Von links bis rechts ist man sich einig: Klassenlehrer sind überlastet und Mini-Pensen ein Problem. Aber damit endet der Konsens.
Abgesprochen haben sie sich sicher nicht. Es ist schwer vorstellbar, dass diese beiden Gruppen überhaupt irgendeine Schnittmenge haben.
Auf der einen Seite die linken, gewerkschaftlich beseelten Lehrerinnen und Lehrer, die am Wochenende trommelnd durch die Zürcher Innenstadt zogen. Auf ihren Plakaten Botschaften wie «13 Wochen Ferien sind nicht genug» oder «Teilziit schaffe zum gsund bliibe».
Auf der anderen Seite bürgerliche Bildungspolitiker wie Marc Bourgeois (FDP, Zürich) oder Rochus Burtscher (SVP, Dietikon), die als privatwirtschaftlich geprägte Typen dem Lobbying der Staatsangestellten misstrauen. Und die auf ihren Ruf nach «immer noch mehr Ressourcen» empfindlich reagieren.
Und doch gibt es einen Konsens. Er lautet: Klassenlehrerinnen und Klassenlehrer sind überlastet. Prompt hat der Zürcher Kantonsrat am Montag mit hauchdünner Mehrheit einen bürgerlichen Vorstoss überwiesen, der Linderung verspricht. Und ebenso knapp einen anderen abgelehnt, der näher an den gewerkschaftlichen Forderungen lag.
Im Kanton Zürich hat ein Klassenlehrer mit einem 100-Prozent-Pensum heute eine Soll-Arbeitszeit von knapp 1900 Stunden – gleich viel wie ein Angestellter in der Privatwirtschaft mit 40-Stunden-Woche und 5 Wochen Ferien. Etwas mehr als 1600 Stunden davon sind für den Unterricht vorgesehen, inklusive Vor- und Nachbereitung, das ist im 2017 neu eingeführten Berufsauftrag genau definiert.
Äusserst umstritten ist die Zahl, die dort für andere entscheidende Aufgaben eines Klassenlehrers vorgesehen ist: für Elterngespräche über das Zeugnis oder den Übertritt etwa, um mit Fachlehrern Lösungen für Schüler mit Problemen zu finden oder Schulreisen zu organisieren. Dafür darf man pro Jahr maximal 100 Stunden aufwenden – was darüber hinaus anfällt, wird nicht vergütet.
Der Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverband kritisiert, dass diese Zahl vom Kanton nie aufgrund des tatsächlichen Aufwands berechnet wurde. Dieser liege bei 250 Stunden. Sie sei einzig deshalb auf 100 Stunden beschränkt worden, um das Budget nicht zu sprengen.
Das Ergebnis ist das, was linke Demonstrantinnen und bürgerliche Politiker gleichermassen als Fehlentwicklung kritisieren: Klassenlehrer leisten unbezahlte Überzeit bis zur Erschöpfung, reduzieren darum das Pensum oder hören ganz auf.
Die Pensen sinken, ein Drittel arbeitet maximal 40 Prozent
Der durchschnittliche Beschäftigungsgrad der Lehrerinnen und Lehrer sinkt, gemäss einer aktuellen Erhebung beträgt er noch 69 Prozent. Gemäss der kantonalen Bildungsstatistik hat in der Primarschule knapp ein Drittel aller Angestellten ein Pensum von maximal 39 Prozent. Und ebenfalls nur ein knappes Drittel arbeitet 80 Prozent oder mehr.
Im Kantonsrat ist man sich weitgehend einig, dass dies eine problematische Entwicklung ist. Die Personalplanung wird zum Puzzlespiel, die Effizienz leidet unter den vielen Absprachen, die nötig sind, und in den Klassen herrscht Unruhe.
In der Frage, was dagegen zu tun ist, herrscht jedoch kein Konsens. Bildungsdirektorin Silvia Steiner (Mitte) hatte vor einem Jahr vorgeschlagen, das Minimalpensum für Lehrerinnen und Lehrer von 35 auf 40 Prozent anzuheben und das Zeitbudget für die Aufgaben von Klassenlehrer auf 120 Stunden auszudehnen.
Dem grünliberalen Kantonsrat und Sekundarlehrer Christoph Ziegler aus Elgg ist das viel zu wenig. Er verlangte zusammen mit den linken Parteien das Budget auf 200 Stunden zu verdoppeln. Dieser Vorschlag entsprach den Forderungen der Gewerkschaft VPOD.
FDP-Kantonsrat Marc Bourgeois wiederum schlug nebst der Anhebung von Mindestpensen eine zeitliche Entlastung ausschliesslich für Klassenlehrer mit Pensen von 80 Prozent und mehr vor. Eine flächendeckende Massnahme, wie Ziegler sie forderte, setze falsche Anreize und komme zu teuer, argumentierte er im Kantonsrat.
Seine Rechnung ist einfach: Weil die Jahresarbeitszeit konstant ist, fällt jede Stunde, die zusätzlich für die Aufgaben eines Klassenlehrers eingesetzt wird, beim Unterricht weg. Verdopple man das Zeitbudget flächendeckend auf 200 Stunden, rechnete Bourgeois vor, wäre überall im Kanton 5 Prozent mehr Personal nötig – denn natürlich müssen die Lektionen trotzdem erteilt werden. Kostenpunkt: etwa 150 Millionen Franken im Jahr.
Da Lehrermangel herrscht, sei offensichtlich, wie die Schulleitungen darauf reagieren würden. Sie würden Angestellte mit tiefem Pensum dazu anhalten, weiterhin gleich viele Lektionen zu geben wie bisher. Das geht aber nur, wenn sie auf dem Papier ihren Beschäftigungsgrad erhöhen. Das Ergebnis laut Bourgeois: Gleich viel Arbeit, mehr Lohn.
Der FDP-Kantonsrat ist überzeugt, dass der Effekt ein anderer ist, wenn man nur die Bedingungen für Lehrerinnen und Lehrern mit hohem Beschäftigungsgrad verbessert. Diese könnten nicht einfach das Pensum anheben – sie würden also tatsächlich entlastet.
Obwohl Zürcher Lehrer gut verdienen, regt die FDP Boni an
Im Kanton Zürich verdienen Lehrerinnen und -lehrer schon heute deutlich besser als in anderen Deutschschweizer Kantonen. Dies zeigt die jüngste Erhebung der Erziehungsdirektorenkonferenz. Berufseinsteiger auf Primarstufe kommen mit einem Vollpensum auf fast 98 000 Franken im Jahr, mit zunehmender Erfahrung kann der Betrag über die Jahre auf fast 151 000 Franken steigen. Das sind rund 20 Prozent mehr als im Deutschschweizer Mittel.
Dennoch setzt auch Bourgeois in begrenztem Rahmen bei den Löhnen an: Er schlägt in seinem Vorstoss neben ausgebauten Zeitbudgets finanzielle Anreize für Angestellte mit hohen Pensen vor. Sei es über Einmalprämien oder ein konsequentes progressives Lohnsystem.
Wichtiger als solche «Symptombekämpfung» seien aber andere Massnahmen zur Verbesserung des Arbeitsumfelds, betonte Bourgeois. Lehrerinnen und Lehrer müssten etwa von administrativem Aufwand ausserhalb des Unterrichts entlastet werden. Eine entsprechende Forderung ist bereits im April überwiesen worden, damals mit Unterstützung der GLP.
Dass Abstriche im Pflichtenheft wünschenswert wären, weil nicht alle Aufgaben gleich wichtig sind, fanden neben bürgerlichen Kantonsräten wie Rochus Burtscher auch solche auf der linken Ratsseite wie Livia Knüsel (Grüne, Schlieren).
Gleichwohl dominierte hier die Überzeugung, dass der Ansatz der FDP «Quatsch» und nicht zielführend sei, wie Christoph Fischbach (SP, Kloten) sagte. Sämtliche Klassenlehrer hätten Entlastung nötig, erst dann würden auch die Pensen wieder steigen. Ungleiche Entlöhnung vergifte die Stimmung, ergänzte Knüsel.
Entscheidend war am Ende einerseits, dass sich die Mitte gegen den GLP-Vorstoss von Ziegler und hinter jenen von Bourgeois stellte, wenn auch nur «halbherzig», wie Kathrin Wydler (Wallisellen) betonte.
Nicht alles daran überzeuge, aber ein paar Ideen lohne es ich zu prüfen. Zieglers Forderung dagegen würde die Änderungsvorschläge der eigenen Regierungsrätin Silvia Steiner übersteuern, die gerade erst in der Vernehmlassung waren. Das Ergebnis gelte es abzuwarten.
Entscheidend war andererseits, dass es an diesem Montag auf der linken Seite eine Absenz mehr gab als auf der rechten. So durfte Ratspräsident Jürg Sulser (SVP, Otelfingen) zweimal zum Stichentscheid fällen: Ja zum FDP-Vorstoss, nein zu jenem der GLP.
Die Kantonsregierung hat nun zwei Jahre Zeit, die von der FDP angeregten Massnahmen zu prüfen. Die Verbesserungsvorschläge Silvia Steiners von letztem Jahr werden schon früher wieder im Kantonsrat zu reden geben.