Aus Angst, den Boom zu verpassen, werden Milliarden in Nvidia-Superchips und «KI-Unternehmen» gesteckt. Ob sich diese enormen Investitionen jemals auszahlen, weiss keiner.
Es ist ein schlimmes Gefühl: Die Party ist voll am Laufen, und man ist nicht dabei. Dieses Gefühl nicht nochmals erleben zu müssen, ist derzeit ein Anliegen vieler Entscheider. Aus Angst, das vermutlich «nächste grosse Ding» zu verpassen, stecken sie enorm viel Geld in Technologie und Unternehmen, die «irgendetwas mit KI» zu tun haben. Mittlerweile hat jede Firma, die sich nicht altbacken geben will, eine «KI-Strategie» oder lässt sich von «KI-Experten» beraten.
Keiner weiss, wohin die Reise geht. Doch Firmenlenker wie Investoren stimmen mit dem Nvidia-Chef Jensen Huang überein: «Die nächste industrielle Revolution hat begonnen.» Diese Revolution läuft zwar erst seit 18 Monaten und hat mit der Lancierung von Chat-GPT erst richtig Fahrt aufgenommen. Doch für viele ist es bereits eine Gewissheit: Es ist ein Paradigmenwechsel, das Beherrschen von KI ist alternativlos. Künstliche Intelligenz wird Wirtschaft und Alltag fundamental verändern, so lautet heute die Mainstream-Meinung.
Milliarden à fonds perdu
Die amerikanischen Tech-Riesen setzen diesen Glauben am entschiedensten in die Tat um: Amazon, Microsoft, Google oder Meta stecken monatlich Dutzende Milliarden Dollar in den Ausbau ihrer Rechenzentren, damit diese leistungsfähig genug sind, um KI-Dienste vom Fliessband anzubieten. Doch selbst die amerikanischen Giganten wissen nicht, ob und wann sich ihre Milliardenausgaben rechnen. Auch keines der zahlreichen KI-Startups hat bislang ein Geschäftsmodell präsentiert, wie die enormen Hardware-Investitionen wieder eingenommen werden können.
Doch das ist egal. «KI» legitimiert derzeit jede Milliarde. Von dieser blinden Investitionswut profitiert bis jetzt vor allem eine Firma: Nvidia. Der vor zwei Jahren nur Insidern bekannte Anbieter von Grafikchips hat punktgenau die passende Technik im Angebot. Nvidias Superprozessoren sind perfekt, um die hohen Rechenleistungen zu erbringen, die für KI-Anwendungen nötig sind. So ist es kein Kunststück, dass die 1993 von Jensen Huang gegründete Firma innert kürzester Zeit einen Marktanteil bei KI-Chips von 80 Prozent erobert hat. Nvidia war zur richtigen Zeit mit dem richtigen Produkt am richtigen Ort.
Genauso wichtig: Huang versteht es meisterhaft, das KI-Märchen so zu erzählen, wie es Kunden und Investoren hören wollen. So lieferte Nvidia jüngst die perfekt inszenierte, erwartete Überraschung: Das dritte Quartal in Folge präsentierte Huang eine Verdreifachung des Umsatzes, jener mit KI-Chips für Rechenzentren verfünffachte sich. Unter dem Strich eine Gewinnexplosion auf fast 15 Milliarden Dollar. Die Nachfrage übersteigt gemäss Huang das Angebot weiterhin bei weitem, und zwar «bis weit ins nächste Jahr hinein».
Erleichterung für nachlässige Anleger
Das ist vor allem für die Anleger eine Erleichterung. Mit einem solchen Zahlenset im Rücken können sie guten Gewissens die Nvidia-Welle weiterreiten. Die magische Geldvermehrung mit der wichtigsten Aktie der Welt geht bis auf Widerruf weiter. Dabei können die nachlässigen Anleger getrost Risikofaktoren wie die hartnäckige Inflation, drohende Zinserhöhungen und den eskalierenden Handelsstreit ausblenden – solange es bei Nvidia läuft, läuft es auch an den Börsen.
Denn mit Nvidia-Aktien lässt sich viel Geld verdienen. Seit der Lancierung von Chat-GPT Ende November 2022 sind sie sechsmal mehr wert. Am Donnerstag knackten die Tech-Titel die magische Marke von 1000 Dollar. Nur Microsoft und Apple sind noch wertvoller als Nvidia. So haben nicht nur Investoren, sondern vor allem auch Nvidias Kunden ein enormes Interesse, dass das KI-Märchen weitergeht, damit sich ihre Investitionen in Nvidia irgendwann auszahlen.
So lange dürften Jensen Huang und seine Firma weiter von den Verheissungen der künstlichen Intelligenz profitieren. Doch ob Nvidia auch in zehn Jahren zu den Gewinnern der Revolution gehören wird, ist ungewiss. Schliesslich hatte auch Intel in den Anfangstagen von PC und Laptop eine monopolähnliche Stellung bei Mikroprozessoren. Heute spielt Intel im Rennen um die beste KI-Technik nur eine Nebenrolle und gilt als abgehängt. Nvidia muss also die Welle reiten, solange sie trägt.