Mobbingvorwürfe und tiefrote Zahlen werden Uwe E. Jocham, dem Direktionspräsidenten des Berner Inselspitals, zum Verhängnis.
Es ist der tiefe Fall des bisher mächtigsten Spitalmanagers des Landes: Uwe E. Jocham muss als Direktionspräsident der Berner Insel-Gruppe gehen, wie das Unternehmen am Donnerstagabend mitteilte. In den letzten Monaten war die Kritik an Jocham so laut geworden, dass er nicht mehr zu halten war und Verwaltungsratspräsident Bernhard Pulver die Konsequenzen ziehen musste. Auch der medizinische Direktor Urs Mosimann verliert seinen Job. Pulver übernimmt die operative Leitung des Spitals interimistisch zusammen mit Christian Leumann, der bis Juni auch Rektor der Universität Bern ist.
Dass das Verhältnis zwischen der Spitalführung und den Mitarbeitern zerrüttet war, gibt implizit auch der Verwaltungsrat zu. Er schreibt in seiner Medienmitteilung, es brauche nun eine Unternehmensspitze, «die die Mitarbeitenden und insbesondere das Kader hinter sich zu vereinen und zu motivieren versteht».
Immer wieder hatten sich derzeitige sowie ehemalige Insel-Mediziner und Pflegende in den Berner Medien über das Arbeitsklima beklagt. Die Rede war von einer diktatorischen Führung und einer miserablen Kommunikation. In der Zeitung «Der Bund» berichtete eine langjährige Pflegeleiterin, sie sei kurz vor der Pensionierung zu einer Kündigung gedrängt worden. «Man hat eine echte Mobbingkultur etabliert», sagte ein früherer Klinikdirektor gegenüber Radio SRF. Auch der bekannte Herzchirurg Thierry Carrel, der bis 2020 in Bern tätig gewesen war, zeigte sich kürzlich besorgt über die Zustände am Inselspital.
Machtkonzentration und hohes Gehalt
Jocham war ab Ende 2017 im Amt, und es gab bald Unruhe im Unternehmen. Der Manager und Apotheker mit deutschen Wurzeln, der zuvor noch nie in einem Spital gearbeitet hatte, wurde zuerst Verwaltungsratspräsident. Doch kurz nach seinem Amtsantritt verliess auch der damalige CEO seinen Posten – worauf ihn Jocham selbst übernahm.
Das Doppelmandat und die damit einhergehende Machtkonzentration kamen in der Berner Politik schlecht an, so dass Jocham das VR-Präsidium schliesslich abgab – wenn auch widerwillig. Übel genommen wurde ihm auch, dass er rasch ein happiges Sparprogramm umsetzte und Stellen strich, aber gleichzeitig seinen Lohn kräftig erhöhte: von 500 000, die sein Vorgänger bekommen hatte, auf 670 000 Franken.
2022 forderte der damalige SVP-Grossrat Thomas Knutti die Berner Regierung auf zu überprüfen, ob die Führung des Inselspitals noch in guten Händen liege – und «ob die Gefahr eines ‹personellen und ideellen Groundings› des Spitals mit dramatischen Auswirkungen auf den Gesundheits- und Wirtschaftssektor des Kantons Bern noch rechtzeitig abgewendet» werden könne. Jocham warf er eine «Hire-and-Fire-Mentalität» vor. Durch den Abgang bekannter Ärzte werde das Vertrauen in die Institution zerstört.
Regierung stellte sich hinter Jocham
Doch die Berner Regierung nahm die Spitalleitung in Schutz: Es gebe keinen Anlass, an ihr zu zweifeln, beschied sie Knutti. Die Insel-Gruppe befinde sich – wie viele Spitäler – in einem intensiven Change-Prozess. Das könne grundsätzlich dazu führen, dass «Teile der davon betroffenen Mitarbeitenden mit Entscheidungen des Verwaltungsrates und der Spitalleitung nicht einverstanden sind».
Die Situation der grössten Krankenhausgruppe mag einige Eigenheiten haben, aber sie ist symptomatisch für die Krise der ganzen Schweizer Spitallandschaft. Seit der Reform von 2012 müssen die öffentlichen Spitäler grundsätzlich am Markt überleben und können sich ihre Defizite nicht mehr einfach vom Staat decken lassen. Dieser verschärfte Wettbewerb hatte bis 2019 relativ wenige Auswirkungen. Dann kamen Corona und die Inflation.
In der Pandemie schrieben viele Spitäler Verluste, weil sie nicht dringende Operationen aufschieben mussten. Noch stärker trafen sie nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs die Preissteigerungen beim Strom oder beim Material. Und auch das Personal verlangt mehr Lohn. Die Tarife für die Behandlungen stiegen nicht im gleichen Ausmass, beklagen sich Spitaldirektoren landauf, landab. Altehrwürdige Institutionen wie das Kantonsspital Aarau oder das Zürcher Kinderspital schreiben tiefrote Zahlen und müssen von den Kantonen gerettet werden.
Insel-Gruppe mit hohem Verlust
Diese Grosswetterlage bekamen auch Jocham und sein Team zu spüren. 2022 fuhr die Insel-Gruppe 80 Millionen Franken Verlust ein, 2023 sogar 113 Millionen Franken. Die gegenwärtige Führung sei noch verantwortungsloser als frühere Insel-Verantwortliche, kommentierte dies im März der Gesundheitsökonom Heinz Locher auf dem Branchenportal «Medinside». Und verlangte schon damals den Rücktritt von Jocham und vom VR-Präsidenten Pulver. Vor wenigen Wochen tauchte zudem der Vorwurf auf, das Inselspital würde einen Teil der 100 Millionen Franken, die es vom Kanton für die Forschung erhalte, zur Deckung des Defizits zweckentfremden.
Der Effizienzdruck dürfte langfristig dazu führen, dass nur die «fittesten» Spitäler überleben (sofern ihre Standortkantone nicht die Löcher stopfen). Das muss keine schlechte Entwicklung sein. Fast alle Experten sind sich einig, dass die Schweiz immer noch viel zu viele Spitäler hat, es sind über 250. Mit der Schliessung von Standorten lässt sich einerseits der Anstieg der Gesundheitskosten etwas dämpfen. Andererseits werden so Ärzte und Pflegende frei, die fast überall verzweifelt gesucht werden.
Doch das Beispiel Insel-Gruppe zeigt: Es braucht integre und empathische Führungspersönlichkeiten, um diesen schmerzhaften Prozess zu moderieren. Sonst droht den Spitälern ein Reputationsverlust, die Patienten werden verunsichert: Können sie noch eine gute Behandlung erwarten? Und angesichts des bereits bestehenden Personalmangels ist es verheerend, wenn medizinische Fachkräfte die Freude an ihrem Beruf verlieren und in andere Branchen wechseln.