Die schönste «Kunstmesse» sei das Gallery Weekend, sagen viele. In der deutschen Hauptstadt leben mehr prominente Kunstschaffende als in vielen anderen europäischen Metropolen. Und die wichtigsten Galerien folgen ihnen nach Berlin.
Wer die Stadt Berlin als Kunstmetropole bezeichnet, erhält meist vehementen Widerspruch. Der Hype sei längst vorbei. Es möge ja stimmen, dass in Berlin viele Künstler wohnten, zehntausend sollen es sein. Eingeräumt wird auch, dass es viele Galerien gebe, um die 300 an der Zahl. Aber der Markt! Ein Trauerspiel – kein Vergleich mit London, New York und Paris.
Wie steht es nun wirklich um die Kunststadt Berlin? In der deutschen Hauptstadt leben tatsächlich Tausende Künstler, darunter internationale Superstars, die sich ohne weiteres teure Ateliers in New York oder London leisten könnten. Darunter Olafur Eliasson, Tacita Dean, Douglas Gordon, Tomás Saraceno, Chiharu Shiota oder Adrian Ghenie. Aber wie kam es überhaupt zum Berlin-Hype?
In den 1990er-Jahren begann der Run auswärtiger Galeristen auf Berlin. Gewichtige Namen wie Max Hetzler, Sprüth Magers, Daniel Buchholz, Peres Projekt, Plan B, Judin, Esther Schipper siedelten sich an der Spree an. Zum veritablen Tsunami kam es Anfang der 2000er-Jahre. Der Berlin-Hype war geboren. Als 2007 auch Konrad Fischer in der Stadt eine Niederlassung eröffnete, fiel das Rheinland in eine Depression. Berlin avancierte zur Kunstmetropole Nummer eins in Deutschland.
Günstige Ateliers
Befragt, weshalb sie nach Berlin gekommen sind, antworteten viele Galeristen überraschend: Es seien ihre Künstler, die unbedingt hier ausstellen wollten. Denn sie hatten längst erfahren, dass Museumsdirektoren, Kunsthallen- und Kunstvereinsleiter aus Deutschland, Europa und Übersee nur noch nach Berlin schauten, um neue Talente und Trends für ihre Ausstellungen zu entdecken. Ausstellungen in Instituten aber sind für junge Kunstschaffende Gold wert, da meist verbunden mit einem Katalog. Solche Gelegenheiten sind für Künstler häufig wichtiger als Verkäufe.
Dass die Künstler auch in der Stadt blieben, so verrieten einige, lag nicht nur an den damals günstigen Ateliermieten, sondern auch daran, dass sie hier hoch qualifizierte Mitarbeiter und Assistenten finden. Dies nicht selten in Gestalt von Künstlern, die noch nicht von ihrer eigenen künstlerischen Arbeit leben können, aber wissen, worauf es ankommt. Andere erwähnten als Grund fürs Bleiben schlicht den «Spirit of Berlin».
Es waren schliesslich drei Galeristen – Max Hetzler, Tim Neuger und Esther Schipper –, die 2004 ein Galerienwochenende gründeten mit damals 21 teilnehmenden Galerien. Das Experiment klappte auf Anhieb, wurde zum erfolgreichen Event. Kürzlich feierte das Gallery Weekend mit inzwischen 55 ausgewählten Galerien seinen zwanzigsten Geburtstag. Highlights im kreuz und quer durch Berlin führenden Kunstparcours waren Shows mit Künstlerinnen wie zum Beispiel Rachel Harrison bei Konrad Fischer oder Eliza Douglas bei CFA.
Die Idee war eigentlich aus der Not entstanden, erinnert sich Esther Schipper: «Als wir begannen, sah die Kunstwelt ganz anders aus. Es gab weniger Messen, weniger Biennalen. Der Kunstkalender war noch nicht so voll, nicht so international. Auch die Medienaufmerksamkeit war geringer. Damals musste man was machen, damit die Leute kommen.» Und so startete man ins Ungewisse und hatte unverhofften Erfolg, sodass das Modell «Berliner Gallery Weekend» international kopiert wurde. Selbst der kleine Katalog in Din-A6-Format, den es damals gab, fand Nachahmer. Fortan strömte die internationale Sammlergemeinde samt Prominenz wie die Rubells aus Miami, die Horts aus New York oder Michael Ringier aus Zürich nach Berlin.
Das Singuläre des Gallery Weekend beschreibt der Galerist Judy Lübke von der Galerie Eigen+Art (Berlin, Leipzig) so: «Die Besonderheit der ganzen Sache ist, dass sie von und für die Galerien organisiert ist. Jede Galerie spricht ihre Sammler, Kuratoren und Interessenten direkt an. Dadurch bekommt der Anlass eine wahnsinnige Reichweite. Die Kunstliebhaber stehen im Vordergrund. Es ist eben nicht nur einfach ein Event, sondern die persönlichen Beziehungen sind hier das Wichtige.»
Spezielle Zusatzattraktivität erhält das Berliner Gallery Weekend noch dadurch, dass VIP-Gäste zu Atelierbesuchen eingeladen werden. So lief alles wie am Schnürchen. Dann kam 2008 die internationale Finanzkrise. «Unkenrufe verkündeten das Ende der Kunstmessen, das Ende der erreichten Internationalität. Alles werde lokaler, bescheidener werden», erinnert sich Esther Schipper.
Das Gegenteil traf ein: Das Gallery Weekend und die Berliner Kunstszene entwickelten sich weiterhin prächtig. Die nächste Gefahr kam in Gestalt der Pandemie. Doch auch das hat der internationale wie der Berliner Kunstmarkt weitgehend gut umschifft.
Wachsende Marktpotenz
Die heutige Situation beschreibt Schipper so: «Es gibt auf dem Kunstmarkt immer Zyklen. Wenn man auf die letzten Jahre in Berlin zurückblickt, muss man feststellen, die Lage hat sich enorm verbessert. Die Prominenz aus den USA kommt zwar nicht mehr, dafür viele Sammler aus Asien, aus Europa sowieso. Der Markt in Berlin hat sich ebenfalls gemausert. Eine neue Sammlergeneration hat die Szene betreten. Sie rekrutiert sich aus Berlinern und Zugezogenen mit guten Gehältern.»
Ähnliches berichtete kürzlich der Chef einer Privatbank: «Es kommen immer noch viele neue Leute nach Berlin, die tolle Jobs haben. Ausserdem die Startups , die ihre Firma für Millionen verkaufen – all diese Leute suchen dann eine Bank.» Und sie suchen sehr oft auch Kunst.
Da die Marktpotenz Berlins gesteigert wurde, blieben viele der Top-Galeristen, die auch auf anderen Kontinenten aktiv sind, in Berlin. 38 davon wurden zur Teilnahme an der Art Basel ausgewählt. Das ist ein Gütesiegel für Berlin. Auch die Künstler behalten ihr Domizil an der Spree. Die Künstlerliste der Galerie Esther Schipper (Berlin, Paris, Seoul) nennt 51 Kunstschaffende, davon leben 20 in Berlin, darunter Hito Steyerl, Thomas Demand, Tino Sehgal, Anri Sala oder Rosa Barba.
Elf grosse Namen mit Berlin-Adresse sind es auch in der Mannschaft von Galerist Daniel Buchholz: darunter Anne Imhof, Isa Genzken oder Wolfgang Tillmans, der Turner-Preisträger, der sich gerade in Berlin-Kreuzberg ein Haus baut und sich in der aktuellen Ausstellung bei Buchholz wieder einmal als genialer Ausnahmekünstler erweist.
Die Attraktivität der Kunststadt Berlin scheint ungebrochen. Wohl deshalb kündete jüngst die weltweit agierende Galerie Pace an, dass sie in Berlin ein Büro eröffnet. Die Direktorin Laura Attanasio soll Kontakt mit den hier ansässigen Künstlern aufnehmen – darunter Elmgreen+Dragset oder Alicja Kwade – und auch womöglich neue Kunstschaffende entdecken. Sofort meldete auch die New Yorker Galerie Lehmann Maupin, nun ein Büro in Berlin zu unterhalten, um mit hiesigen Künstlern die Betreuung zu intensivieren, darunter Kader Attia und Robin Rhode.
Für die Rolle Berlins spricht auch, dass die langjährige Direktorin des Gallery Weekend, Maike Cruse, letztes Jahr zur Direktorin der Messe aller Messen, der Art Basel, ernannt wurde.
Der wohl treueste Besucher des Berliner Gallery Weekend ist der Norweger Rolf Hoff, dessen viel gerühmtes Privatmuseum sich auf den Lofoten befindet. Keinen einzigen der Anlässe soll der Kunstsammler versäumt haben. Denn «der Berliner Event ist für mich die wichtigste und schönste <Kunstmesse>, die es gibt», sagt er. Da spiele es keine Rolle, dass die Stadt Berlin mit ihren diversen Versuchen, auch eine Kunstmesse zu etablieren, gescheitert ist.