Seit siebzig Jahren schwelt der Konflikt zwischen China und Taiwan. In den vergangenen Monaten hat sich die Lage jedoch zugespitzt. Kommt es zum Krieg? Und was sind die Hintergründe?
Die neusten Entwicklungen:
- China will in diesem Jahr 7,2 Prozent mehr als im Vorjahr für sein Militär ausgeben. Der Anstieg des Verteidigungsetats auf 1,67 Billionen Yuan (etwa 206 Milliarden Franken) ging aus dem Haushaltsentwurf hervor, der am Dienstag (5. 3.) zum Auftakt des Pekinger Volkskongresses vorgelegt wurde. Bereits im Vorjahr hatte Peking sein Militärbudget in der gleichen Grössenordnung angehoben. Die Entscheidung, den Etat zu erhöhen, dürfte auch mit dem angespannten Verhältnis zu Taiwan zu tun haben. Die Volksrepublik unterhält gemessen an den geschätzt zwei Millionen aktiven Soldaten die grösste Armee der Welt.
- Die Regierung Taiwans hat laut eigenen Angaben mehrere chinesische Überwachungs- und Küstenwachschiffe um seine Inselgruppe Kinmen entdeckt. Ein Schiff sei dort am Montag in gesperrte und vier Schiffe der Küstenwache in eingeschränkt zugängliche Gewässer eingedrungen, sagte die Ministerin des Rates für Ozean-Angelegenheiten, Kuan Bi-ling, am Dienstag (27. 2.) in Taipeh. «Allerdings blieben sie dort nicht lange. Die Küstenwache antwortete angemessen und nutzte den Funk, um die chinesischen Schiffe aufzufordern, sich zu entfernen», sagte sie. Taiwans Verteidigungsminister Chiu Kuo-cheng sagte, die taiwanische Küstenwache habe die Lage überwacht, und solange die Situation keine Bedrohung für die Bodentruppen darstelle, habe das Ministerium nichts weiter dazu zu sagen.
- Der Tod zweier chinesischer Fischer in der Meerenge zwischen China und Taiwan hat die Beziehung beider Staaten weiter verschlechtert. Taiwans Ministerpräsident Chen Chien-jen appellierte am Dienstag (20. 2.) an beide Seiten, Fischerboote am illegalen Eindringen in geschützte Gewässer zu hindern. Auslöser des Streits zwischen Peking und Taipeh war das Kentern eines chinesischen Fischerbootes nahe der taiwanischen Insel Kinmen am vergangenen Mittwoch, bei dem zwei Seeleute starben. Laut Angaben aus Taiwan wollte sich die Bootsbesatzung einer Kontrolle der Küstenwache entziehen, ihr Boot sei bei der anschliessenden Verfolgung gekentert. Zwei Seeleute konnten gerettet werden. Das chinesische Büro für Taiwan-Angelegenheiten sprach nach dem Kentern des Boots von einem «bösartigen Vorfall» und forderte Aufklärung. Nach dem Unfall verstärkte China die Präsenz seiner Küstenwache in der Region.
- Offiziere der chinesischen Küstenwache haben ein Touristenboot in der Nähe von Inseln unter taiwanischer Kontrolle geentert. Dies teilte ein taiwanischer Minister am Dienstag (20. 2.) mit. Unter den elf Besatzungsmitgliedern und 23 Touristen sei Panik ausgebrochen, berichtete Kuan Bi-ling vom taiwanischen Rat für Meeresangelegenheiten. China habe damit die Gefühle der Menschen in Taiwan verletzt.
- Taiwan hat bei der Präsidentenwahl vom Samstag (13. 1.) erneut eine Regierung gewählt, die China gegenüber kritisch eingestellt ist. Lai Ching-te von der bisher regierenden Demokratisch-Progressiven Partei ist neuer Präsident Taiwans. Auf Lai Ching-te fielen 40 Prozent der Stimmen. Hou Yu-ih von der chinafreundlichen Kuomintang erhielt 33 Prozent. Peking reagierte mit scharfer Kritik: Es gebe nur ein China auf der Welt und Taiwan sei ein Teil Chinas. Zum Bericht
Der Taiwan-Konflikt im Detail
Der Konflikt zwischen der Volksrepublik China und der Inselrepublik Taiwan schwelt seit mehr als siebzig Jahren. Während der Amtszeit der Präsidentin Tsai Ing-wen zwischen 2016 und 2024 hatten sich Taiwans Beziehungen zu China verschlechtert. Im Januar 2024 wurde Lai Ching-te zum neuen Präsidenten gewählt, ebenfalls von der Demokratisch-Progressiven Partei. Die Partei ist China gegenüber kritisch eingestellt.
Seit 2021 sendet China immer öfter Militärflugzeuge in den taiwanischen Luftraum. Im August 2022 besuchte Nancy Pelosi Taiwan, damals Sprecherin des amerikanischen Repräsentantenhauses. Die Regierung in Peking nannte den Besuch «brandgefährlich» und reagierte mit einer Reihe Militärübungen. China feuerte auch ballistische Raketen ab, die zum Teil in das Staatsgebiet Taiwans eindrangen.
Die kommunistische Führung in Peking betrachtet Taiwan als Teil ihres Territoriums, obwohl sie den Inselstaat nie kontrolliert hat. Peking strebt eine «Wiedervereinigung» Taiwans mit dem Festland an – wenn nötig mit gewaltsamen Mitteln. China demonstriert mit gezielten Provokationen seinen Machtanspruch auf die «abtrünnige Provinz».
Taiwan, offiziell Republik China genannt, verwaltet sich seit 1949 selbst. Nach Jahrzehnten der Militärherrschaft hat sich Taiwan seit Anfang der 1990er Jahre zu einer Demokratie entwickelt. Die Mehrheit der Bevölkerung Taiwans versteht sich als Taiwaner und nicht als Chinesen und lehnt eine Vereinigung mit dem Festland ab.
Nach Japans Kapitulation im Zweiten Weltkrieg fällt die Insel Taiwan 1945 an die Republik China. Kurz darauf flammt der chinesische Bürgerkrieg wieder auf zwischen der Kuomintang (KMT) von Chiang Kai-schek und Mao Zedongs Kommunisten.
Die kommunistische Volksbefreiungsarmee erobert das gesamte chinesische Festland. Chiang zieht sich mit rund zwei Millionen Gefolgsleuten auf Taiwan zurück. Die 180 Kilometer breite Strasse von Taiwan schützt ihn vor der Eroberung der Insel durch die Kommunisten.
Am 1. Oktober 1949 ruft Mao auf dem Festland die Volksrepublik China aus. Damit beanspruchen zwei Regierungen, ganz China zu vertreten: die Volksrepublik China unter Mao auf dem Festland und die Republik China unter Chiang auf Taiwan.
Schrittweise anerkennen immer mehr Länder die Regierung in Peking als alleinige Vertreterin von Gesamtchina. Die Schweiz nimmt als einer der ersten westlichen Staaten bereits 1950 diplomatische Beziehungen mit der Volksrepublik auf. 1971 stimmt die Uno-Generalversammlung einer Resolution zu, welche den chinesischen Sitz an Peking überträgt – Taipeh muss die Uno und alle ihre Unterorganisationen verlassen.
Heute unterhalten nur noch 13 Länder diplomatische Beziehungen zur Republik China auf Taiwan. Im März hat Honduras seine diplomatischen Beziehungen zu Taiwan gekappt und ist zu Peking umgeschwenkt.
Chinesische Militärflugzeuge und Kriegsschiffe haben seit Anfang 2021 wiederholt die sogenannte Medianlinie zwischen dem Festland und der Insel überquert oder sind in die taiwanische Luftüberwachungszone eingedrungen.
Mit den Flügen unterstreicht Peking nicht nur seinen Anspruch auf Taiwan. Die Volksbefreiungsarmee zwingt damit auch die taiwanische Luftwaffe zu ständiger Alarmbereitschaft und zu Einsätzen und strapaziert Taiwans beschränkte militärische Ressourcen. Durch die häufige Annäherung von Flugzeugen von beiden Seiten besteht die Gefahr, dass es zu einem Unfall kommt, der eskalieren könnte. Anfang Januar 2021 stürzte ein taiwanischer Kampfjet bei einem Training ab. Laut Experten zeigt der Vorfall, dass Piloten mit wenig Erfahrung komplexe Einsätze fliegen müssten, weil das Pilotenkorps überlastet sei.
Taiwans Luftüberwachungszone wurde in den 1950er Jahren vom amerikanischen Militär definiert, als dieses noch auf der Insel stationiert war. Ebenso haben die amerikanischen Militärs in der Mitte der Strasse von Taiwan die «median line» definiert. Bisher haben China und Taiwan die Linie implizit anerkannt.
Taiwan zählt nur chinesische Flugzeuge, die östlich der Medianlinie in die Luftüberwachungszone fliegen, als Verletzungen. Die meisten chinesischen Flugzeuge fliegen in der Nähe der Pratas-Inseln, die von Taiwan kontrolliert werden, in oder durch die taiwanische Zone.
China droht immer wieder damit, Taiwan mit Waffengewalt zu erobern, wenn dieses sich nicht freiwillig dem «Mutterland» anschliesse. Peking macht auch klar, dass es eine formelle Unabhängigkeitserklärung der Insel als Kriegsgrund sehen würde. Wegen der wiederholten militärischen Provokationen Chinas hat Taiwan den obligatorischen Wehrdienst von vier auf zwölf Monate verlängert.
Militärexperten weisen warnend darauf hin, dass China bereits in den nächsten Jahren seine Drohungen wahr machen könnte. China hat in den vergangenen Jahren militärisch stark aufgerüstet und verfügt über Hunderte von Kampfflugzeugen sowie Kurz- und Mittelstreckenraketen. Sinologen sagen jedoch, dass eine militärische Übernahme Taiwans durch das Festland an der chinesischen Propaganda ablesbar wäre. Der chinesische Staat würde die Öffentlichkeit auf einen solchen Krieg vorbereiten.
Die wirtschaftlichen Kosten und die politischen Risiken einer Invasion wären hoch für Peking. Zugleich wäre eine Eingliederung Taiwans ein wichtiger Schritt hin zur Vollendung des «chinesischen Traums» – des nationalistischen Projekts Xi Jinpings, den Grossmachtstatus Chinas bis 2049 wiederherzustellen.
Der technologische Vorsprung der taiwanischen Waffensysteme, die grösstenteils aus amerikanischer Produktion stammen, ist geschwunden. Heute ist Taiwan China quantitativ und qualitativ weit unterlegen; die Luftwaffe ist veraltet. Präsidentin Tsai hat die Verteidigungsausgaben bereits stark erhöht. Taiwan versucht damit, seine eigene Abwehrfähigkeit gegenüber chinesischen Aggressionen zu erhalten.
Trotz wiederholten Zusagen von Präsident Biden, Taiwan im Fall eines Angriffs militärisch beizustehen, ist das nicht klar. Die USA verfolgen traditionell eine Politik der strategischen Zweideutigkeit: Sie anerkennen Taiwan nicht als Staat, sagen der Regierung aber militärische Unterstützung zu. Auch nach Bidens mehrfachen Unterstützungsversprechen liess das Weisse Haus jeweils verlauten, an dieser Politik ändere sich grundsätzlich nichts. Offen ist, ob die USA Taiwan im Kriegsfall nur mit militärischen Gütern oder auch mit Truppen unterstützen würden. Im Juli 2023 stellten die USA Taiwan Militärhilfe im Wert von 345 Millionen Dollar zur Verfügung.
Die Unklarheit hinsichtlich der genauen Strategie der USA soll einerseits Peking von einem Angriff abhalten, anderseits Taiwan dazu motivieren, sich um die eigene Verteidigung zu kümmern und Provokationen gegenüber Festlandchina zu unterlassen – vor allem Schritte in Richtung formeller Unabhängigkeit.
Diese Politik ist die Folge des amerikanischen Umschwenkens in den siebziger Jahren: Seit 1979 anerkennen die USA nicht mehr Taipeh als Vertretung Chinas, sondern Peking. Washington brach die diplomatischen Beziehungen zur Inselrepublik damals formell ab und führte die Kontakte nur noch auf niedriger Ebene weiter, unter anderem über eine Interessenvertretung in Taipeh.
In der Taiwan Relations Act von 1979 verpflichteten sich die USA jedoch gesetzlich, der Insel Rüstungsgüter zur Selbstverteidigung in genügender Menge zugänglich zu machen. Entsprechend liefern die USA regelmässig Waffen nach Taiwan, ungeachtet heftiger Proteste aus Peking. Das Gesetz hält ferner fest, dass Washington ein Embargo gegen die Insel als Bedrohung für den Frieden betrachten würde – eine Warnung an China, das zu einer Blockade der Insel militärisch grundsätzlich in der Lage wäre.
Die amerikanische Verteidigungspolitik ist darauf ausgerichtet, Taiwan im Kriegsfall Hilfe leisten zu können. Pentagon-Simulationen von verschiedenen Szenarien haben in den letzten Jahren jedoch ergeben, dass die USA bei einem chinesischen Grossangriff über die Strasse von Taiwan mit einer Niederlage rechnen müssten. Zur Unterstützung haben die USA Anfang März 2023 eine geplante Waffenlieferung an Taiwan im Umfang von 619 Millionen Dollar genehmigt. Es handelt sich um einige hundert Raketen unter anderem für F-16-Kampfjets sowie Start- und Steuerungssysteme und andere Ausrüstung, wie das Pentagon in Washington mitteilte.
In Vorbereitung auf einen möglichen Konflikt um Taiwan erwägt auch Japan laut «Nikkei Asia» die Einrichtung Dutzender Munitions- und Waffendepots auf Inseln vor China. Das militärische Auftreten Chinas in der Region stelle bisher «die grösste strategische Herausforderung» dar, heisst es in einem kürzlich beschlossenen neuen Sicherheitspapier.
Taiwan will seine Kooperation mit der Europäischen Union ausbauen. Die damalige Präsidentin Tsai Ing-wen sagte im Dezember bei einem Treffen mit europäischen Parlamentsabgeordneten in Taipeh, die demokratische Inselrepublik wolle den Wirtschaftsaustausch erweitern, die Lieferketten stärken und Fortschritte auf dem Weg zu einem Investitionsabkommen machen. Taiwan und die Europäische Union seien wichtige Handelspartner. Trotz der Pandemie sei der Handel im vergangenen Jahr um 32 Prozent angestiegen. Angesichts eines verstärkten Expansionismus autoritärer Staaten wolle Taiwan seine Kooperation mit demokratischen Partnern weltweit vertiefen, sagte Tsai Ing-wen. Peking hatte wiederholt gegen solche offiziellen Kontakte zu Taipeh protestiert.
Im Januar hat auch der frühere Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen Taiwan besucht. Rasmussen sagte, sein Besuch sei ein starkes Zeichen der Solidarität in den gewachsenen Spannungen mit China. Es war die erste Visite eines früheren Nato-Generalsekretärs.
Taiwan ist der weltweit grösste Hersteller von Halbleitern. Diese kommen in elektronischen Geräten, aber auch in Autos und Waffensystemen zum Einsatz und sind für viele Industrien auf der ganzen Welt wichtig. Taiwanische Unternehmen generierten im Jahr 2020 mehr als 60 Prozent des weltweiten Umsatzes mit Halbleitern.
Insbesondere die amerikanische Tech-Branche ist stark von den taiwanischen Chipherstellern abhängig. Nach wie vor ist aber China der wichtigste Handelspartner Taiwans – allen Spannungen zum Trotz. Wie wichtig Halbleiterchips für die Wirtschaft sind, zeigt sich in der gegenwärtigen Chipkrise in der Autoindustrie. Ein kriegerischer Konflikt um Taiwan hätte unabsehbare Konsequenzen für die Weltwirtschaft.