An der Börse kennen Rüstungsfirmen kein Halten – vor allem, wenn sie Munition produzieren. Der Land- und Stellungskrieg, ein Relikt der Vergangenheit, ist sehr profitabel.
Vielleicht werden Rüstungsmanager bald ehrfürchtig vom «Signal von Unterlüss» sprechen. Denn von der norddeutschen Ortschaft sollte das Signal ausgehen, dass Rüstungsprojekte künftig schneller Realität werden. So wünschte es sich Bundeskanzler Olaf Scholz, als er dort im Februar den Spatenstich für ein Werk des Rüstungskonzerns Rheinmetall zelebrierte. Europas Verteidigung brauche eine solide industrielle Grundlage, so Scholz, «weg von der Manufaktur, hin zur Grossserienfertigung».
Rheinmetall baut das Werk nicht auf gut Glück. Es hat etwas gedauert, aber zwei Jahre nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine treffen die Aufträge für Erhaltung, Ausbau und Modernisierung der europäischen Streitkräfte mittlerweile in Rekordfülle bei der Rüstungsbranche ein. Auch wenn die von Scholz ebenfalls ausgerufene «Zeitenwende» in der Verteidigungspolitik noch nicht überall akzeptiert sein mag – verglichen mit den kargen Jahren vor dem Ukraine-Krieg ist sie bei den Unternehmen bereits eingetreten.
Bedenken ade: Anleger setzen wieder auf Rüstung
Einer der grössten Profiteure ist Rheinmetall, Deutschlands wichtigster und Europas führender Waffenproduzent. Zwar sind die Aktienkurse vieler Rüstungsfirmen seit Kriegsbeginn in die Höhe geschossen, nachdem diese jahrelang von Investoren wegen moralischer Bedenken verschmäht worden waren. Doch wenige Valoren profitierten so wie jene des Konzerns aus Düsseldorf: Anfang 2022 standen sie noch unter 100 Euro. Im Februar 2024 kletterten sie über die Marke von 400 Euro. Mittlerweile hat sich Rheinmetall im deutschen Leitindex DAX etabliert.
«Der Rüstungssektor galt als nicht investierbar. Diese dumme Rhetorik ist mit dem Krieg nebenan in die Luft geflogen», kommentierte unlängst die Bank Baader. Wenn die europäischen Nato-Länder ihr Ziel für Verteidigungsausgaben in Höhe von mindestens 2 Prozent des Bruttoinlandprodukts einhielten, würden sie im Jahr 2024 rund 80 Milliarden Dollar mehr für ihre Sicherheit ausgeben als 2021, so die Analytiker – ein Anstieg um mehr als einen Viertel.
Doch die Investoren stürzen sich nicht kopflos auf alles, was mit Rüstung zu tun hat. Das grösste Interesse gilt jenen Unternehmen, welche die Verbrauchsgüter des archaischen Land- und Stellungskrieges herstellen, der in Europa eigentlich als Relikt der Geschichte galt: Munition und Geschosse. Granaten und Raketen sind für die Hersteller besonders profitabel.
Die Kasse klingelt: 5000 Euro pro Granate
Deswegen hat sich die Marktkapitalisierung von Rheinmetall seit 2021 auch mehr als verdreifacht. Jene von BAE Systems aus Grossbritannien sowie jene von Leonardo aus Italien, die ebenfalls viel Munition produzieren, haben sich mehr als verdoppelt. Auch Papiere des schwedischen Konzerns Saab, ein wichtiger Hersteller von Raketen, zogen deutlich an. Dagegen wirken die Kursavancen etwa von Lockheed Martin bescheiden. Die Aktien der Amerikaner haben seit Kriegsbeginn nur um rund 10 Prozent zugelegt. Lockheed Martin stellt unter anderem Kampfjets her, darunter den F-16 und den F-35.
Das neue Rheinmetall-Werk in Unterlüss, das den bestehenden Standort erweitert, wird rustikalere Güter als Flugzeuge produzieren. Die Fabrik soll in nur zwölf Monaten errichtet werden und im finalen Ausbau bis zu 200 000 Artilleriegeschosse pro Jahr liefern. Hinzu kommen Sprengstoff und weitere Komponenten für Raketenartillerie. Eine Granate dürfte zum Preis von 5000 Euro verkauft werden, schätzt die Investmentbank Stifel – womit allein dieses Werk Rheinmetall einen jährlichen Umsatz von 1 Milliarde Euro bescheren könnte.
Es ist nicht die einzige neue Fabrik der Düsseldorfer. Wie Rheinmetall im Februar bekanntgab, will der weltweit grösste Hersteller von Artilleriemunition die Geschosse auch in der Ukraine produzieren – in einem Gemeinschaftsunternehmen mit einem ukrainischen Partner. Auch dort soll eine sechsstellige Zahl pro Jahr hergestellt werden. Der Bedarf ist gross: Die Ukraine erklärte im Februar, sie brauche allein 2024 rund 2,5 Millionen Artilleriegranaten. Bereits 2023 hatte Rheinmetall angekündigt, eine Panzerfabrik in der Ukraine zu errichten.
Auch BAE kann vor Kraft kaum laufen
Das 155-Millimeter-Kaliber, für das Rheinmetall beide Munitionswerke auslegt, ist auch bei anderen westlichen Ländern begehrt. In Grossbritannien, ebenfalls ein wichtiger militärischer Unterstützer der Ukraine, hat im vergangenen Sommer BAE Systems den Auftrag erhalten, die geschrumpften Bestände aufzufüllen. Dafür wird BAE die Produktionskapazität für Granaten um das Achtfache steigern. BAE betreibt auch zwei Munitionswerke in den USA für das amerikanische Heer.
Der Konzern mischt bei vielen Rüstungsgütern mit, von Kampfjets bis zu U-Booten, und ist der wichtigste Lieferant der britischen Streitkräfte. Nach Rekordbestellungen in Höhe von umgerechnet 42 Milliarden Franken im vergangenen Jahr hat BAE nun Aufträge im Wert von fast 80 Milliarden Franken in ihren Büchern. Damit sind die nächsten zehn Jahre laut der Bank JP Morgan recht gut planbar. Die Rating-Agentur Moody’s hob vor wenigen Tagen die Bonitätsnote von BAE an und verwies auf hohe Vorauszahlungen der Kunden. Die Liquidität der Firma sei exzellent.
Und das ist nur der Anfang. Zwar gaben die Nato-Mitglieder im Jahr 2023, ohne Berücksichtigung der USA, bereits rund einen Drittel mehr für ihre Verteidigung aus als 2014, als Russland die Krim annektierte. Das hat die Denkfabrik International Institute for Strategic Studies (IISS) berechnet. Aber künftig werden noch grössere Summen erforderlich sein, um die Ukraine sowohl mit Rüstungsgütern zu versorgen wie auch die eigenen Bestände aufzufüllen und versäumte Modernisierungen nachzuholen.
Die Aktienkurse der Rüstungsfirmen haben besonders seit Ende 2023 angezogen, als sich zunehmend Klarheit über die zu erwartenden Aufträge einstellte. So hatte die EU zwar der Ukraine die Lieferung von einer Million Artilleriegranaten bis Ende März 2024 versprochen, dürfte diese Menge aber bei weitem verfehlen. Jedoch hat Brüssel das Ziel ausgegeben, die Produktionskapazität in der EU auf 1,4 Millionen Granaten bis Ende Jahr zu steigern. Das wäre mehr als das, wozu die USA in der Lage sind.
Rheinmetall will den Umsatz mehr als verdoppeln
Rheinmetall hat die Zeichen erkannt. Vergangenes Jahr kaufte die Firma einen Munitionshersteller in Spanien zu. In den Auftragsbüchern stauten sich zum Jahreswechsel rekordhohe Bestellungen im Wert von 40 Milliarden Euro. Im laufenden Jahr könnten bis zu 20 Milliarden Euro hinzukommen, schätzt Stifel. Im Herbst setzte sich das Unternehmen neue Wachstumsziele – am optimistischsten Kapitalmarkttag, den der Konzern laut der UBS jemals abgehalten hat.
Im Jahr 2026 will Rheinmetall einen Umsatz von bis zu 14 Milliarden Euro erreichen. Im Jahr 2022 waren es 6,4 Milliarden. Ein wesentlicher Treiber ist das Segment Weapon and Ammunition mit der Munitionsherstellung. Dort wird eine operative Gewinnmarge von 26 Prozent erwartet, die höchste im Konzern. Im gesamten Rüstungsgeschäft, das auch Fahrzeuge und Geschütze zur Flugabwehr umfasst, erwartet Rheinmetall für 2026 eine Betriebsmarge von mehr als 17 Prozent.
Nach Rheinmetalls Vorstössen zum Ausbau der Artillerieproduktion im Februar hält Stifel es für möglich, dass die Profitabilität nochmals höher liegen wird. Im Gegensatz dazu ist das zivile Geschäft, die Produktion von Komponenten für die Autoindustrie, deutlich weniger lukrativ. Am liebsten würde Rheinmetall diese Sparte verkaufen. Sie wird 2026 nur noch geschätzt einen Fünftel des Konzerns ausmachen. Es ist Zeit, Prioritäten zu setzen.