Die amerikanischen Arbeitsmarktzahlen deuten auf eine Abkühlung der Wirtschaft hin. Sorgen bereitet die weiterhin inverse Zinsstrukturkurve.
Auf den ersten Blick sind es gute Nachrichten. Der S&P-500-Leitindex schoss am Freitag bei Handelseröffnung sofort in die Höhe, nachdem die US-Behörden am Vormittag (Ortszeit) die neuesten Arbeitsmarktdaten veröffentlicht hatten.
Anlass zum Optimismus gab die Tatsache, dass amerikanische Arbeitgeber im April weniger neue Stellen geschaffen hatten als erwartet. Statt 241 000 waren es nur 175 000. Das entspricht dem schwächsten Anstieg seit sechs Monaten. Die Arbeitslosenquote stieg stärker als erwartet auf 3,9 Prozent von zuvor 3,8 Prozent. Aus Sicht der Finanzmärkte deuten diese Daten auf eine Abkühlung der amerikanischen Wirtschaft hin.
Das ist im heutigen Umfeld ein positives Signal: Damit wird es wieder wahrscheinlicher, dass die Inflation nach mehreren Monaten ohne Rückgänge auf den Abwärtspfad zurückfindet. Und es könnte der Zentralbank Fed erlauben, die Leitzinsen in absehbarer Frist zu senken.
Die euphorischen Erwartungen haben sich nicht bewahrheitet
Noch ist es aber nicht so weit. Das Fed hält den Leitzins vorerst weiterhin bei 5,25 bis 5,5 Prozent, wie der Vorsitzende Jerome Powell diese Woche bekanntgab.
Die Finanzmärkte rechnen laut Daten der Chicagoer Terminbörse erst im September mit einer ersten Zinssenkung. Doch nicht einmal das ist sicher.
Vor wenigen Monaten deuteten dieselben Daten noch auf sechs bis sieben Zinssenkungen im laufenden Jahr hin. Diese Erwartungen haben sich als falsch erwiesen.
Sogar erfahrene Marktbeobachter – auch die Zentralbank Fed selbst – bekunden derzeit Mühe damit, sich aus der Vielzahl an teilweise widersprüchlichen Indikatoren einen Reim zu machen.
Die Teuerung der Konsumentenpreise in den USA hält sich seit einigen Monaten hartnäckig. Im März betrug sie im Vergleich zum Vorjahresmonat 3,5 Prozent. Dieser Wert liegt deutlich über den vom Fed anvisierten 2 Prozent. Senkt die Zentralbank die Zinsen in diesem Umfeld vorschnell, riskiert sie ein Wiederaufflammen der Teuerung, was Jerome Powell um jeden Preis verhindern möchte.
Bei Anlegern löst vor allem die immer noch inverse Zinsstrukturkurve Unbehagen aus: Die Zinsen von amerikanischen Staatsanleihen mit kurzer Laufzeit liegen weiterhin über den Zinsen von Treasuries mit langer Laufzeit.
Das ist ein Zustand, der nicht ewig anhalten kann: Aus ökonomischer Sicht ergibt es keinen Sinn, dass ein Gläubiger bei der Gewährung von langfristigen Krediten auf seine Warteprämie verzichtet. Schliesslich geht er bei einer längeren Laufzeit ein höheres Risiko ein, dass sein Schuldner die geschuldete Summe nicht zurückbezahlt.
Historisch gesehen ist eine inverse Zinskurve vor allem auch ein Rezessionssignal. Tritt sie auf, kommt es sehr oft zu einem konjunkturellen Abschwung, was es der Zentralbank erlaubt, die Leitzinsen und damit die Zinsen am kurzen Ende zu senken.
Eine kleine Rezession?
Doch von einer Rezession ist derzeit wenig zu sehen. Die amerikanische Wirtschaft ist im ersten Quartal 2024 immer noch um annualisierte 1,6 Prozent gewachsen. Johannes von Mandach, Ökonom bei Wellershoff & Partners, hält es nicht für plausibel, dass die Teuerungsraten bei stabiler Konjunktur von allein zurückgehen. «Das beste Szenario aus Anlegersicht unter diesen Umständen ist eine kleine Rezession, verbunden mit einem Rückgang der Inflation. Danach kann die amerikanische Wirtschaft wieder ein nachhaltiges Wachstum anstreben», sagt von Mandach.
Das Wirtschaftsberatungsunternehmen rät seinen Kunden seit einiger Zeit, die Risiken in ihren Portfolios zu reduzieren und eine defensive Anlagestrategie zu fahren.
Zur Vorsicht rät auch Thomas Stucki, Anlagechef bei der St. Galler Kantonalbank. «Ich rechne zwar nicht mit einer Rezession. Aber jetzt ist der Moment für Gewinnmitnahmen, nachdem die Aktienmärkte über längere Zeit sehr gut gelaufen sind.» Ein mögliches Vorgehen für Anleger sei es, den absoluten Wert einer Position mittels Verkäufen wieder auf die ursprünglich investierte Summe zu reduzieren. Besonders bei Tech-Aktien biete sich dies an.
Stucki stellt an den Märkten angesichts der unsicheren Ausgangslage eine erhöhte Nervosität fest. Die Märkte reagieren laut Studien so sensibel auf neue Inflationszahlen wie schon lange nicht mehr.
Als unwahrscheinliches Worst-Case-Szenario bezeichnet Stucki ein Wiederaufflammen der Inflation in den USA. Eine solche Konstellation zwänge das Fed, die Leitzinsen noch einmal über das heutige Niveau hinaus anzuheben. «Das würde den Druck auf die Aktienmärkte massiv erhöhen.» In diesem Szenario wäre laut Stucki nicht nur mit einem, sondern mit mehreren Zinsschritten zu rechnen. Derzeit sehe es aber nicht danach aus, zumal auch Jerome Powell diese Möglichkeit als unwahrscheinlich bezeichnet.
Die Ausgangslage für das Fed ist auch politisch heikel: Wenn die Zentralbank nun die Zinsen erst im Herbst kurz vor den Wahlen senkt, könnte das den Anschein erwecken, sie wolle Amtsinhaber Joe Biden begünstigen. Eine Nichtsenkung hingegen könnte Donald Trump helfen, zumal einige Bürger unter den höheren Kreditkosten etwa für ihre Hypotheken oder Konsumdarlehen leiden. Was auch immer das Fed tut – seine Entscheidungen dürften im Herbst im Kontext der Wahl interpretiert werden, auch wenn Powell stets betont, der Wahlkampf spiele keinerlei Rolle.
Schweizer Börse profitiert kaum von der ersten Zinssenkung
Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat die erste Zinssenkung im Gegensatz zum Fed bereits hinter sich. Allerdings hat der Leitindex SMI davon bislang kaum profitiert. Da die 20 grössten kotierten Unternehmen wie Nestlé, Roche oder Novartis ihr Geld vor allem im Ausland verdienen, spielen der Frankenkurs und die Geldpolitik der SNB für sie nur eine untergeordnete Rolle. «Der Aktienmarkt wird auch in der Schweiz sehr stark von den USA und von der Geldpolitik des Fed getrieben», sagt Stucki, der für den kommenden September mit der nächsten Zinssenkung der SNB rechnet.