünden sich mal mit dem einen, mal mit dem anderen Lager. Das macht sie unberechenbar. Die «Financial Times» hat es eine «À-la-carte-Welt» genannt.
Die Emirate sind neben Saudiarabien traditionell der wichtigste militärische Partner der USA in der arabischen Welt. Sie haben sich an den meisten amerikanischen Militäreinsätzen der letzten Jahrzehnte beteiligt. 5000 amerikanische Militärangehörige sind in den Emiraten stationiert.
Gleichzeitig haben sich die Emirate emanzipiert. Nach Beginn des Ukraine-Kriegs enthielten sie sich bei der Abstimmung über eine amerikanische Resolution, die den russischen Angriff verurteilte. Sie sehen sich als Vermittler zwischen dem Westen und Russland. Anfang Jahr sind sie dem Brics-Staatenbündnis beigetreten, zu dem Russland und China gehören.
«Jedes Land will wichtig sein»
Die neue Unabhängigkeit der Emirate und anderer Mittelmächte hat Folgen. Der Westen muss Russland und China eindämmen und gleichzeitig ein Auge auf die Emporkömmlinge haben. Denn diese können genauso destabilisierend wirken.
Für den Umgang mit den ehrgeizigen Mittelmächten gibt es nicht viele Optionen. Der Westen ist nicht so stark, wie er es einst war. Er muss sich arrangieren. Das heisst, Möglichkeiten zur Zusammenarbeit mit regionalen Mittelmächten suchen. Im Sudan hiesse das versuchen, die Emirate in Friedensbemühungen einzuspannen. Denn was sie suchen, ist nicht zuletzt internationale Geltung. «Jedes Land will wichtig sein, will einen Platz am Tisch haben. Wir wollen mit allen Brücken bauen», sagte ein Berater der emiratischen Regierung der «Financial Times».
Es gibt tatsächlich so etwas wie einen Wettlauf in Afrika. Aber er ist unberechenbarer, als man meinen könnte. Es machen schlicht mehr Akteure mit als früher. Und es wird oft vergessen, dass auch Afrikaner die neue Weltordnung durchschaut haben. Länder wie Südafrika, die ähnlich navigieren wie die Emirate, scheuen sich nicht davor, sich zum eigenen Vorteil mal auf Russlands Seite zu stellen, mal auf die der USA.
Die neuen Mittelmächte werden einflussreicher. Sie sind unbequeme Partner. Aber unentbehrliche.