Die Kostenbremse-Initiative der Mitte-Partei ist so unklar formuliert, dass sie breiten Spielraum für die Umsetzung zulässt. Doch im Bundesbüchlein für die Abstimmung schiessen die Initianten sich selber ins Knie.
In den Komitees von Schweizer Volksinitiativen sitzen keine Heiligen. Das zeigt die langjährige Erfahrung. Übertriebene Versprechungen und Verschleierung der Nachteile gehören zum Standard. Üblich sind auch Versuche von Initiativkomitees, das eigene Anliegen im Abstimmungskampf umzudeuten, um die Erfolgschancen zu erhöhen.
Doch bei der Volksinitiative der Mitte-Partei für eine Kostenbremse im Gesundheitswesen passiert nun in einem Punkt das Gegenteil: Die Initianten öffnen den Gegnern im Abstimmungsbüchlein eine Flanke, welche die Chancen der Initiative deutlich schmälern könnte.
Betrachtet man den Initiativtext aus der Sicht eines Deutschlehrers, so ist er alles andere als ein Meisterwerk. Er ist in den zentralen Punkten hochgradig unklar. Die Initiative verlangt eine Kostenbremse in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP). Die Nettokosten in der OKP beliefen sich 2023 auf etwa 35 Milliarden Franken – rund 4000 Franken pro Einwohner.
Was heisst «entsprechend»?
Gemäss der Hauptbestimmung des Initiativtextes muss der Bund in Zusammenarbeit mit diversen genannten anderen Akteuren die Kostenfrage so regeln, «dass sich mit wirksamen Anreizen die Kosten entsprechend der schweizerischen Gesamtwirtschaft und den durchschnittlichen Löhnen entwickeln». Das Wort «entsprechend» lässt vermuten, dass die OKP-Kosten unter Umständen etwas stärker wachsen dürfen als die Gesamtwirtschaft und die Durchschnittslöhne, aber das Ausmass bleibt unklar. Bei der Lancierung der Initiative sagten es die Initianten etwa so: Die OKP-Kosten dürfen stärker wachsen als die Gesamtwirtschaft und die Löhne, aber nicht massiv stärker.
Positiv gesagt: Die Initiative lässt dem Parlament einigen Spielraum bei der Umsetzung. So wäre es vermutlich nach der Hauptbestimmung der Initiative erlaubt, wenn in der Umsetzung das Dach des zulässigen Kostenanstiegs zum Beispiel bei ein bis zwei Prozentpunkten über dem prozentualen Wachstum von Gesamtwirtschaft und Löhnen festgelegt würde, wobei jeweils ein Zeitraum von drei oder fünf Jahren als massgebliche Periode gilt.
Noch mehr Verwirrung
Allerdings enthält der Initiativtext noch eine Übergangsbestimmung. Diese solle laut der Erklärung der Initianten bei der Lancierung sicherstellen, dass das Parlament die Umsetzung nicht auf die lange Bank schiebt. Gemäss dem Initiativtext greift die Übergangsbestimmung, wenn die Krankenkassen und Leistungserbringer (wie Spitäler und Ärzte) zwei Jahre nach Annahme der Initiative noch keine verbindlichen Massnahmen zur Kostendämpfung festgelegt haben.
Liegt in diesem Szenario der Kostenanstieg pro Versicherten in der OKP zwei Jahre nach Annahme der Initiative «mehr als ein Fünftel über der Entwicklung der Nominallöhne», dann «ergreift der Bund in Zusammenarbeit mit den Kantonen Massnahmen zur Kostensenkung, die ab dem nachfolgenden Jahr wirksam werden».
Dies kann man wie folgt lesen: Sind in den zwei Jahren nach Annahme der Initiative die Nominallöhne zum Beispiel um total 4 Prozent gewachsen und die OKP-Kosten pro Versicherten um mehr als 4,8 Prozent (Faktor 1,2), muss der Bund Massnahmen ergreifen.
Dies ist sehr restriktiv: Die prozentuale Wachstumsrate bei den OKP-Kosten lag in den letzten Jahrzehnten meist weit höher als beim 1,2-Fachen des prozentualen Lohnwachstums. Von 1996 bis 2022 stieg der nominale Durchschnittslohn pro Vollzeitstelle um etwa 50 Prozent, die OKP-Kosten pro Versicherten dagegen um rund 150 Prozent. Auf den restriktiven Schwellenwert des Faktors 1,2 beziehen sich die Gegner der Volksinitiative, wenn sie den Vorstoss mit den politisch bewährten Schlagworten «Rationierung» und «Zweiklassenmedizin» bekämpfen.
Es ginge auch anders
Der Bund und die Tarifpartner (Krankenkassen und Ärzte/Spitäler/Kantone) hätten es aber in der Hand, diese Übergangsbestimmung auszuhebeln – indem sie innert zwei Jahren verbindliche Massnahmen zur Kostendämpfung festlegen. Auch hier ist der Initiativtext unklar bis widersprüchlich formuliert, aber gemäss einem wohlmeinenden Interpretationsversuch liesse sich die Übergangsbestimmung wie folgt aushebeln: Das Bundesparlament beschliesst innert zwei Jahren eine Kostenbremse nach den Grundsätzen der Hauptbestimmung des Initiativtextes. Eine zweite Variante: Die Tarifpartner beschliessen innert zwei Jahren Tarifverträge mit verbindlicher Kostensteuerung – etwa nach dem Motto «wenn die Kosten einen bestimmten Schwellenwert übersteigen, sinken die Tarife».
Im Abstimmungsbüchlein des Bundesrats stützen sich nun aber die Initianten bei der Beschreibung der geforderten Kostenbremse einzig auf die restriktive Regel der Übergangsbestimmung: «Steigen die Gesundheitskosten jährlich 20 Prozent stärker als die Löhne, ergreift der Bund in Zusammenarbeit mit allen Akteuren Massnahmen zur Kostensenkung.» Behauptungen von Initiativkomitees während des Abstimmungskampfs haben verfassungsrechtlich kein allzu grosses Gewicht, aber die Darstellung der Initianten ist ein Steilpass für die Gegner: Sie können den genannten Schwellenwert als unrealistisch tief bezeichnen und sofort ihre Hauptwaffe ziehen – das R-Wort (Rationierung). Auf eine entsprechende Rückfrage haben die Initianten die Darstellung der zentralen Rolle des restriktiven Kostendachs der Übergangsbestimmung nicht korrigiert.
Unklar ist im Initiativtext zudem, ob die nach dem Überschreiten des Schwellenwertes verlangten Massnahmen so wirksam sein müssen, dass der Schwellenwert in der Folge nicht mehr überschritten wird. Die Initianten verneinen dies. Die Verneinung ist wohl konform mit der Übergangsbestimmung des Initiativtextes; diese Bestimmung verlangt wirksame Massnahmen, sagt aber nichts über das Ausmass der Wirksamkeit aus.
Doch was muss passieren, wenn trotz den getroffenen Massnahmen in den Folgejahren der Schwellenwert der Übergangsbestimmung wieder überschritten wird – braucht es bei jedem neuen Überschreiten wieder zusätzliche Massnahmen? Dies scheint der Idee der Initianten zu entsprechen, doch aus dem Initiativtext lässt sich dies nicht ableiten. Die Übergangsbestimmung scheint laut dem Text nur für einen Zeitpunkt (zwei Jahre nach Annahme der Initiative) zu gelten. Dies würde aber dem Initiativzweck einer permanenten Kostenbremse widersprechen.
So verlangt die Hauptbestimmung des Initiativtextes implizit, dass sich die OKP-Kosten permanent entsprechend der Gesamtwirtschaft und den Durchschnittslöhnen entwickeln. Da es aber für die Übersetzung des Wortes «entsprechend» Interpretationsspielraum gibt, wären bis zu einem gewissen Ausmass auch Anpassungen an den Schwellenwert möglich. Die Gegner können nun jedoch mit Verweis auf das Abstimmungsbüchlein ohne allzu grosse Scham behaupten, dass auch für die Hauptbestimmung der Schwellenwert der Übergangsbestimmung gelten würde – selbst wenn dies verfassungsrechtlich nicht zwingend wäre.
Grosse Bandbreite
Der Initiativtext glänzt nur im Fach Konfusion. Der Bundesrat hat 2021 in seiner Botschaft zur Volksinitiative ans Parlament deutlich gemacht, dass es in seiner Interpretation für die Umsetzung grossen Spielraum gibt. Die Bandbreite der vom Bundesrat ausdrücklich oder zwischen den Zeilen erwähnten möglichen Folgen je nach Art der Umsetzung reicht von mittelfristiger Gefahr einer Rationierung bis hin zur Wirkungslosigkeit.
Was sollen die Stimmbürger damit anfangen? Eine mögliche Betrachtungsart: Wer ein symbolisches Zeichen für eine Kostenbremse setzen will, mag zu einem Ja neigen – und wer Verfassungstexte ernster nimmt als Symbolpolitik, mag skeptisch sein. Eine andere mögliche Betrachtungsart: Wer dem Parlament eine vernünftige Umsetzung zutraut, mag zu einem Ja neigen – und wer wenig vom Parlament hält, mag skeptisch sein.