Nationalbankpräsident Jordan hat die Inflation erfolgreich gebändigt. Beim Niedergang der Credit Suisse steht er aber in der Kritik. Der PUK-Bericht wird über sein Erbe entscheiden.
Auf einen Schlag wurde Thomas Jordan zum Bösewicht. Der «Blick» betitelte ihn als «Job-Killer der Nation». Eine Fotomontage zeigte den Nationalbankpräsidenten als Monster Godzilla, das eine ganze Stadt verwüstet. Die Gewerkschaftszeitung «Work» bildete ihn vor einer brennenden Fabrikhalle ab und schrieb dazu: «Jordan, der Zerstörer».
Der Auslöser war der Franken-Schock vom 15. Januar 2015. Überraschend hob die Nationalbank den jahrelang verteidigten Mindestkurs zum Euro auf. Während der Frankenkurs durch die Decke ging, stürzte die Schweizer Börse um sagenhafte 14 Prozent ab. Selbst die Wirtschaftselite ging auf Distanz zu Jordan. Der Schritt sei «zum aktuellen Zeitpunkt nicht nachvollziehbar», so kritisierte der Firmenverband Economiesuisse.
Neun Jahre später hat sich das Blatt gewendet: In den ersten Reaktionen nach Bekanntgabe seines Rücktritts wird er als «erfolgreichster Notenbanker der Welt» bezeichnet. Wie hat der SNB-Präsident diese Wandlung vom Buhmann zum gefeierten Star geschafft?
Ein wichtiger Faktor ist die Bändigung der Inflation: Während die Bevölkerung in den meisten Ländern massiv an Kaufkraft verlor, blieb die Schweiz weitgehend von der Teuerung verschont. Vom April 2012, als Thomas Jordan sein Amt antrat, bis heute stiegen die Konsumentenpreise in der Schweiz um gerade einmal 5 Prozent. In Deutschland summierte sich die Inflation auf 30 Prozent.
Aufgeblähte Bilanz als Erbe der Ära Jordan
Nach dem Franken-Schock wurde Jordan für seine «Rückkehr in die geldpolitische Steinzeit» («Blick») angefeindet. Derweil befeuerte der europäische Amtskollege Mario Draghi mit seinem «Whatever it takes» die Vorstellung, die Notenbanken könnten mit ihren Superkräften alle wirtschaftlichen Probleme aus der Welt schaffen.
Doch rückblickend war die Abnabelung vom Euro die richtige Entscheidung – auch wenn sie damals die Exportwirtschaft und den Tourismus in eine Existenzkrise stürzte. Der Leistungsausweis von Thomas Jordan spreche für sich, sagt dessen Vorgänger Philipp Hildebrand, der heute Vizepräsident beim Vermögensverwalter Blackrock ist: «Bei der Preisstabilität steht die Schweiz weltweit an der Spitze. Ebenso hat unsere Wirtschaft die Rezession nach der Finanzkrise und der Covid-Pandemie besser überstanden als die meisten anderen Länder.»
Für die Krisenbewältigung musste Jordan mehrfach geldpolitische Tabus brechen. Um den Franken zu schwächen, führte er die unbeliebten Negativzinsen ein. Ebenso kaufte er für Hunderte Milliarden ausländische Devisen und blähte damit die Bilanz der Nationalbank auf – was im vorletzten Jahr zu einem riesigen Verlust von 132 Milliarden Franken führte.
Bei dem Balanceakt kam es Jordan entgegen, dass er im Kern ein Technokrat ist. Dies wurde auch an der Pressekonferenz vom Freitag deutlich, als er seinen Rücktritt bekanntgab: Der 61-Jährige sprach ausführlich vom geldpolitischen Konzept, das er nach seinem Eintritt in die Schweizerische Nationalbank (SNB) 1997 mitentwickelt habe und welches bis heute die Basis aller Entscheidungen bilde.
Hildebrand lobt seinen Nachfolger
Diese Prinzipienreiterei trug ihm zwar den Ruf eines «Langweilers» oder «Pedanten» ein. Doch genau diese Geradlinigkeit war das richtige Rezept in den turbulenten Zeiten. «Positiv hervorheben möchte ich die Seriosität und vor allem auch die Integrität seiner Person», betont Hildebrand. «Diese Eigenschaften haben wesentlich zur Glaubwürdigkeit der Nationalbank als Institution beigetragen.» Hildebrand hatte die SNB wegen Vorwürfen des Insiderhandels abrupt verlassen – das Verfahren wurde später eingestellt.
Jordan musste sich nicht nur um die Inflation und den Franken kümmern. Ebenso kämpfte er zweimal gegen den Kollaps einer Grossbank. Erstmals 2008 bei der UBS-Rettung, damals noch als Mitglied des dreiköpfigen SNB-Direktoriums. «Dass diese Aktion so erfolgreich verlief und die Eidgenossenschaft damit sogar einen Gewinn erzielte, ist zu einem grossen Teil sein Verdienst», sagt Philipp Hildebrand.
Weniger erfolgreich agierte Jordan in der CS-Krise. Manche spekulieren gar, er wolle sich rechtzeitig vor der Publikation des Berichts der parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) Ende Jahr in Sicherheit bringen. Stimmen aus dem Finanzplatz werfen ihm zudem vor, der Abgang zum jetzigen Zeitpunkt sei unglücklich. Denn auch die Finanzmarktaufsicht (Finma) steht mitten in einem Führungswechsel. Das Vakuum an der Spitze der beiden Behörden schwäche den Finanzplatz.
SNB schlug nicht Alarm bei der CS
Tatsächlich weckt Jordans Rolle beim Niedergang der CS Zweifel. Er stellte sich stets auf den Standpunkt, die Aufsicht über die Banken sei Sache der Finma. Damit machte es sich Jordan allerdings zu einfach. Immerhin wacht seine Behörde über die Stabilität des Finanzsystems, alljährlich erstattet sie dazu einen Bericht.
Im Sommer 2022 hielt sie zwar fest, dass die CS gegenüber der UBS ins Hintertreffen gerate. Dank dickeren Kapitalpuffern seien die Schweizer Grossbanken aber gut aufgestellt, um das schwierige Umfeld zu meistern, so beschwichtigte die SNB. Neun Monate später war die CS am Ende.
Angekreidet wird Jordan ebenso, dass er nicht früher eine bessere Liquiditätssicherung einforderte. Dass in Bankenkrisen der Abfluss der Mittel das grösste Risiko darstellt, davor warnt die Fachwelt seit Jahren. Führende Finanzplätze haben deshalb eine staatliche Liquiditätssicherung eingeführt, Public Liquidity Backstop (PLB) genannt.
Versicherung fehlte, als das Haus brannte
In der Schweiz fehlte dieses Instrument, als die CS in Flammen stand. Deshalb brauchte es im März 2023 den Griff zu Notrecht. Jordan soll sich ein halbes Jahr zuvor der beschleunigten Einführung des PLB widersetzt haben, sagen hochrangige Banker. Man sei im Prinzip immer für den PLB gewesen, so argumentieren dagegen SNB-Vertreter. Eine überstürzte Einführung hätte die Vertrauenskrise der CS sogar beschleunigt statt gestoppt.
Doch warum hat Jordan nicht Druck gemacht, als noch Zeit war? Hat er die Konfrontation mit Finanzminister Ueli Maurer gescheut, der das Geschäft über Jahre hinweg verschleppte? Die Episode hängt als Schatten über der Karriere von Thomas Jordan. Klar ist aber auch: Eine staatliche Liquiditätssicherung hätte das Ende der CS nicht verhindert.
Jordans Abgang wird die Debatte über Reformen bei der SNB befeuern – ein grösseres Direktorium, neue Pflichten beim Klimaschutz, mehr Transparenz über die Entscheidungen, stärkere Kontrollen durch den Bankrat, so lauten die Stichworte.
Philipp Hildebrand warnt jedoch davor, die Notenbank mit neuen Aufgaben zu überfordern. Für eine erfolgreiche Zukunft der Schweiz sei es wichtig, die Unabhängigkeit der Nationalbank zu bewahren. «Dass der Schweizerfranken weltweit als Hort der Stabilität wahrgenommen wird, bedeutet einen unschätzbaren Wettbewerbsvorteil für unsere Wirtschaft», sagt er. Die Schweiz sollte diese Stärke nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.