Der Final im Wembley war das letzte Spiel von Toni Kroos für Real Madrid. Besser hätte er sich nicht aus dem Klubfussball zurückziehen können.
Die Spieler von Real Madrid rannten zu Toni Kroos, als hätte er soeben ein Tor geschossen. Jeder wollte dem Mittelfeldspieler bei seiner Auswechslung in der 86. Spielminute in seinem 465. und letzten Pflichtmatch im Klubfussball so nah wie möglich sein. Jude Bellingham, der auf dem Weg ist, eventuell ein neuer Kroos zu werden, zeigte ehrfürchtig auf den Weltmeister von 2014 und animierte die ohnehin sich schon verneigenden Real-Fans auf den Tribünen zu einem Ehrenerweis.
Sichtlich gerührt, so wie man Kroos eigentlich nie sieht, nahm er die Huldigungen entgegen und schwang zum Dank seine Arme in Richtung der eigenen Anhänger. Dann verliess er den Platz – und kehrte nur noch einmal zurück, um sich die Medaille für seinen sechsten Triumph in der Champions League abzuholen.
Lehrmeister der Jungen
Was Kroos in seiner grossen Laufbahn immer ausgemacht hat, stellte er gegen Dortmund erneut unter Beweis. In beneidenswerter Gelassenheit stemmte er vor Anpfiff in der Spielfeldmitte die Hände in die Hüfte und strahlte damit jene Selbstsicherheit aus, über die kaum ein anderer Profi verfügt. Er stand einfach da und blickte unaufgeregt drein – so, wie er immer und auch diesmal agierte.
Der 34-Jährige liess den Ball zirkulieren, sah stets den freien Mitspieler und versuchte, sich der gegnerischen Manndeckung zu entziehen. Immer wieder wich er nach hinten aus, um das Angriffsspiel mit kurzen und langen Pässen einzuleiten, die so plausibel und ungezwungen aussahen, als könnte sie jeder nachmachen. Zudem trat er alle wichtigen Freistösse und Ecken, seine sechster Corner landete zum vorentscheidenden Führungstor auf dem Kopf von Daniel Carvajal. Das Sportblatt «Marca» bezeichnete ihn einst wegen seiner Fehlerlosigkeit als «blondes Metronom».
Manchmal wirkte es tatsächlich so, als wäre Kroos ein mechanischer Ballverteiler. Dies dürfte mit seinem riesigen Fundus an Spielerfahrung zusammenhängen, aus dem er schöpfen kann. Sein Wissen hat Kroos zuletzt an die Mitspieler weitergegeben, vor allem an Eduardo Camavinga. Dem rief «Marca» zu: «Sieh zu und lerne, Junge!»
Er hört auf, wie er begonnen hat
Sein Gespür für das richtige Timing bewies Kroos auch bei seinem Rücktritt. Er kündigte ihn vor dem letzten Saisonheimspiel der Madrilenen an. So konnte er sich gebührend von den eigenen Fans verabschieden. Und vermeiden, dass er auf diese Art beim Champions-League-Finale in den Mittelpunkt gerät, wie das unter Fussballern verpönt wäre. Stattdessen verabschiedete er sich auf seine ganz eigene Art, stilvoll und zurückhaltend. Als die Mitspieler gemeinsam das alles entscheidende zweite Tor bejubelten, lief Kroos allein in die eigene Spielhälfte zurück – und hörte so auf, wie er begonnen hatte.