Die kleine Kammer verabschiedet eine Protesterklärung gegen den «gerichtlichen Aktivismus» des Menschenrechtsgerichtshofs.
Mit dem Urteil der «Klimaseniorinnen gegen die Schweiz» von Anfang April hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg die Grenze zwischen Recht und Politik überschritten und sich Kompetenzen angemasst, die ihm nicht zustehen. Dieser Auffassung ist die Mehrheit des Ständerats. Die kleine Kammer hat am Mittwoch nach mehrstündiger engagierter Debatte mit 31 zu 11 Stimmen einer Erklärung ihrer Rechtskommission zugestimmt.
In dieser Erklärung kritisiert der Ständerat den gerichtlichen Aktivismus des EGMR. Der Gerichtshof schwäche damit seine Legitimität, was am Ende auch den effektiven Schutz der Menschenrechte schwäche. Der Ständerat ruft den EGMR auf, die Subsidiarität und die staatliche Souveränität zu respektieren und die demokratischen Prozesse in den Europaratsstaaten zu achten.
Der Bundesrat soll nun in den diversen Strassburger Gremien aktiv werden. Er soll namentlich das Ministerkomitee des Europarates darüber informieren, dass die Schweiz keinen Anlass sieht, dem Urteil «weitere Folge zu geben», da durch ihre klimapolitischen Bestrebungen die menschenrechtlichen Anforderungen des Urteils erfüllt seien. Ein Antrag des Zuger FDP-Ständerates Matthias Michel, die Erklärung anders zu formulieren und leicht abzuschwächen, scheiterte.
Die bürgerlichen Ständeräte sowie der Präsident der Rechtskommission Daniel Jositsch (SP) betonten, dass der EGMR die Europäische Menschenrechtskonvention mit seiner ausufernden Rechtsprechung in einer Art und Weise fortentwickle, die von der Konvention nicht gedeckt sei. Den 17 Richtern, die das Urteil gegen die Schweiz gefällt hatten, wurde vorgeworfen, mit prozessualen Tricks und Schachzügen ein ihnen politisch genehmes Urteil gefällt und ein Klagerecht für NGO eingeführt zu haben. Das Parlament als Gesetzgeber müsse sich gegen ein solches Urteil zur Wehr setzen.
Von den linken Ratsvertretern wurde die Erklärung dagegen als Attacke gegen den EGMR und als «Messerstich gegen die Gewaltenteilung» angesehen. Die Schweiz mache sich international lächerlich, ja die Erklärung sei eine Schande.
Nächsten Mittwoch wird sich der Nationalrat mit dem Thema befassen. Seine vorberatende Rechtskommission hat der gleichlautenden Erklärung zugestimmt, wie sie nun der Ständerat verabschiedet hat. Die Erklärung ist nicht verbindlich, wirkt aber als starkes politisches Zeichen nach innen wie nach aussen.